Ein filmischer Einspruch gegen die hergestellte Wirklichkeit

Zechmeister - ein Film gegen Wahrheitsfindung, die auf Gerüchten basiert, wie gegen die übliche Art, historische Fälle im Kino zu verhandeln.

Foto: Neue Studio Film

Foto: Neue Studio Film

Zechmeister ist Angela Summereders filmische Aufarbeitung eines frühen Justizskandals der Zweiten Republik.

Maria Zechmeister wurde 1949 zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem ihr Mann, Anton Zechmeister, ein Jahr zuvor gestorben war – „an keinem natürlichen Tod“, wie man gleich zu Beginn erfährt. Von den Bewohnern des Dorfes sowie von den Ermittlern wird vermutet, dass er von seiner Frau vergiftet wurde. Beweise werden bis zum Urteilsspruch keine gefunden, dafür gibt es genügend Gerüchte, die für die Stimmung entscheidend sind. Und so scheint es für die Urteilsfindung keine Relevanz zu besitzen, dass eine Ärztin aussagt, sie habe Zechmeister behandelt, nachdem seine Frau sie darum gebeten habe. Von einer Vergiftung, auf die Haarausfall schließen lassen würde, sei sie nicht ausgegangen, da das dünne, schüttere Haar des Patienten ihr bereits länger bekannt gewesen sei. Die Aussagen der Ärztin werden kontrastiert mit der Vorgehensweise eines der beiden Ermittler, der seiner Frau zuhause von den Fortschritten in diesem Fall berichtet.

Die Indizien bestätigen die Annahme der Vergiftung. Allerdings müssen dazu all jene Hinweise ignoriert werden, die nicht in dieses Bild passen, was er an einer Stelle mit einem lapidaren „ja eh“ tut, das er auf den berechtigten Einwand seiner Frau als Antwort gibt. Bestätigt wird schließlich nicht der Einwand, sondern die Bejahung dient der Aufrechterhaltung seines bereits feststehenden Urteils. Der Film untersucht weniger, was nun der Wahrheit entspricht, als er den Prozess, der diese feststellen soll, nachzeichnet. Die Dialoge sind an Gerichtsakten und Zeugenaussagen orientiert. Dabei kommt Maria Zechmeister selbst zu Wort, ist jedoch nie zu sehen. 

Ein historischer Film, der keiner sein möchte und en masse Zeit zum Nachdenken bietet

Die Ästhetik von Zechmeister bietet den Zusehern keine gängigen Interpretationsmuster und also keine Identifikationsmöglichkeiten. Während Akten verlesen werden, sieht man das Wasser des Inn fließen; es gibt lange Sequenzen, die den Blick aus einem langsam fahrenden Zug über Felder und Wiesen freigeben. Ob man dabei an die Deportationen denkt, die wenige Jahre vor der Filmhandlung auf diesen Schienennetzen durchgeführt wurden, oder an den letzten Ausflug ins Innviertel oder an etwas anderes, bleibt den Zusehern überlassen. Zeit zum Nachdenken gibt der Film genug. Und das macht ihn so interessant.

Eine der markantesten Szenen (die gleichzeitig in ihrer vollen Länge als Trailer fungiert) zeigt Richter, Ankläger, Schöffen, Verteidiger und Gerichtsschreiber unter einem großem Baum im matschigen Boden – der Ort, an dem im Film die Rechtsprechung inszeniert wird – eine bizarre Choreografie vollführen. Nicht wirklich Tanz, auch nicht Rangelei oder Handgemenge, aber gewisse Momente von all dem aufweisend, dauert es in etwas eine Minute, bis nach mehreren Pirouetten, suchenden Bewegungen und mühevollen Versuchen, sich dabei behilflich zu sein, alle ihren Platz gefunden haben – aufgestellt wie für ein Erinnerungsfoto. 

Doch nicht nur der Erinnerung an Maria Zechmeister, die in ihrer Heimatgemeinde stets beargwöhnt wurde, unter anderem, weil sie die Gesellschaft männlicher Nachbarn nicht scheute, während ihre Schwiegereltern sie seit dem Kennenlernen des späteren Ehepaars Zechmeister nicht ausstehen konnten – nicht nur an sie erinnert der Film. Er verweist auch auf Themen, die Relevanz für die Gegenwart besitzen. Insbesondere auf den Sog, den Gerüchte ausüben können, sind sie einmal in der Welt, nach denen Handlungen ausgerichtet werden.

Absurdität und Ruhe sind die Mittel derer sich Angela Summereder bedient, um Widerstand gegen eine derartige Mentalität umzusetzen, dessen Erfolg auch von der Haltung abhängt, welche die Zuseher gegenüber diesem ästhetischen Angebot einnehmen und in ihrer Rezeption herstellen. Der Film fällt formal ein Urteil, das er jedoch inhaltlich offen lässt.

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