Am Fenster zum Hof
Vorhang auf für The Woman in the Window – das beste Beispiel dafür, warum große Namen allein noch keine Garantie für einen Erfolg sind.
Vorsicht: kann Spoiler enthalten!
Dass Alfred Hitchcock ein Großmeister seines Fachs war, ist wohl unbestritten. Auch dass sein perfider Thriller Das Fenster zum Hof von 1954 bis heute zu seinen besten Filmen zählt – und nach wie vor ein Meilenstein des Genres darstellt – ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. An ebendiesen Klassiker fühlt man sich stark erinnert, wenn man sich die Handlung von The Woman in the Window anschaut.
Stell dir vor, du siehst einen Mord und niemand glaubt dir
Eine Frau beobachtet durchs Fenster einen Mord in der Wohnung gegenüber. Diese Frau ist Kinderpsychologin Anna Fox (Amy Adams), die an Agoraphobie leidet und deshalb ihr Haus nie verlässt. Die Ermordete ist Jane Russell (Julianne Moore), frisch eingezogen, der gegenüber sich Anna eben erst bei einem Glas Wein öffnete. Da Anna halluzinogene Medikamente schluckt, glaubt ihr natürlich niemand, als sie von ihrer nächtlichen Beobachtung erzählt – weder die Polizei, noch ihr Untermieter, noch ihr Ex-Mann. Als das vermeintliche Mordopfer dann quietschlebendig, jedoch mit völlig verändertem Äußeren wieder auftaucht, ist ihre Glaubwürdigkeit endgültig dahin. Also versucht sie selbst Beweise aufzutreiben. Klingt schon mal vielversprechend.
Schaut man sich dann noch die Liste der Namen an, die bei dem Film die Finger im Spiel haben, hebt dies die Erwartungen noch höher. Die sechsfach oscarnominierte Amy Adams in der Hauptrolle führt den Cast an, umgeben von weiteren Schauspielgrößen wie Gary Oldman, Julianne Moore, Jennifer Jason Leigh und Anthony Mackie. Auf dem Regiestuhl sitzt kein geringerer als Joe Wright, der mit Stolz & Vorurteil, Wer ist Hanna? oder Die dunkelste Stunde bewiesen hat, dass er in jeglichen Genres für Furore sorgen kann. Das Drehbuch stammt von Pulitzer-Preisträger und Tony Award-Gewinner Tracy Letts, basierend auf dem Debütroman des Amerikaners A.J. Finn, welcher 2018 die Bestsellerliste der New York Times stürmte. Und auch in den Bereichen Musik, Kamera und Editing kann die Namensliste auf demselben Niveau weitergeführt werden.
Zusammengefasst: Handlung und Ausführende klingen hochkarätig, die Filmwelt blickt gespannt wie ein Flitzebogen auf die Veröffentlichung bei Netflix am 14. Mai. Was dann folgt, sind 100 Minuten Ernüchterung.
Auf seine alten Tage: Gary Oldman als Fast-Farce
In der ersten Hälfte soll kontinuierlich Spannung aufgebaut werden, was gründlich fehlschlägt. Zwar mag das bewusst langsame Erzähltempo zu Beginn als Stilmittel noch gut funktionieren, doch wenn sich plumpe Dialoge und eine beinahe non-existenter Plot dazugesellen, verkommt der Filmstart zur langweiligen Genreroutine. Auch die Figuren helfen nicht. Amy Adams spielt zwar engagiert, der Sympathie-Funke springt jedoch nicht. Gary Oldman scheint unterfordert und verkommt, als er Anna mit den Worten „You’re f***ing with the wrong family!“ bedroht, beinahe zur lächerlichen Farce.
Auch nach dem zentralen Mord lässt The Woman in the Window kalt und bleibt monoton. Doch im letzten Drittel scheinen die Filmemacher das verlorene Tempo wettmachen zu wollen und ganz unvermittelt passiert vieles aufs Mal. Und dann ist der Film, nach einem sich vorankündigenden Twist, plötzlich fertig – ohne wesentlich spannend, gruselig oder berührend gewesen zu sein.
Wenn die Entstehung spannender ist als der Film selbst...
Was am ehesten dazu hätte beitragen können, sind die visuellen Elemente. Die Kameraführung ist genial und die Bilder stimmig montiert. So erinnert wenigstens das Optische an den unterschwellig präsenten Genre-Übervater Hitchcock, der an einigen der großartigen Shots seine wahre Freude gehabt hätte. Doch alles in allem ist das Spannendste an The Woman in the Window nicht der Film selbst, sondern dessen Produktionsgeschichte, welche von Verzögerungen, fehlgeschlagenen Testvorstellungen, Nachdrehs und ausgewechselten Crew-Mitgliedern durchtränkt ist. Und das ist leider Aussage genug.
The Woman in the Window ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man einen Bestseller in einen Film verwandeln will, dafür aber zu wenig Handlung vorhanden ist. Und auch dafür, dass große Namen und ein ebenso großer medialer Rummel noch keinen Erfolg ausmachen.