Cow – Der Alltag der Kühe 

Andrea Arnold stellt diesmal nicht junge Menschen in den Mittelpunkt, sondern richtet ihren Blick auf eine Gruppe von Kühen und eröffnet damit eine interessante empathische Sicht. 

(c) Mubi

Andrea Arnold (American HoneyFish Tank) wagt sich in ihrem neusten Film an ein interessantes Konzept. Sie nimmt sich statt dem Leben junger Menschen - wie z.B. in American Honey - dieses Mal dem Leben einer jungen Kuh an und begleitet in Cow ein junges Kalb von dessen Geburt an über sein ganzes Leben in einem Viehbetrieb. Wir sehen unsere Protagonistin und ihre Mutter beim Essen, bei den immer wiederkehrenden Melk-Sessions oder beim Rumhängen mit den befreundeten Paarhufern. Arnold geht hier mit besonderer Empathie an seine Darsteller*innen heran, die sie auf interessante (halb)dokumentarische Weise durch den Alltag begleitet. 

Nicht-menschliche Tiere als Protagonist*innen 

Dass wir nicht-menschliche Protagonist*innen im Kino sehen, ist natürlich nichts Neues. Im Animationsfilm ist es ganz alltäglich, Katzen, Clownfische oder Dinosaurier als sympathische Hauptfiguren zu beobachten. Auch in Realfilmen sehen wir hin und wieder Tiere im Mittelpunkt, seien es Delfine, Orcas, Hunde oder Schimpansen. Eine Kuh im Mittelpunkt ist aber im Realfilm schon eine auffällige Neuerung. Auch sind bei sonstigen Realfilmen – welche zugegebenermaßen meist nicht dokumentarisch sind - die Tiere meist zwar die Hauptfigur, aber trotzdem von Menschen umgeben – denken wir zum Beispiel an Free Willy, der im Mittelpunkt von Unterstützer*innen und befeindeten böswilligen Personen steht. Das ist in Cow anders. Hier sind die Kühe eine große Gemeinschaft – in deren Mitte das Hauptkalb und dessen Mutter steht – die nur von wenigen Menschen umgeben ist. Ist das vielleicht so etwas wie eine invertierte Bauernhofsgeschichte? Auch sind bei Animationsfilmen und besagten Realfilmen die Tiere oftmals vermenschlicht, was uns erleichtert, Empathie zu ihnen aufzubauen. Das geschieht hier nicht, schließlich werden die Kühe so gezeigt, wie sie nun mal in ihrem Alltag agieren. Doch gerade die Tiere so natürlich zu zeigen, verweist vielleicht auf die Differenz zwischen uns und ihnen und bringt in uns dennoch eine ähnlich große Empathie hervor, die diese Wesen wirklich gebrauchen können. 

Coming-of-Age oder Doku? 

Cow nimmt hier eine interessante Form ein. Einerseits handelt es sich ganz klar um eine Dokumentation über den Alltag im Landwirtschaftsbetrieb und das Leben der dort festgehaltenen Kühe. Andererseits ist Cow aber auch um ein sehr schöner Coming-of-Age-Film. Wir beobachten unser Kalb durch die wackelige Kamera bei seiner Geburt, den ersten Schritten und den sonstigen Meilensteinen seines Heranwachsens bis zum Erwachsenenalter. Besonders schön ist hier eine Art Partyszene, bei welcher die Paarhufer bei Feuerwerk entspannt in ihrem Stall chillen, Popmu(h)sik hören und sich vereinzelt paaren (oder das zumindest versuchen). Die Leistung der Kühe ist in diesem Coming-of-Age-Film natürlich hervorzuheben. Kein Mensch ist zu einem so authentischen Agieren vor der Kamera fähig wie eine Kuh. Selbst in einer Doku konstruieren die gezeigten Mensch in gewissem Maß ein Bild von sich, dass sie nach außen vermitteln wollen. Eine Kuh hingegen ist sich – zumindest aus meiner menschlichen Sicht - des Konzepts von Schauspiel, Kamera und Film nicht bewusst und somit zu vollkommener Authentizität fähig.

(c) Mubi

Hierbei vermitteln sie uns ihre Emotionen vor allem über die Augen, die oft im Mittelpunkt stehen und uns einen Einblick in ihre Seele gewähren. Die Kühe werden hier wie Menschen inszeniert mitsamt vieler Großaufnahmen auf das Gesicht, meist sind sie jedoch fragmentiert und wir sehen nur einzelne Körperteile von ihnen. Auch bei ihrem Muhen haben wir oft das Gefühl, sie in gewissem Maße verstehen zu können. Diese Kommunikation zwischen ihnen und uns ist hier vielleicht etwas mit einem Stummfilm ohne Zwischentitel zu vergleichen, in dem wir versuchen, anhand von Mimik und Gestik die Figuren zu verstehen. Besonders schön wird dieser empathische Blick auf die Kühe, wenn wir sie auf den freien, weiten Weideflächen sehen und ihren melancholischen Blick in die Ferne beobachten. Hier meinen wir erkennen zu können, wie die Wesen in sich gekehrt ihr Leben reflektieren. 

Von Kühen und Menschen 

Da wir unmittelbar die Perspektive der Kühe einnehmen, wird uns außerdem umgekehrt ein interessanter Blick auf die Menschen ermöglicht. Diese scheinen zwar nicht böse zu sein – manche gehen sogar liebevoll mit ihnen um – aber sie erscheinen uns doch wie seltsame Ungetüme aus einem dystopischen Science-Fiction-Film. Unsere Protagonistinnen werden immer wieder an seltsame Melkmaschinen angeschlossen, bluten teilweise vom Rücken und schreien, wenn sie von der Familie getrennt werden oder Schmerzen erleiden. Diese Abläufe wiederholen sich in Cow immer wieder. Dadurch verlieren wir leider schon mal schnell unsere Konzentration und schweifen gedanklich ab. Doch was sollte uns der Film denn sonst zeigen? Der Alltag der Kühe ist wahrscheinlich nicht so abwechslungsreich, wie wir ihn uns als Zuschauende vielleicht wünschen würden. 

Cow mag vielleicht ein etwas repetitives Erlebnis sein. Immer wieder beobachten wir – in teilweise wunderschönen Bildern - die gleichen Abläufe. Das ist aber nun mal der Alltag der Kühe. Interessant ist allemal, dass Arnold uns einlädt, mit einer starken Intimität und Nähe auf die vermeintlichen „Nutztiere“ zu blicken. Damit ebnet sie vielleicht - mit ähnlichen Filmen wie der Schweinebiographie Gunda - den Weg in Richtung eines speziesübergreifenden, allumfassenden, empathischen Kinos. Und das klingt doch schon einmal richtig gut! 

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