Bohema Magazin Wien

View Original

„Es ist ein Film über Isolation und Einsamkeit – von allen.“

Kurdwin Ayub spricht über ihren neuen Film Mond, die Dreharbeiten in Jordanien, Machtverhältnisse zwischen Nahost und West, Florentina Holzinger, weiße Machtlosigkeit und Prinzessin Latifa als Inspiration.

© Elias Partoll

Kurdwin Ayub macht sich in Österreich einen Namen. Als österreichisch-kurdische Filmemacherin will sie realistische Geschichten aus dem Spannungsfeld beider Kulturen erzählen und hat damit Erfolg. Nach Sonne (2022), wurde auch Mond (2024) von der Ulrich Seidl Filmproduktion produziert. Mond wurde in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet und war auf der diesjährigen Viennale zu sehen. In dem Film reist die Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger) für einen neuen Job aus Wien nach Jordanien. Dort soll sie drei Töchter einer reichen Familie trainieren - Mixed Martial Arts seien dort jetzt im Trend. Kurdwin Ayub reflektiert im Aufeinandertreffen der jungen Frauen aus unterschiedlichen Kulturen das Erleben von Gefangensein und Machtlosigkeit. Sie hält dem österreichischen Publikum einen Spiegel vor, indem sie altbekannte Klischees aufgreift und sie dann wieder bricht. Gleichzeitig scheut sie nicht davor zurück, Machtmissbrauch im Nahen Osten zu thematisieren. Mond spielt ganz bewusst mit der Erwartungshaltung der Zuschauenden - die weiße Superheldenfigur und ein Happy End bleiben aus.

Geschichten aus der Realität erzählen

Bohema: Du beschreibst dich manchmal als untypische Regisseurin. Wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben? Was macht Filme von Kurdwin Ayub aus?

Kurdwin Ayub: (lacht) Das ist schwer. Ich glaube, ich bin eine Geschichtenerzählerin - Geschichten aus der Realität. So langsam mache ich schon auch klassisch Regie, aber ich glaube, weil ich mit verschiedenen Leuten arbeite, die nicht aus der Filmbranche kommen, ist es doch anders. Mit Performern, Kabarettisten, Influencern, Musikern. Oder weil ich keine klassischen Skripte mit Dialogen schreibe, sondern eher mit Improvisation arbeite. Wobei die dann eh auch sehr geführt ist.

B: Wie kann man sich dann dein Drehbuch vorstellen? Oder deinen Arbeitsprozess?

KA: Naja, es wäre natürlich romantisch, wenn ich nur die Kamera hinhalten würde und es passieren coole Dinge. Es ist schon sehr geführt. Alle wissen, was sie tun müssen. Die erste Szene ist meistens etwas freier und dann bauen wir auf diesen Take auf. Und dann wiederholen wir das und machen vielleicht ein paar Varianten davon. Ich mache immer Varianten mit verschiedenen Emotionen.

B: Das heißt, in deinem Drehbuch stehen keine ausgearbeiteten Dialoge?

KA: Es ist geschrieben wie eine Geschichte. Das mag ich schon gerne. Auch für die Leute die es lesen ist das viel cooler. Ein Drehbuch zu lesen ist… langweilig.

B: Auch deine Hauptdarstellerin in Mond ist keine ausgebildete Schauspielerin. Wie kam es dazu, dass du dir Florentina Holzinger ausgesucht hast?

© Elias Partoll

KA: Als ich den Film geschrieben habe, habe ich eine BBC Doku über Prinzessin Latifa gesehen. Mit ihrer Capoeira-Lehrerin, die aus Finnland kam, hat sie einen Fluchtversuch aus dem Königreich von Dubai gestartet. Und es hat mich inspiriert - der Fluchtversuch ist gescheitert, aber ich fand es so interessant, dass diese europäische Lehrerin dann hier in Europa gesessen ist und heil davongekommen ist und dann nichts mehr weiter passiert ist. Egal was die Prinzessin Latifa erzählt hat - wie oarg es is - es wurde ihr nicht geglaubt, oder es war jedem Wurscht. Das hat mich dazu inspiriert, diese Geschichte zu schreiben. Weil ich Flos Arbeiten kenne, ihre Shows, und sie großartig finde, weil sie so eine arge, taffe Präsenz hat auf der Bühne und ich wusste, dass sie Kampfsport gemacht hat, war sie sofort die erste Wahl. Ich hab sie angerufen – die Branche ist ziemlich klein, man kennt sich irgendwie – und ich hab ihr gesagt: „Ich schreib gerade ein Buch mit dir im Kopf.“ Das fand sie cool und dann haben wir eine Zeit lang dran gearbeitet. Sie hat sich nicht zugetraut zu spielen und meinte, sie weiß nicht ob sie das kann. Dann haben wir immer wieder Dinge ausprobiert, dann kam das Vertrauen und so hat sie zugesagt.

B: Das heißt, die Figur Sarah gab es aber bereits bevor du Florentina Holzinger im Kopf hattest?

KA: Ja… aber als ich dann Florentina im Kopf hatte, habe ich es schon auch ein bisschen an sie angepasst. Aber ich muss sagen, dass Flo nicht Sarah ist im Film. Flo würde ganz andere Dinge machen zum Beispiel. Aber die taffe Persönlichkeit, ihr Wesen – das ist schon sie.

Rollenumkehr und naive weiße Gutmenschen

B: Unsere Artikel bei Bohema beginnen immer mit Prozentangaben, drei meistens, die kurz den Film oder die Person um die es geht beschreiben. (zeige ihr ein Beispiel) Wie würdest du Mond mit drei Schlagworten in Prozentangaben einleiten?

KA: 100% Eingesperrtsein, 50% Machtlosigkeit – muss alles nachher 100% ergeben?

B: Nein das ist egal.

KA: Dann 80% Machtlosigkeit und 30% Naivität.

B: Naivität von –

KA: Von allen Figuren.

B: Du spielst gerne mit Klischees in deinen Filmen, und mit Situationen in denen man sich selbst wiedererkennt. Welche Stereotype greifst du mit Mond auf und mit welchen brichst du aber auch wieder?

KA: Ich habe mit Mond versucht zu erzählen, dass sich Gesellschaften heutzutage langsam verändern, wenn es um Macht oder Weltmächte geht. Die Europäerin geht jetzt als Arbeitsmigrantin in den Nahen Osten und glaubt, dort ein besseres Leben zu führen. Auch wenn es nur für zwei, drei Monate ist. Es hat mich so interessiert, dass wenn sie dort ist und Dinge erlebt und dann zurückkommt, dass das Erlebte im Grunde egal ist. Weil die haben mächtigere Positionen, das hat sich geändert, finde ich. Die Golfstaaten, Russland, China, Indien - wenn man jetzt nach Postkolonialer Theorie geht, dann ist das alles noch ein Erbe und bla - sie leiden alle drunter – aber es hat sich irgendwie geändert. Das finde ich spannend. Aber trotzdem gibt es dann noch diese Art von Gutmenschen, die weiße Frau die dann dort hingeht und aus der Naivität heraus glaubt: „ich kann ihnen helfen“. Dann aber am Ende des Tages nicht den Mut dazu hat, und zurückkommt. Ich wollte die Erwartungshaltung der Leute im Publikum zügeln. Wenn sie den Film schauen und glauben Sarah rettet jetzt alle…. no, das wird nicht so passieren.

B: … und deine weiße Retterin ist ja auch noch Kampfsportlerin.

KA: Ja, ja genau.

B: Das ist aber besonders interessant. Sie geht dort hin um die Schwestern, die dort eingesperrt und unterdrückt werden zu trainieren - in einer Kampfsportart. Und eigentlich darf sie aber sehr viele andere Grenzen nicht überschreiten. Aber sie wurde dort angestellt um die Mädchen zu Kämpferinnen zu machen.

KA: Ja sehr widersprüchlich. Aber ich glaube sie wussten: es wird nichts passieren. Da ist dieser Glaube, dass wenn eine Europäerin dort ist – sie glauben nicht daran, dass Europa irgendwas unternehmen würde.

B: Hmm, ok.

KA: Oder? Ich mein wir lassen auch die Leute im Meer versinken.

B: Aber man hätte sich doch erwarten können, dass sie es wenigstens versucht, bzw. irgendeinen Einfluss auf die jungen Frauen haben wird.

KA: Ja sie hat es ja eh versucht, aber in dem Moment, wo man dann wirklich ihren Mut abverlangt hätte, hat sie es dann nicht geschafft. Eh verständlich! Also ich will jetzt auch niemanden judgen. (lacht) Und ich mein sie kommt zurück und wir erkennen halt auch, dass die Frauen hier in irgendwelchen Systemen gefangen sind.

B: Sarah ist dann so abrupt wieder in Wien, nachdem die Rettungsaktion scheiterte. Aber ganz am Ende sitzt sie wieder im Auto und man hat das Gefühl sie fährt wieder durch die Wüste in Jordanien. War diese Szene als Rückblick gedacht, oder eher so, dass man denkt, sie geht nochmal zurück und versucht –

KA: Was hast du gedacht?

B: Ich dachte, sie ist zurückgekehrt. Weil sie einfach noch mehr Antworten finden will.

KA: Ja es ist offen. Also man kann sich alles denken. Viele denken es sei ein Rückblick, viele haben sich gedacht, dass sie einen neuen Job annimmt dort, manche haben sich gedacht: „Oh Gott, sie versucht‘s jetzt wirklich sie zu retten?“. Aber ja ich hab’s offengelassen damit sich Zuschauende einfach Gedanken machen.

B: Das erreichst du auf jeden Fall.

© Elias Partoll

Filme machen im Nahen Osten

B: Du hast ja hauptsächlich in Jordanien gedreht. Gab es einen Grund für Jordanien? Wieso eigentlich nicht im Irak oder in Saudi-Arabien?

KA: Naja das Ding ist halt, im Irak kann ich nicht drehen aus Sicherheitsgründen. Die Golfstaaten sind sehr schwierig wegen Zensur. Jordanien ist ein sehr liberales Land, im Sinne von, dass man dort drehen kann, und es ist trotzdem konservativer als Libanon oder so. Es gibt da so Abstufungen. (lacht) Ich wollte halt eigentlich im Irak drehen, aber das ging halt nicht. Deshalb habe ich ein Grenzgebiet gesucht, das ähnlich ist von der Mentalität. Dann war Jordanien sehr schnell im Spiel, weil viele reiche irakische Großfamilien nach Amman ausgewandert sind während dem Krieg.

B: Welche Schwierigkeiten, oder vielleicht auch Vorteile, ergaben sich für dich beim Dreh in Jordanien? Im Vergleich zu Österreich…

KA: Ein Vorteil ist, dass ich die Mentalität bereits von meiner Familie kenne. Das ist ja alles von der Wärme und der Kultur her ähnlich. Es war für mich sehr familiär. Aber trotzdem gab es natürlich Schwierigkeiten, z.B. sollte man im ganzen arabischen Raum eher die Finger von sexuellen Szenen lassen. Eine Netflixserie war davor dort und hat eine Kussszene mit jordanischen Mädels gedreht. Danach waren sie dort etwas misstrauisch, was wir dort machen. Das war ein riesiger Skandal dort. Dann mussten wir mal Vertrauen aufbauen und ich habe dann auch mit den Darstellerinnen zusammen am Buch gearbeitet um zu schauen, wie wir es verändern, damit sie das auch cool finden. Zum Beispiel war der Andria, der Nour-Darstellerin, die feministische Botschaft total wichtig. Weil sie ist ja eigentlich fame dort. Sie zu bekommen hat dazu geführt, dass andere dann auch mitmachen wollten.

von links nach rechts: Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker und Florentina Holzinger in Mond. © Ulrich-Seidl-Filmproduktion/Stadtkino Filmverleih

B: Ja ich habe gelesen, dass es schwierig war, junge Frauen zu finden, die dort schauspielern dürfen…

KA: Ja, genau deswegen – alle hatten Angst, dass sie in irgendwelchen sexualisierten Liebesszenen mitspielen müssen. Das ist halt schon noch Tabu dort. Aber als dann klar war, dass wir cool sind (lacht), sind sehr viele zum Casting gekommen. Es gibt sehr viele junge Frauen, die Träume haben und Schauspielerin werden wollen.

Patriarchale Strukturen und eine „Schizophrene“ die sich selbst anzündet…

B: Die Figur des Bruders ist im Film ja in gewisser Weise schon so der Patriarch, aber irgendwie auch wieder nicht. Man merkt auch, dass er nicht so viel Macht hat und auch selbst unterdrückt wird.

KA: Ja! Der Bruder ist – find ich – eine sehr coole Figur, in dem Sinne, dass er ja auch unter patriarchalen Strukturen leidet, er gern der Mann sein will, aber es auch nicht so mag. In seinem Kopf, in seinem System, ist er lieb. Er hat ‘ne Kampfsportlerin für seine Schwestern gesucht. Er will ihren Wunsch erfüllen. Er will seinen Schwestern helfen. In seinem Kopf versucht er, dass es gut läuft.

B: Gab es einen bestimmten Grund dafür, eine vierte Schwester, die psychisch krank ist, einzubauen? Hätte es nicht schon ausgereicht zu zeigen wie die drei gesunden Schwestern unterdrückt werden?

KA: Naja es ist halt so, das kenn ich von meiner Familie, wenn irgendwas schiefläuft, sagt man gern: „sie ist psychisch krank“. Das ist ja hier auch so mit „Hysterie“. Und ich wollte eben Selbstverbrennung bei Frauen thematisieren, weil ich zeigen wollte, dass das och ein Thema ist im arabischen Raum. Sie verbrennen sich, weil sie zum Beispiel im Haus des Mannes unzufrieden und unglücklich sind, und sich aus Protest so umbringen. Das war mir wichtig, dass das auch in dem Film vorkommt.

Sonne, Mond und... Sterne?

B: Sonne war dein erster Spielfilm. Jetzt folgte Mond. Geplant ist eine Trilogie: Sonne, Mond und Sterne.

KA: Mmmh – ich weiß noch nicht, weil alle sagen es ist eine Trilogie, aber ich hab’s eigentlich nie gesagt. Aber ja ich mach einen nächsten Film. An dem arbeiten wir schon. Arbeitstitel ist Sterne, aber vielleicht heißt er auch ganz anders. Aber es geht um eine amerikanische Journalistin, die 2014 in Mossul ist, da war ja die Blitzoffensive vom Islamischen Staat, als sie Mossul eingenommen haben. Und es geht um ihren Fluchtversuch aus der Stadt.

B: Okay. Also wenn es keine Trilogie ist, dann ist die Frage vielleicht ein bisschen blöd aber hast du dir überlegt, dass die drei Filme irgendwie thematisch zusammenhängen?

KA: Ja sie hängen in dem Sinn zusammen, dass es eben diese Hass-Liebe zwischen Nahost und West ist und dieses Hin und Her und Identität und Flucht, die Frage wen es wohin bewegt.