Zwiespalt aushalten

Peter Handke … Ein neues Büchlein. Ja. Gut. Dann gibt’s eben wieder mal ein paar knappe Seiten, aus dem Elfenbeinturm geträufelt wie Salz. Zwiegespräch – passend zum französischen Fichtenwald-Verschnitt der Hölderlin-Hölle. Und warum jetzt dieser Beitrag?

Screenshot from the documentary Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte... dir. Corinna Belz /// Zero One Film (c)

Warum einem alten, weisen NobelpreisträgER, der zusätzlich noch einen äußerst problematischen Platz am Podium der öffentlichen Redebühne einnimmt, hier eine weitere Plattform bieten? Ich habe darauf keine zufriedenstellende Antwort und am besten wäre es wahrscheinlich, würde dieser Text nicht geschrieben werden, oder wenn, dann ungesehen, nur damit‘s mal raus ist. 

Im Handke-Zwiespalt

Naja, vielleicht jetzt trotzdem einfachmal den eigenen Schrei ins Kopfkissen, der gewöhnlich peinlich berührt hinter verschlossenen Türen stattfindet, offenlegen, nein besser: aufdecken, und den Zwiespalt bespiegeln. Ich möchte in dieser Reflexion nicht an ein herkömmliches ‚Tod des Autors‘-Blabla anknüpfen. Nein. Keine Häutung, kein mir nichts, dir nichts Abziehen der Folien, ich scheiß auf quick fix Gewissensbesänftigung. Diese Person hat eine stimmliche Reichweite, Leid und Lebensrealität einer Gruppe von Menschen degradiert und ich les das jetzt, PUNKT, heißt zahle Geld für ein Buch, heißt unterstütze sie, heißt trage zur Aufrechterhaltung und Erweiterung dieser Reichweite bei. Ich denke, dass viele von uns sich bereits das ein oder andere Mal in einer solchen Position gegenüber dem Kulturkonsum wiedergefunden haben – vor allem was den Literaturbetrieb angeht, schlagen die Arschlochalarmtrommeln ja leider auf 500bpm (Mama Potter …). Es ist eine anhaltende Zwickmühle in der Rezeption von Kunst.

  Mit zum Zerriss bereiten Fingern

In der Nachtkritik spricht sich Gabi Hift durch ihre Rezension waghalsig für eine ‚Läuterung‘ des Autors aus. Vampieresk zuzelt sie an den Kellerzwischenzeilen des Texts und behauptet Handke gehe in dieser Neuerscheinung hart mit sich selbst ins Gericht. Diese Auffassung ist mir leider entgangen. Ich finde zum einen, dass dies eine Fehleinschätzung ist, da im Text ausschließlich von der Lebensrealität des Großvaters im Zusammenhang des 1. und 2. WK die Rede ist und kein Wort über die Geschehnisse in Bosnien fällt. Zum anderen ersetzt eine kurze Passage in einem künstlerischen Text wie die folgende – und ich gebe zu, sie bietet Möglichkeit zu einer bestimmten Auslegungsweise – nicht ein öffentliches Zugeständnis eigener ‚Fehleinschätzungen‘ samt Entschuldigung: „Trotzdem: Lass hören, Freund. Was du vor dich hin stammelst, verspricht Politisches. Etwas, das einem, und nicht bloß einem, die Ohren spitz macht. Zeit, dass dir das endlich zu Bewusstsein kommt, höchste Zeit. Schluss mit all deinen Idiotengeschichten. Große Geschichte: Historie! ‚Ja, da schau her!`“  

Nachdem ich mir Zwiegespräch besorgt hatte, trat ich mit der festen Überzeugung einer kritischen Lektüre – besser gesagt mit zum Zerriss bereiten Fingern und Augen – an den Text heran. Schon nach den ersten Seiten wurde mir bewusst, dass mir Eintritt und Zugang zur Sprache, und dementsprechend die Freude am Lesen, verwehrt blieb. Wohl oder übel musste ich etwas an Intention und Anspannung, an polemischen Mundwutschaum verlieren. Naja, und dann hat sich mir der Text eben geöffnet, und dann ist halt diese ganze greissche Handke-Sprachgewalt auf mich losgestürmt.

Gegenwärtigkeit in der Zwischenzeit

Im Buch wird ein Zwiegespräch eröffnet, ein gleichsam er- und entinnerndes. Zwei Stimmen, jeweils nur von Absätzen getrennt, die ineinanderfließen und sich ergänzen, wandern auf zwei unterschiedlichen Wegen des Andenkens erlebter Eindrücke. Verschränkt wird Spiel und Erzählung, Erinnerung und deren zeitlose Gegenwärtigkeit. Die eine erinnert den Großvater, eine Spielernatur, ein Rumtreiber, die andere den Eindruck einer in der Kindheit gesehenen Theaterkulisse, durch welche eine lebenslange Erwartung geweckt und die Annäherung an die Gegenwärtigkeit des Moments verkörpert wurde. Am Theater erschien Handke das Leben, im Schreiben sammelt er dessen Feinstaub.  „Genug jetzt ins Leere geschaut. Von Leere keine Rede. Nur hat die sich in der Zwischenzeit bevölkert. Will sagen: hat sich belebt. Die Bevölkerung lässt freilich noch auf sich warten. Aber, was wird das, jetzt und jetzt, dann für ein Auftrieb und Auftritt sein? Solch eine Bevölkerung, solch eine Szene hat die Welt – will sagen: hab ich – noch nie und nirgends gesehen.“

Es ist ein fast, sorry für dieses Wort, liminales Erlebnis von Zeitlichkeit in Handkes Texten. Fließende Bilder im Dunkel einer Zwischenzeit, die Raum und Zeit zugleich ist und beides auflöst. Was bleibt ist Wahrnehmung, was bleibt ist Moment. Durchgängig korrigiert sich der Autor im Text in seiner Verwendung von Zeitlichkeit und überführt die Vergangenheitsform ins Präsenz. Die Gegenwärtigkeit von Erinnerung wird spürbar, zeitentkoppelt, denn es gibt nur eine: den Moment der Erfahrung, der Wahrnehmung. Und diesen Moment zu packen, zu konzentrieren, ist die große Stärke Handkes. „Neben den Haustürstufen, fünf, schön ungerade Zahl, ein Motorrad, geparkt spürbar erst vor kurzem, Knacken im Getriebe. Niemand zu sehen in den zwei Etagen, und gleichwohl ohne Eindruck von Abwesenheit, jedenfalls keiner von Dauer. Augenblick um Augenblick Anwesenheit, Fülle der Anwesenheit. Ah, vergessen: Der Kinderwagen unten am Sockel, angerostet, aber immerhin.“

 Fragility zertreten/ Ambivalenz aushalten

Wie sich also verhalten, wenn unangenehme und problematische Menschen gute Literatur hervorbringen? Wo sich positionieren? Womöglich genau dort im Dazwischen. Ich bin eben der Meinung, dass öffentliche Äußerungen und Auftreten von Autor*innen nicht einfach aus der Rezeption ihrer Texte weggerändert werden können. Es ist notwendig eine klare Position einzunehmen, sich, vor allem von einem weisen, cis-männlichen Standpunkt aus, als Verbündeter von diskriminierten Gruppen zu zeigen. Und gleichzeitig muss die Ambivalenz zwischen ideologischer Ablehnung und Wertschätzung, in diesem Fall gegenüber der Sprache, ausgehalten werden. In Bezug auf Peter Handke schreibt Wolfram Lotz eben diesbezüglich: „Handke ist ja in den Texten immer so anwesend und zugleich als Person für mich eben nicht auszuhalten, was das Lesen so ambivalent macht, aber diese Anwesenheit des Schreibenden in den Texten, das ist so unangenehm, und andererseits: So unerlässlich, weil nur so erzählt das ja was.“

Unsere fragility muss im Licht einer authentischen und reflektierten Auseinandersetzung zerschlagen werden. Es gibt hier zwangsläufig kein Entweder-Oder, der Zwiespalt ist da und wir hocken drin und das ist zu akzeptieren.

Trotzdem und gerade deshalb, und das schließt sich nicht aus, muss endlich, vor allem im Literaturbetrieb, Platz für die Diversität von Autorinnen gemacht werden. Das heißt auch mal keine solche Texte wie meinen hier zu schreiben, nach mir Sintflut, nach mir mal nix mehr, ja? Ok. Außerdem muss auch die finanzielle Unterstützung unlängst schon Kanonisierter geschwächt werden. Das heißt, ich ruf jetzt vielleicht einfachmal zum Raubkopieren als Alternative auf, zapfen wir die Buchstabensuppe des Internets leer. Lest und gebt weiter. Und geht auch mal Bücher klauen!

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