Zerstörung und Zerfall…

…sind Begriffe, welche man in der Kunstwelt weniger gerne hört. Der Maler Alexander Queisser arbeitet jedoch genau damit: Er zerstört seine eigenen Gemälde und zeigt, wie schön kaputtes sein kann. Ein Besuch in seinem Atelier.

Das Studio von Alexander Queisser (c)

Ich glaube, dass ich den Ateliers von Künstler*innen niemals überdrüssig werden könnte. Der Ort, an welchem Kreativität und Ideen zu etwas handfestem werden.
Das Atelier von Alexander Queisser im 16. Bezirk hat jedoch eine besondere Note: Es ist nicht nur Ort des Schaffens, sondern auch des Zerstörens. Queisser hat begonnen, einige seiner (Öl-)Gemälde mit selbstentwickelten Techniken zu zerstören.
Ich bin auf ihn aufmerksam geworden, als ich Zeugin wurde, wie er das Publikum bei einer Performance im LOT ein von ihm gefertigtes Frauenporträt hat zerstören lassen. Es war befremdlich und aufregend zugleich, ein Kunstwerk in Trümmern zu sehen. Zu beobachten, wie das Publikum zunächst zaghaft ist und sich nicht traut, das Bild überhaupt zu berühren, dann immer mutiger, neugieriger und rigoroser wird - bis zum bröckelnden, staubigen, zerkratzten Endresultat, welches ein eigenes, neues Werk darstellt.

Alexander und ich unterhalten uns über geschöpftes Papier, Aufenthalte in Barcelona und Italien, seine Tätigkeiten als Vintage Wall-Designer und seinen Weg zur Ölmalerei. Wenn ihn Leute fragten, was er denn eigentlich genau mache, sei meist seine Antwort: Ich weiß es selbst nicht…

Bohema: Apropos was machst du eigentlich - wie würdest du dich als Künstler beschreiben?

Alexander: Maler. Ich habe ein kleines Problem mit dem Begriff des Künstlers, weil er so weitläufig ist. Ich bin ein Fan der alten Schulen, des Bauhaus zum Beispiel, wo man zuerst Lehrling war und dann erst Student. Da ich nicht auf einer Kunsthochschule war, sondern ein Handwerk gelernt habe, spielen das Handwerk und die praktische Arbeit mit Materialien in Kombination mit gesammelter künstlerischer Erfahrung bei mir eine große Rolle. Das Kunsthandwerk also, und innerhalb dessen würde ich sagen, ich bin ein Maler. Anti-Restaurator ist auch ein Begriff, der mal gefallen ist. Ich arbeite gerne mit Erinnerung, Vergessen und Zerfall.

Alexander steht auf, um ein Bild zu holen, weil er mir dies gerne anhand eines Beispiels erklären möchte. Es ist die Studie eines Gemäldes von James Sant. Er hat es vorgestern zerstört - die erste von drei Zerstörungsrunden, welche dieses Bild durchlaufen wird.

Alexander: Für mich ist nur eine Erinnerung da, wie das Bild früher aussah, aber es ist noch da. Vieles um uns herum bleibt nicht, es ändert sich und das ist auch gut so. Als Maler möchte ich gerne genau dieses Gefühl bei den Betrachter*innen einfangen und hervorbringen.

Wir kommen auf die Farbkarten zu sprechen, welche hinter ihm an der Wand hängen. Alexander erklärt, dass er in diese einen Monat Arbeit gesteckt hat.

Alexander Queisser (c)

A: Die Farbkarten sind quasi die Partitur. Die Farben sind wie ein Klavier, man lernt, jede Taste zu spielen. Jede Farbmischung zu kennen. Die Ölmalerei ist sehr komplex, begonnen bei den Malgründen, über den Auftrag der Farben bis da hin, welche Pinsel du verwendest. Es gibt tausend Komponenten. Solche Partituren vereinfachen die Arbeit in einer Welt, die sehr kompliziert ist.

Bohema: Wie entstand die Idee, deine eigenen Bilder zu zerstören? Weißt du noch, welches das erste Werk war, welches du zerstört hast?

Alexander: Ja, das war in einer Zementfabrik. Das war ein Ort, wo Street Artists malen konnten, es war sehr schön dort. Es ist mittlerweile abgerissen und es stehen lauter un-schicke Wohnblocks auf dem Gelände.

Bohema: Der Klassiker.

A: Genau. (Lacht) Dort habe ich ein Porträt einer jungen Frau gemalt, drei mal zwei Meter, und habe das Resultat kaputt gemacht - das war phänomenal.
Beim Malen oder auch in anderen gestalterischen Bereichen ist alles oft kontrollierter, als man denken mag. Jeder Pinselstrich trägt zum menschengemachten Endresultat bei. Ich wollte die Komponente des Chaos und des Loslassens wieder reinbringen - mich erfüllt das. Deshalb bringe ich Zerstörung in meine Arbeit mit ein.

Alexander Queisser

Eine große Inspiration war und ist bis heute eine südafrikanische Künstlerin, Faith47, die schon seit 20 Jahren auf alten Untergründen realistisch malt. Eine der größten Inspirationen in Bezug auf das Handwerkliche war ein Zeitpunkt in meiner Lehre, als wir ein Haus aus den 50er-60er Jahren außerhalb von Wien tapezieren und ausmalen sollten. Wir holten Schichten an alter Tapete herunter und darunter verbarg sich ein Unterputz, welcher all die Jahre durch Kleister, Schimmel und Feuchtigkeit patiniert wurde. Ich war in Schock, wie schön dieser entkernte Raum war. Ab dem Zeitpunkt wusste ich, was ich machen will. In der Lehre arbeiteten wir ebenfalls mit Verputztechniken, allerdings mit industriellen und vorgegebenen Materialien und Bearbeitungen. Von diesem Vorgegebenen wollte ich in meiner eigenen Arbeit Abstand nehmen.

Bohema: Was hast du gelernt?

A: Das klassische Handwerk des Raumausstatters. Wir haben viel gemacht und ich habe viel gelernt. Das Interesse an den alten Meistern kam peu á peu. Ich habe angefangen, mich mit Urban Explorer Fotografen zu beschäftigen und wir waren in Italien in alten italienischen Villen, wo die Wände, die Malerei und deren Zerfall zu sehen waren, was nicht immer ästhetisch aussah. Zerstörung kann natürlich auch sehr brachial und hässlich sein.

Bohema: Bei deiner Performance als Teil der Veranstaltung MOSAÏQUE im LOT hattest du erzählt, dass es dir in letzter Zeit schwerer gefallen ist, deine Bilder zu zerstören. War dies der oder einer der Gründe, warum du dich bei dem Open Call beworben und dich dazu entschieden hast, dass andere Leute ein Bild von dir zerstören sollen?

A: Ja, es war eigentlich genau aus dem Grund. Ich bin ein Perfektionist, leider, und habe mich auf diese Reise in die Malerei begeben. Ich wusste, ich habe einen bestimmten Plan und wollte die Zerstörung darin einbauen. Es waren geduldige Schritte, welche ich gemacht habe. Ölmalerei erlernt man nicht in 1-2 Jahren, das braucht einfach Zeit. Genauso wie historische Verputztechniken mit den alten Rezepturen zu erlernen. Das mache ich jetzt mehr als zehn Jahre.

Alexander Queisser im Gespräche nach seiner Performance im LOT /// Jana Mack (c)

Seit zwei Jahren gehe ich nun der Ölmalerei nach. Mit dem Firnis und allem braucht ein Bild circa ein Jahr, um vollständig zu trocknen. Ich habe also gemalt in dem Wissen: Ich werde eines Tages...
Dann war ein Jahr vergangen und der Zeitpunkt für die Zerstörung war eigentlich da, ich habe aber nur weiter gemalt und produziert. Ich habe gemerkt, dass ich besser werde und gleichzeitig habe ich aus (Ehr-)Furcht die Zerstörung immer weiter hinausgezögert. Dann kam Corona und es gab keine Ablenkungen mehr. Ich habe im ersten Jahr circa 110 Ölbilder gemalt. Das LOT war eigentlich ein Trigger für mich; Menschen einzuladen, sich an dem Prozess zu beteiligen. Beim LOT wusste ich, worauf ich mich einlasse, aber eigentlich auch nicht - und das war perfekt.

Bohema: Als du bei MOSAÏQUE die Leute in den Prozess eingebunden hast, wusstest du nicht, wie das Endresultat aussehen würde und wie du dich letzten Endes dabei fühlen würdest, die Kontrolle abzugeben und dabei zuzuschauen, wie fremde Menschen dein Gemälde zerstören.

A: Genau. Ich konnte mich der Situation einfach hingeben. Das war mehr als nur ein Startschuss für mich, die vorangegangene Zeit des Malens mit der der Zerstörung abzulösen. Ich konnte die Ehrfurcht ablegen und habe jetzt eigentlich eine große Freude am Zerstören, Vergehen und Vergessen. Und an dem Werden, weil ja wiederum etwas neues entsteht.

Bohema: Die Materialkunde, auf welche du großen Wert legst, wird oft übersehen oder vergessen. Wie eignest du dir dieses Wissen an, wie man zum Beispiel seinen eigenen Malgrund herstellt und bearbeitet?

A: Ich habe über die Jahre sieben Zerstörungstechniken entwickelt und die passenden Untergründe dazu. Aus der Lehre und meinem handwerklichen Zugang habe ich unglaublich viel gelernt, aber das wahre Wissen kam durch meine private Beschäftigung mit alledem und durch die vielen Fehler, die ich gemacht habe.

Zu lernen und Zeit darin zu investieren hat auch sehr viel mit Verzicht zutun. Das, was ich an dem einen Tag gelesen habe, war meine To Do-Liste für den nächsten Tag, weil ich es gleich ausprobieren wollte. In Bezug auf die Patinierung von Wänden zum Beispiel ist mir wichtig, dass der Mensch nicht ersichtlich ist. Wenn ich eine Patina dekorativ gestalte, will ich keine Spachtelschläge sehen, ich will, dass es natürlich aussieht. Das größte Kompliment, was ich auf Baustellen bekomme - was mich gleichzeitig aber auch ärgert - ist, wenn Leute auf meinen fertig bearbeiteten Wänden rum malen, weil sie nicht verstehen, dass es alt und natürlich aussehen soll, und denken, die Wand müsse noch verputzt und übermalt werden. Es ist eine gute Arbeit, wenn man glaubt, ich wäre nie da gewesen.

Alexander steht auf und geht zum Bücherregal, um mir seine persönliche Bibel zu zeigen: Werkstoffe und Techniken der Malerei von Kurt Wehlte. Er war ein Schüler von Max Doerner, welcher in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts an der Spitze der Maltechniker war. Er erklärt, dass Wehlte die Evolution der Acrylfarbe miterlebt und es in das Buch einfließen lassen habe, wodurch es ein noch heute relativ aktuelles Standardwerk sei.

A: Ich habe mich durch die Techniken im Buch probiert und habe sie dann auch für mich modifiziert.

Alexander Queisser

Er steht erneut auf, um mir Beispiele seiner Malgründe zu zeigen. Er sagt, dass viele Techniken viele Jahre gebraucht haben, beispielsweise Stucco-Techniken, bis er sie in der Ästhetik die er haben wollte herstellen konnte. Vor uns haben wir einen Malgrund für eine Ölmalerei.

A: Ich habe mich mit Restaurator*innen unterhalten und war damals aus Interesse zwei Jahre in der Bau-Biologie tätig, um mehr über Herstellungsverfahren zu erfahren. Jedenfalls haben viele der Restaurator*innen gesagt, die Technik für diesen Untergrund würde nicht gehen oder würde seit 300 Jahren nicht mehr praktiziert, weil er schlecht zum Restaurieren sei und es andere, langlebigere Bildträger gebe. Was die Restaurator*innen nicht wussten war, dass dies genau das war, was ich wollte. Das verstehen viele Leute eben nicht: Ich stecke ein Jahr Arbeit in ein Bild, um es dann in kurzer Zeit wieder zu zerstören. Es geht mir um dieses Spannungsfeld, dass wir versuchen, vieles zu erhalten und festzuhalten, was eigentlich eine Illusion ist und was vergehen wird.

Bohema: Gerade heute wird es immer seltener, dass man sich wirklich Zeit für etwas nimmt, weil alles schnelllebiger wird und oftmals eine gewisse Konsequenz und Disziplin fehlt, auf Dinge zu warten oder auf sie hinzuarbeiten. Sich hinzusetzen und zu wissen, dass der Prozess bis hin zu Resultaten keine Woche, sondern mehrere Jahre dauern wird - und es dennoch zu machen. Genau dies praktizierst du. In Hinsicht auf deine Arbeit finde ich den Kontrast spannend, dass du dazu bereit bist, über Jahre hinweg einen Prozess zu verfolgen und an einem Bild zu arbeiten, wenn der danach folgende Prozess des Zerstörens doch ein so kurzer ist. Das, was du dir in 15 Jahren aneignest, zu zerkratzen, zu zerbrechen...

Alexander: Ich stehe auf dieses Materialtechnische. Jeder muss da sein eigenes Ding finden und machen. Ich lese auch gerne Bücher zu Kunstgeschichte.

Ich erzähle ihm von meinem Kunstgeschichte-Studium. Alexander stellt einige Gegenfragen dazu und wir unterhalten uns über Architekturgeschichte, über die Fassade des MAK, an welcher er jeden Tag mit dem Fahrrad vorbeifährt, die Stucco Lustro-Technik, welche im MAK angewandt wurde und über eine ARTE-Doku über alte Baumeister in Strasbourg. Wir stellen fest, dass es früher ein anderes Gefühl für Zeit, Zeiträume und Prozesse gab. Aus einer Ecke holt er ein Gemälde der Santa Agatha. Wir kommen zu niederländischen und flämischen Malern des Goldenen Zeitalters.

A: Es gibt die Journalistin Amina Aziz, die einen unglaublich guten Podcast gemacht hat, der heißt Rembrandt, habibi!. Es geht dabei um Rembrandt und seine Orient-Malerei - und die Kritik daran, dass er und andere niederländische Maler zum falschen Bild über den Orient beigetragen haben. Was ich sagen will ist, dass alte Meister auch ab und an in Kritik gestellt und hinterfragt gehören, obwohl sie so hoch gepriesen werden. Das gilt auch für Architekten. Gebäude, Institutionen und Charaktere, welche nichts mit unseren heutigen Werten zutun haben, aber immer noch da sind, einfach weil sie dieses Bollwerk geschaffen haben. Dementsprechend möchte ich versuchen, dies aufzubrechen und zu wandeln, so wie sich eh alles wandelt. Meisterwerke, Bauten und alte Meister bleiben, gehören aber aufgearbeitet, meiner Meinung nach. Ich werde beispielsweise bald ein Bild des Desiderius Erasmus malen, der bis heute dem Erasmus-Programm seinen Namen leiht, der aber Antijudaismus betrieb. Wie kann es sein, dass das fast niemand weiß?

Alexander Queisser (c)

Viele alte Meister haben Erasmus damals gemalt. Und dann kommt für mich die Zerstörung ins Spiel, weil die Zerstörung dann nicht nur Ästhetik- sondern Ausdrucksmittel wird, wenn man es richtig einsetzt. Da bin ich noch nicht so weit, weil dies unglaublich viel Recherche bedarf, da ich genau wissen will: Was mache ich da kaputt, warum möchte ich es kaputt machen und wie möchte ich es herzeigen?

Die Bilder, die ich in ein paar Jahren mal malen will, habe ich schon im Kopf und ich kriege sie dort nicht heraus, bis ich sie gemalt habe. Für viele Bilder bin ich technisch aber noch nicht in der Lage, obwohl ich schon sehr weit bin.

Bohema: Dieser Gedanke ist spannend: Dadurch, dass alte Meister bestimmte Gemälde anfertigten und visuell Persönlichkeiten, Begebenheiten und Orte festhielten, hatten sie die Macht, Vorstellungen und Repräsentationen zu prägen. Wenn man diese Bilder dann zerstört, dann setzt man ein Zeichen. Das Bild und die Geschichte dahinter sind noch da, jedoch verändert. Raum zum Überdenken wird geschaffen, weil man sich dann fragen muss: Wieso wurde gerade dieses Bild nun zerstört?

A: Man ist dann eher bereit, Fragen an das Dargestellte und an die Kunst zu stellen, als es einfach nur hinzunehmen. Das ist, wo ich Potenzial sehe.

Jana Mack (c)

Alexander holt sich kurz einen Tee. Danach führt er mich noch etwas im Atelier herum, zeigt mir seine Sammlung an Objekten, welche er auf Reisen gefunden hat, Werkzeuge, vergangene und aktuelle Gemälde und Projekte, eine alte Holztür, welche er aus dem Sperrmüll gefischt hat. In einer Ecke stehen drei alte Gewichte, welche er in Umbria, Italien, gefunden hat. Das eine erkenne ich wieder: Es gehörte zu den Werkzeugen, welche wir an dem Abend im LOT benutzen durften, um Alexanders Bild zu zerstören.

Previous
Previous

Gruber geht und nimmt uns mit

Next
Next

Nicht alle Monster mögen Gurken