Bruckner entstauben

Warum Bruckners Musik geil ist: Pablo Heras-Casado und Anima Eterna Brugge beim Grafenegg Festival.

Bruckner lohnt sich /// Bohema (c)

Ja, es ist so eine Sache mit dem Generalisieren. Doch ich behaupte jetzt einfach mal, dass die wahren Meisterwerke generell nicht zur Hauptsendezeit laufen, sei das im Kino, im Fernsehen – und auch in Konzerthäusern! Gewagt, ich weiß, weil sich natürlich gleich hunderte Gegenbeispiele finden lassen. Lassen wir es meinetwegen subjektiv-sonntägliche Intuition sein. Zumindest kam es am letzten Sonntag, nach der groß angekündigten und prominent besetzten Grafenegger Festivaleröffnung mit einem konzertanten „Fidelio“ am Wolkenturm, im Abseits des Auditoriums beim Matineekonzert zum Auftakt eines großangelegten Projektes mit dem internationalen Klangkörper Anima Eterna Brugge und Dirigenten Pablo Heras-Casado. Auf dem Programm: Bruckners 7. Symphonie.

Bruckner, der Underdog?

Ja, Bruckner! Und ich weiß, dass sehr viele ihn bzw. seine Musik gar nicht mögen. Der strenggläubige Katholik aus Oberösterreich wird und wurde ja meist nur belächelt wegen seiner Vergöttlichung Richard Wagners, dem „unerreichten, weltberühmten und erhabenen Meister“, wie er auf dem Titelblatt seiner 3. Symphonie vermerkt hatte. Für den sowieso schon als „Neutöner“ abgestempelten Komponisten kam das bei der Wiener Kritik natürlich gar nicht gut. Und auch heute: Bruckner ist irgendwie nicht fashionable (erst recht außerhalb von Österreich), er wirkt altbacken, klerikal, ländlich. Und da Bruckners Lebensende ungünstigerweise mit dem verbreiteten Aufkommen der Fotografien koinzidierte, ist er auf Bildern nun mal ein alter, weißer Mann. Obwohl er mit seiner 7. Symphonie in den 1880er Jahren einen späten Durchbruch feiern konnte, wird er das Bild des Alten und des Underdogs einfach nicht los.

Doch auf Bruckner muss man sich einlassen, ihn kennenlernen, ihm eine Chance geben, denn in seinen eindrucksvollen Symphonien steckt Magisches! Ich liebe Bruckner für seine gewaltigen Klanglandschaften, die Bilder, die er heraufbeschwört, die Gefühle und Emotionen, die er weckt und die seine Symphonien jedes Mal auf Neue entstehen lassen. Und für alle die, die nach wie vor zweifeln, ob an ihm oder der Klassik insgesamt: Hört doch einfach mal in die 4. oder 7. Symphonie rein, die ersten zwei Minuten reichen vollkommen aus. Correct me, if I’m wrong, aber ist das nicht wunderbar?

Klar, es ist auch eine Frage der Aufnahme! Denn so sehr ich Yannick Nézet-Séguins Brahms im Konzerthaus im Mai gefeiert habe, so wenig gefällt mir seine Vertonung von Bruckners 7., die ich als viel zu schleppend empfinde. Da war das am Sonntag eine ganz andere Hausnummer: frisch, bewegt, aufgeweckt und das sowohl vonseiten des Orchesters als auch Pablo Heras-Casados; höchstens über die aufgebauschten Rallentandi im 1. Satz könnte man streiten!

Heras-Casados Dirigierstil und Auftreten assoziierte ich irgendwie mit der Figur eines edlen Ritters; eines Ritters deswegen, weil er sowohl künstlerisches Feingefühl und eine gewisse Art von Unantastbarkeit als auch Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen in seiner Körpersprache an den Tag legte und die Musiker*innen von Anima Eterna Brugge mit ihm demzufolge in einer wunderbaren Symbiose standen. Dass in diese Symbiose viel Herzblut, jahrelange Vorbereitung und gegenseitige Dankbarkeit zu einem hohen Maße involviert waren, war weder zu überhören noch zu übersehen. Pablo Heras-Casado blieb auch nach Verklingen des letzten Satzes lange dem Orchester zugewandt stehen, blieb so im Austausch und drehte sich erst nach einiger Zeit zum Publikum um, das begeisterte Bravi-Rufe von sich gab.

Es freut mich sehr, dass sich Orchester und Dirigenten nach wie vor an Bruckner heranwagen und ihn uns näherbringen wollen!

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