Currentzis kontrovers
Ist es richtig, ein Ensemble einzuladen, das auch von einer russischen Staatsbank finanziert wird? Warum die Antwort nicht so eindeutig ist und wie der Auftritt des SWR-Orchesters mit Teodor Currentzis und Antoine Tamestit im Konzerthaus war.
Knock knock. Who’s there? War das wirklich Antoine Tamestit, der hinter der kleinen Bühnenorgel links auf dem Podium auf seinem sicherlich millionenschweren Instrument herumklopfte? Teodor Currentzis, der zuvor fragende Blicke mit seinem SWR-Solocellisten austauschte, weil der Solist offensichtlich fehlte, war nun sichtlich verärgert. Was klopft ihm der Toni so frech in seinen Auftakt rein? Der ließ sich aber nicht einschüchtern und wanderte klopfend-zupfend durch das jetzt schon spielende Orchester, spielte kurz mit der Bassflöte zusammen, ließ sich vom Tubisten erschrecken. Wir lachten dazu leise, etwas unsicher.
Meine Musikwissenschaftskolleg*innen würden jetzt clevere Sachen über irgendeinen Performance Turn schreiben, ich belasse es lieber dabei, dass Jörg Widmanns Spielereien (Tamestit sang und schrie sogar) in seinem Bratschenkonzert ganz nett sind. Wirklich gut gefallen hat mir aber das Ende, als Tamestit, nun ganz ernst, einen „schmerzlich-innigen Abgesang auf eine versunkene Welt“ spielte, wie es der Komponist selbst beschrieb. Noch besser bekam mir seine Zugabe: Es war ein ukrainisches Volkslied, gepaart mit meiner Lieblingssarabande von Bach. Bach tut einfach gut, erklärte Tamestit mit einem liebenswürdigen französischen Akzent. Wie recht er hat!
Was die Musik sagt
Nach der Pause folgte Schostakowitschs 5. Kein Zufall, es war Currentzis’ erstes Lebenszeichen aus Russland nach dem Krieg, dass er das Programm dieser Tour änderte. Glossolalie vom ukrainischen Komponisten Alexander Shchetynsky (der immer noch in Kiew weilt) und die 5. von Schostakowitsch, die als Protestmusik gegen die Stalinherrschaft gilt, sind seine Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. Einigen geht sie nicht weit genug, Currentzis hat nämlich kein Statement veröffentlicht, in dem er die russische Aggression verurteilt und sein Ensemble MusicAeterna wird unter anderem von der russischen Staatsbank VTB finanziert, die auf der Sanktionsliste steht. Das Benefizkonzert, das Currentzis nächste Woche mit seinem Orchester im Konzerthaus spielen wird, sei „Whitewashing“, meint zum Beispiel Axel Brüggemann. Hm.
Welch verzwickte Lage. Es ist klar, dass Currentzis momentan den Krieg nicht eindeutiger verurteilen kann, als er es mit seinem Programm tut. Wenn er unter seinem Namen den Kreml kritisiert, riskiert er die Existenz seines Ensembles. Seine Musiker*innen folgen ihm seit Jahren treu, von Nowosibirsk nach Perm und von da kürzlich nach St. Petersburg, wo sie nun eigenständig für ihr Einkommen sorgen müssen (so ein Orchester kostet Unmengen...). Currentzis hat die Verantwortung für seine Musiker*innen, es reicht, wenn er das Wort Krieg auf die Lippen nimmt, schon wird er zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Primetime für Currentzishater*innen
Ich habe das Gefühl, manchen Leuten, die vehement ein Statement von ihm verlangen, wäre das sowieso am liebsten. Currentzis spaltet, er hatte immer schon viele Gegner*innen. Jetzt haben sie endlich ein Argument, ihn zu attackieren. Ganz falsch liegen sie nicht, keine Frage. Es ist aber nicht so eindeutig, wie das Manche gerade darstellen. Stephan Pauly, Intendant des Musikvereins, stellte letztens Folgendes klar: Im Musikverein werden sie jetzt keineswegs irgendwelche Statements von Musiker*innen einsammeln, die sich politisch zuvor nie geäußert haben. Bravo. Und Currentzis hat in der Vergangenheit immer wieder starke Kritik an Putin geäußert. Er ist in allem, was er macht, das Gegenteil von Putin und seinem System. Aber im Moment trotzdem von diesem abhängig (wie wir alle übrigens, Gas, Öl usw). Aber ihn gleichzubehandeln wie Gergiev, der offensichtlich Kreml-Propaganda betreibt, finde ich falsch. Currentzis und seine MusicAeterna sind keine staatlichen Propagandawerkzeuge. Er steht wie kaum ein Anderer für die intellektuell-oppositionellen in Russland, die diesen Krieg ebenso ablehnen, wie du und ich. Ihn jetzt fallenzulassen, zu canceln, wäre der falsche Schritt. Ihn einzuladen, für ihn einzustehen, war ein mutiger und wichtiger Schritt des Konzerthauses (und der Elbphilharmonie usw).
Gegen die Barbarei des Kreml
Zudem ist Currentzis einer, den unsere Klassikszene bitter nötig hat; es gibt sonst so wenige, die höchste Qualität mit Innovation verbinden. Shchetynsky schreibt im Programmheft: „Gegen die Barbarei des Kreml ist Schostakowitsch mit seiner Musik unser aufrichtiger Verbündeter“ und spricht von „unserer“ Botschaft. Es verlangt nur einen minimalen Hauch von gutem Willen, um zuzugeben, dass damit auch Currentzis gemeint ist. Er war es, der dieses Programm ansetzte, das so eindeutig gegen Totalitarismus und gegen Putins Krieg protestiert. Ein Benefizkonzert zu veranstalten für die Opfer in der Ukraine ist für ihn dünnes Eis, man könnte das auch schätzen, statt ihn und das Konzerthaus dafür zu verurteilen. Das ist es, wie sich Currentzis gegen diesen Krieg, gegen Putin positioniert. Ob das reicht, muss jede*r selbst entscheiden. Ich finde, man sollte aber zumindest anerkennen, dass er seinen Spielraum voll ausnutzt, um die richtigen Signale zu senden.
Schostakowitschs innerer Protest gegen Stalins System wurde damals von der Obrigkeit als Triumph missverstanden, bei der Uraufführung jubelte das Publikum keineswegs für Stalin eine halbe Stunde lang. Der ‚Triumphmarsch‘ des letzten Satzes war in Wahrheit ein Todesmarsch. Currentzis gestaltete diesen mit seinem SWR-Orchester ungemein intensiv; es mag durchaus sein, dass die Perlenkette, die bei einem Höhepunkt am Hals einer Dame vor mir riss, diese Spannung einfach nicht mehr aushielt. Mit seiner Zugabe zügelte Currentzis die Emotionen dann: Das Orchester sang à la Fischer den Choral aus der Bachkantate BWV 147. You can sing with us, war die kurze Ansage des Dirigenten; ich glaube, ich war aber so ziemlich der Einzige, der fleißig den Bass mitsummte...