Altherrenwitze und hysterische Monster

Das Ende der langjährigen Intendanz des Theaters an der Gumpendorfer Straße (TAG) steht bevor – und zum Abschied gibt es sexistisches Meta-Theater. Eine Rezension zur Werwolfkomödie Der Sumpf des Grauens und ein Blick in die Zukunft.

© Anna Stoecher

Abschiedsschmerz am TAGesende?

Das Theater an der Gumpendorferstraße (TAG) steht vor einem Umbruch: Ab April 2025 wird Sara Ostertag die künstlerische Leitung nach zwanzig Jahren von TAG-Gründungsmitglied Gernot Plass übernehmen. Der anstehende Wechsel wird nicht kleingeredet: Im Foyer hängen Ensemble-Erinnerungsfotos im nostalgischen Sepiaton, der Kurzdokumentarfilm Sie geben jetzt alles soll das besondere Flair und den Alltag des mittelgroßen Ensembletheaters revuepassieren lassen.

Die beiden letzten Produktionen – einmal Komödie, einmal Tragödie – besiegeln das Ende einer Ära, die Auflösung eines eingespielten Ensembles und den „Tod an der Gumpendorfer Straße (T.A.G.)“, der auch „unser aller Tod“ sei, wie Plass im Programmfolder zu Der Sumpf des Grauens – Eine Werwolfkomödie schreibt. Diese Produktion, aus der Feder von Kaja Dymnicki und Alexander Pschill, lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück – aber Abschiedsschmerz ist nicht dabei. Stattdessen denke ich: Der Wechsel ist überfällig. So kann es nicht weitergehen. Das ist nicht zeitgemäß, das ist nicht lustig, das ist doch bitte nicht euer Ernst. Gut, dass ihr abgelöst werdet. Und dass das der Eindruck ist, mit dem das TAG mir in Erinnerung bleiben will, macht mich tatsächlich traurig.

Einen Abschied mit einer Komödie zu zelebrieren, die bittere Pille mit Humor zu versüßen, das Theaterleben auf und hinter der Bühne metareferenziell aufs Korn zu nehmen, den Ernst der Lage mit Splatter-Trash-Theaterblut zu begießen, Hoch- und Popkultur zu vermischen, indem 70er-Jahre-Horrorfilm-Ästhetik auf Macbeth trifft – das ist alles legitim. Das könnte klappen. Das könnte das Theaterduo Kaja Dymnicki und Alexander Pschill schaffen, bekannt durch die Gründung des Bronski & Grünberg und, im TAG, durch die wirklich gelungene Ödipus-Produktion 2021. Wer, wenn nicht die beiden? 

Gar nicht mal so lustig

Was bei Ödipus. Eine Kriminalkomödie gut funktioniert hat, geht hier jedoch gewaltig schief. Damals war ich begeistert, wie Millennial-Befindlichkeiten in den antiken Stoff eingebaut wurden, wie harmonisch der Ibiza-Skandal zur Dinnerparty im Königshaus von Theben gepasst hat, wie witzig und treffend der Erwartungshaltung des Publikums ein Spiegel vorgehalten wurde. Komödien sind hohe Kunst: sie erfordern Feingefühl und genaue Beobachtung; sie leben vom Wechselspiel zwischen augenzwinkernder Gesellschaftskritik und hämischem Spott, sie müssen den Sweet Spot zwischen liebevollem Verständnis für menschliche Schwächen und abwertendem Sarkasmus punktieren. 

Arroganz und Zynismus werden idealerweise ausgehebelt. Weder die Schauspieler*innen noch die Zuschauer*innen sollen sich moralisch überlegen fühlen, sondern alle im selben Boot sitzen: Im gemeinsamen Lachen entsteht Verständnis dafür, dass das Leben kompliziert ist und niemand perfekt, also muss vielleicht nicht alles immer ganz ernst genommen werden. Natürlich können Komödien die Grenzen des guten Geschmacks ausloten. Aber es gibt rote Linien, die eine selbstbewusste Komödienproduktion für junges offenes Publikum nicht überschreiten sollte, wenn es cool, aktuell, kritisch und witzig sein will (und das wollen Dymnicki und Pschill, genauso wie das TAG). Sexistischer, billiger Humor ist so eine rote Linie. Und sie wird im Sumpf des Grauens auf so unsubtile, überhaupt nicht ironisch-gebrochene oder subversiv-kreative Art über zwei Stunden hinweg überschritten, dass es wehtut. 

Dumme Witze auf Kosten von Schwächeren sind nicht lustig. Frauenfeindliche Klischees, genauso wie rassistische, ableistische und klassistische Klischees, können komödiantisch eingesetzt werden – aber nur, wenn die Figur auf der Bühne, die sie bedient und vertritt, lächerlich gemacht oder am Ende geläutert wird. Wer zuletzt lacht, sollte nicht der weiße diskriminierende Macho in leitender Position sein. So weit sollte Theater im Jahr 2024 schon sein. Zumindest ein unabhängiges Theater, zumindest eine Mittelbühne, zumindest in einer Großstadt, zumindest wenn mehrere Frauen an der Produktion beteiligt sind… 

Meta-Theater und Regiewahnsinn

Dymnickis und Pschills Stück Der Sumpf des Grauens. Eine Werwolfkomödie erzählt von einem Theaterensemble, das sich auf die Premiere von Shakespeares Macbeth vorbereitet, dem Stück, auf dem ein Fluch liegt und das deshalb im Theateraberglauben nur „das schottische Stück“ genannt wird. Die Proben verlaufen fluchgemäß mühsam: Der Regisseur, gespielt von Stefan Lasko, verlangt (nicht völlig unrealistisch) absurde Hingabe von seinem Ensemble und wird dafür gefürchtet, vergöttert und/oder skeptisch beäugt. Er ist eitel, unfair, toxisch, manipulativ und durchwegs unerträglich, wahrscheinlich beabsichtigt und überzeugend nervtötend. Im Ensemble gibt es den nicht besonders originellen Zickenkrieg zwischen einer jungen und einer erfahreneren Schauspielerin; Lisa Weidenmüller und Michaela Kaspar machen das Beste aus diesen undankbaren Rollen. Ida Golda ist als exzentrisches Ensemblemitglied und Bauchrednerin großartig, ebenso Helena Hutten als Werwolf – warum letzterer ein Wolf und keine Wölfin ist, verstehe ich nicht, aber zumindest hat das grausame Fabeltier keinen Sprechtext und kann somit keinen problematischen Blödsinn von sich geben. Ein Umstand, für den ich aufrichtig dankbar bin. 

Schlimm sind vor allem die Herrenrollen: Gernot Plass als gottgleicher Intendant Pongo, Emanuel Fellmer als fragil-männlicher Ulrik und Jens Claßen als ewiggestriger Ramses. Fast tut es mir für die Schauspieler leid, dass sie solche Altherrenklischees spielen müssen. Aber nur fast, denn sie genießen sichtlich, dass sie nicht nur den größten Redeanteil haben, sondern auch die meisten Lacher aus dem Publikum bekommen, nämlich immer dann, wenn sie sich auf widerlich gefällige Art über feministische Themen lustig machen. Es wird gelacht, wenn Ulrik beim Wutausbruch seiner Kollegin eine Erektion bekommt (bin ich Killjoy-Feministin, wenn ich das nicht lustig finde?). Es wird gelacht, wenn Pongo am Ende von einem gottgesandten Virus spricht, das die Menschheit ausrotten soll (bin ich paranoid, wenn mich das an „Plandemie“-Verschwörungstheorien erinnert?). Und vor allem wird gelacht, wenn Ramses mansplaint, andere Ensemblemitglieder mit langweiligen Fakten aus der Filmgeschichte unterbricht und immer und immer wieder die rhetorische Frage stellt: „Darf man das überhaupt noch sagen?“ 

Der Witz dabei geht nicht auf seine Kosten: Er bleibt am Ende übrig, er bleibt am Leben, während das restliche Ensemble dem Werwolf zum Opfer fällt. Der widerliche Chauvinist, der im Kampf für soziale Gerechtigkeit nur lächerliche Sprachpolizei sieht, der sich mit haarsträubender Sturheit weigert zu sehen, dass Sprache Realität abbildet und mitgestaltet oder dass Sexismus reale und mitunter auch tödliche Folgen hat, hat das letzte Wort und erntet die meisten Lacher. Ein Charakter wie Ramses kann einen Platz in einer Komödie haben, aber nur, wenn er gestürzt und karikiert wird. Es ist nicht lustig, wenn er am Ende der Sieger ist. Was in der Realität viel zu oft passiert, ist kein Stoff für einen leichten Theaterabend, der sich als Komödie verkauft. 

Die traurigen Fakten

Von allen seinen unerträglichen Aussagen ist vielleicht eine Replik besonders ekelhaft: „Alle suchen den Mörder, da wird also nicht gegendert. Ärztinnen wollen sie sein, Lehrerinnen, Schauspielerinnen, aber Mörderin will dann wieder niemand. Oder Nazi – da heißt es dann nicht Nazinnen. Der Nazi und der Mörder sind immer Männer. Und das soll Gleichberechtigung sein…“ Erstens stimmt das nicht: die Abkürzung Nazi ist genderneutral, die Pluralform Nazis wird für Männer und Frauen verwendet; und Menschen, die auf genderinklusive Sprache wertlegen, sagen und schreiben sehr wohl auch Mörder*innen und Verbrecher*innen.

Zweitens sind weibliche Täterinnen in allen Film- und Literaturgenres überproportional stark vertreten; dass bei Verbrechen immer zuerst an männliche Täter gedacht wird, ist also nicht richtig. Drittens – und das sollte, wenn nicht der Figur Ramses auf der Bühne, so zumindest den Autor*innen bewusst sein – sind statistisch gesehen leider die meisten Täter Männer und die meisten Opfer Frauen. Es ist kein Sakrileg, die Themenbereiche Mord und mangelnde Gleichberechtigung im selben Atemzug zu nennen; sie hängen zusammen, allerdings auf ganz andere Weise, als Ramses es darstellt. Die meisten Gewaltverbrechen und die meisten Morde werden von Männern verübt, wie leicht überall nachgelesen werden kann. Generalisierend von Mördern statt von Mörder*innen zu sprechen, ist vielleicht ungenau, aber zahlenmäßig näher an der traurigen Wahrheit. Darüber einen Witz zu machen, ist geschmacklos. 

Geschmacklos ist auch die Engführung von Weiblichkeit und Monstrosität, die im Hysterie-Monolog am Ende klar zutage tritt: Die übersensible naive Frau, die ihre Gefühle nicht kontrollieren kann, wird zur Bestie, zur Furie, die alle in den Untergang treibt, und das alles nur, weil sie mit ihrem Leben überfordert ist, als Kind nicht geliebt wurde und keinen Apfelstrudel mit Vanillesauce mag. Der logische Zusammenhang bleibt aus, doch die Botschaft kommt klar an: Die junge Frau nimmt sich viel zu wichtig und ist in ihrer Aggressivität lächerlich, Gott (!) weist sie am Ende in die Schranken. Und das soll lustig sein? Leider findet diese Botschaft Zustimmung, auch im altersmäßig gut durchmischten Publikum des TAGs. 

Wie kann es sein, dass an dieser Produktion so viele Frauen beteiligt waren und niemand etwas dagegen unternommen hat? Wie kann es sein, dass dieses Stück erfolgreich ist? Wie ist es möglich, dass eine Schulklasse sich danach noch auf der Bühne fotografieren lassen will? Sind das schon die neuen alten Zeiten? Wieso merkt ein gemeinnütziges Theater, das sich laut Website der Nachhaltigkeit, den fairen Arbeitsbedingungen im Kulturbereich und der Neuinterpretation traditioneller Stoffe verschreibt, nicht, dass es hier Witze auf dem Niveau rechter Parteitage macht? Ungleichheit zu verspotten, ist vielleicht die tiefste Form von Humor. Wenn das TAG-Ensemble und die künstlerische Leitung das lustig finden, ist es Zeit, von ihnen Abschied zu nehmen. Dann haben die Charaktere auf der Bühne es verdient, von Werwölfen zerfleischt zu werden. 

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