Benedetta – Glaubenskrise und sexuelles Erwachen der Nonne
Agent Provokateur Paul Verhoeven verliert auch im hohen Alter die Lust an Sex und Gewalt nicht. Ein neuer Skandalfilm?
Oktober 28, Gartenbaukino (Viennale)
Dezember 1, Filmcasino
Wenn man sich mit den filmischen Werken Paul Verhoevens auseinandersetzt, braucht man in der Regel starke Nerven und Mägen. Filme wie Flesh and blood (1985) (ein Titel, der Verhoevens Oeuvre perfekt zusammenfasst), Robocop (1987), Basic instinct (1992), und Starship troopers (1997) hatten es seit jeher schwer, ungekürzt durch die Zensur zu kommen und wurden lang und breit kontrovers diskutiert, aber auch mitunter sträflich missverstanden.
Dass der mittlerweile 83-jährige Niederländer die Lust an der Provokation mit seiner Darstellung von Sex und Gewalt nicht verloren hat, beweist er mit seinem jüngsten Werk Benedetta, das nach mehrmaligen Verschiebungen seine Uraufführung bei den Filmfestspielen in Cannes im Juli 2021 feiern durfte und auch auf der heurigen Viennale zu sehen ist. Als Vorlage diente Verhoeven, der zusammen mit dem amerikanischen Autor David Birke auch das Drehbuch schrieb, das non-fiktionale Buch Immodest Acts der Historikerin Judith C. Brown, welches die wahre Geschichte der Nonne Benedetta Carlini erzählt.
Benedetta wird als junges Mädchen im 17. Jahrhundert in das Kloster von Pescia in der Toskana gebracht und erregt sehr schnell Aufsehen, als sie beim Beten vor einer Marienstatue von dieser fast erschlagen wird. Jahre später erlebt die erwachsene Benedetta (Virginie Efira) Visionen von Jesus Christus, die in ihr den Glauben wecken, Jesus‘ Braut zu sein und sein Werk weiterführen zu müssen. Sie gerät jedoch schon sehr bald in eine tiefe Glaubenskrise, als die junge Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) ins Kloster kommt und sich zwischen den beiden Frauen eine starke sexuelle Anziehung anbahnt. Als Benedetta beginnt, von den Wundmalen Jesus‘ zu bluten und in seiner Stimme Prophezeiungen von der herannahenden Pest auszusprechen, wird sie als Wunder und eine Art neuer Messias angepriesen. Dies ruft wiederum die skeptische Klosteräbtissin, Schwester Felicita (Charlotte Rampling) und den päpstlichen Nuntius (Lambert Wilson) auf den Plan, die Benedetta – und Bartolomea – entlarven wollen.
In gewaltigen, oftmals jedoch auch stark verwackelten Bildern erzählt Verhoeven eine packende, wenn auch etwas überladene Geschichte über Religion, Glaube, Bestimmung, Blasphemie und ja, Wollust, Sex und Gewalt. Kein Film von Paul Verhoeven wäre vollständig ohne das explizite Ausgestalten sexueller oder gewalttätiger Handlungen. Und wie in so ziemlich jedem seiner Filme gibt es auch hier wieder eine Szene, über die sicher noch lange gesprochen wird: war es vor knapp 30 Jahren Sharon Stones äußerst schlüpfrige Verhörszene in Basic instinct, so ist es hier die Zweckentfremdung einer kleinen hölzernen Marienfigur als Dildo. Es wäre aber natürlich viel zu einfach und plump, auch Benedetta auf seine Schauwerte zu reduzieren. Das Schauspiel, insbesondere die eindrucksvollen Darbietungen der beiden Hauptdarstellerinnen Virginie Efira und Daphné Patakia, ist bestechend, Anne Dudleys atmosphärische Musik verleiht dem Film seine eigene Aura.
Schockierend ist Benedetta nicht wirklich, dafür hat man, auch von Verhoeven, doch schon einiges gesehen. Einige Momente wirken dafür sogar unfreiwillig komisch. Die Zeiten, in denen religiöse Filme große Kontroversen auslösen, siehe William Friedkins The exorcist (1973), Monty Pythons Life of Brian (1979), oder Martin Scorseses Last temptation of Christ (1988), scheint längst vorbei. Den Vorwurf der Blasphemie, der Benedetta mitunter gemacht wird, weist Paul Verhoeven mit der Begründung zurück, dass der Film auf wahren Begebenheiten basiert. So oder so ist dieser Film, erst Verhoevens dritter seit seinem Abschied aus Hollywood vor über 20 Jahren, weder zu seinen besten noch zu seinen wirklich schlechten Arbeiten zu zählen. Benedetta ist aber der beste Beweis, dass der niederländische Altmeister seinen Drive noch lange nicht verloren hat.