Übersetzungsspiele und Sprachgeister

Der Film Die Bedürfnisse einer Reisenden von Hong Sang-soo offenbart die Macht der Sprache, selbst wenn man diese noch gar nicht versteht.

© Filmgarten

Die Bedürfnisse einer Reisenden ist nach In another country und Claire’s Camera der dritte Film in Hong Sang-soos inoffizieller Isabelle-Huppert-Trilogie. In allen Filmen spielt Huppert eine ins Leben geworfene Figur, die sich auf konstanter Suche befindet; einem mäandernden Geist ähnelnd, zu dem sich die anderen Figuren sowie das Publikum positionieren muss. In Die Bedürfnisse einer Reisenden spielt Huppert die Französin Iris, die als nicht ausgebildete Sprachlehrerin mit einer ungewöhnlichen Methode verschiedenen Personen in Seoul begegnet. Ihr Ansatz besteht darin, mit ihren SchülerInnen hauptsächlich in gebrochenem Englisch zu kommunizieren und ihnen persönliche, fast schon intime Fragen zu stellen. Die Antworten werden von Huppert auf Französisch übersetzt und sollen dann ständig wiederholt werden.

Mit gebrochenem Englisch scheint der Regisseur die perfekte Sprache für seine Filme gefunden zu haben; weder für Huppert noch für die koreanischen SchauspielerInnen - alle natürlich Hong-VeteranInnen – ist Englisch die Muttersprache. In Hong Sang-soos Filmen bleibt oft etwas Ungesagtes bzw. Unaussprechbares, das wiederum Leerstellen eröffnet, die mit Trivialitäten gefüllt werden - die für seine Filme üblichen unangenehmen Pausen und Missverständnisse werden durch Sprachbarrieren noch einmal verstärkt. Sprache ist in seinen Filmen postbabylonisch, spricht über sich hinaus und ist gerade unter Alkoholeinfluss oft nicht beherrschbar, weshalb Charaktere und Publikum vor den Kopf gestoßen werden und gezwungen sind, sich dazu zu positionieren.

Gleichzeitig zeigt der Film die Universalität von Sprache als Möglichkeit des emotionalen Ausdrucks. Hupperts Methode verweigert sich, Sprache als rein funktional anzusehen. Sie ist mehr als nützliche Kommunikation. Die Bedürfnisse der Reisenden gehen eben über etwaige Richtungsanweisungen oder Restaurant-Bestellungen hinaus. Emotionale Aussagen berühren, auch wenn man die Sprache, in der die Aussage getätigt worden ist, nicht spricht. Der Effekt liegt irgendwo zwischen Form und Inhalt, zwischen Syntax und Semantik, im Unausgesprochenen der Sprache. Der Film setzt sich auf verspielte Weise mit den Metaebenen der Übersetzung auseinander. Gegen Ende des Films wird Huppert aufgefordert, eine im Internet veröffentlichte englische Übersetzung eines koreanischen Gedichts auf Französisch zu übersetzen. Dabei sind ihr die Wörter ,Dandelion‘ und ‚Magpie‘ nicht bekannt, sie erkundigt sich bei einer Passantin, für die sie das Gedicht übersetzen soll, nach der Bedeutung der Wörter, welche der Einfachheit halber mit ‚flower‘ und ‚bird‘ antwortet. Bei einer Übersetzung geht immer Etwas verloren und gleichzeitig wird Etwas hinzugefügt. Sprache ist Interpretation.

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Isabelle Huppert glänzt in ihrer Rolle als mysteriöse, undurchschaubare Iris, die nicht, wie so oft bei Hupperts Charakteren, von einer eisigen, distanzierten Aura umgeben ist, sondern eine Art ‚happy-go-lucky‘ Leichtlebigkeit an den Tag legt. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach ihrer Intention, da sie als Charakter unerklärt bleibt. Ihr Lieblingsgetränk Makgeolli – eine Art fermentierter Reiswein – symbolisiert mit seiner opaken, milchigen Farbe ihre Undurchsichtigkeit. So schwingt in ihrer Gestik und Mimik stets auch der Vorwurf der Manipulation mit. Sie gibt offen zu, keine Erfahrung und dementsprechend keine Erfolge mit ihrer Lernmethode zu haben und nimmt trotzdem Geld dafür. Die Interaktionen mit dem Ehemann einer Klientin, häufige körperliche Berührungen und ihr vermeintlich scheues Lachen, ließen sich als flirten auslegen.

Genauso bedient der Film die Konvention des gerade in Deutschland und Frankreich beliebten ‚Culture-Clash-Genres‘. Hupperts ungezwungene Art, direkte Fragen zu stellen und nicht aufzuhören oder sich mit Bussi links, Bussi rechts zu begrüßen, fordern die rigiden gesellschaftlichen Normen heraus und führen zur Irritation ihrer GesprächspartnerInnen. Sie besitzt eine geisterhafte Ausstrahlung und wirkt als Katalysator emotionaler Ausbrüche. Huppert ist nicht nur ein Geist, sondern beschwört mit ihren intimen Fragen auch Geister herauf. Ihre beiden SchülerInnen, eine Studentin (Kim Seung-yoon) und die Ehefrau (Lee Hye-young), werden durch die persönlichen Fragen mit vergangenen Beziehungen zu ihren Vätern konfrontiert - Ödipus lässt grüßen. Generell ist Die Bedürfnisse einer Reisenden ein Film über anwesende Abwesenheit, verstorbene Väter und vernachlässigende Mütter, die in den Alltag hereinbrechen.

Die Wiederholung spielt im Film, wie in der gesamten Filmografie Hong Sang-soos, eine signifikante Rolle. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die simple Kopie des schon Gegebenen, sondern um eine Wiederholung, die nicht zum Ausgangspunkt zurückkehrt, vielmehr den Prozess der Wiederholung mitdenkt und damit etwas Neues erschafft. Nachdem beide Schülerinnen unabhängig voneinander – eine auf dem Klavier und die andere auf der Gitarre – Musikstücke vorgespielt haben und dazu von Iris über ihre Gefühle befragt werden, geben beide nach einigem insistieren die gleiche Antwort. Zuerst verweisen beide auf ein oberflächliches Gefühl von Freude, welches jedoch wieder negiert wird. Zum Vorschein tritt stattdessen ein Gefühl der Unzulänglichkeit. In exakt den gleichen Worten beschreiben beide Schülerinnen unabhängig voneinander, enerviert darüber zu sein, dass sie nicht gut genug sind. Die präzise Duplizierung des Wortlauts verweist auf die produktive Wiederholung als Stilmittel. Es ist keine bloße Kopie, sondern wird im Kontext des zeitlichen Ablaufs betrachtet. Die Studentin spielt zuerst auf dem Klavier und später am Tag die Ehefrau auf der Gitarre. Die Wiederholung bezieht sich nicht auf die Gemeinsamkeit, sondern auf die Unterschiede, die erst durch die Wiederholung entstehen können.

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