„Das ist ein geiler Fight“

Revolution bei den Festwochen? Neo-Intendant Milo Rau über die Zusammenarbeit mit der FPÖ, Liebe als revolutionäres Konzept, Currentzis und warum so viele Künstler*innen links sind.

Milo Rau im Gründerzeitaufzug. Hoch oder runter? /// Victoria Nazarova (c)

Wann gab es in Wien das letzte Mal so richtig internationalen Kultur-Buzz, wirklich gesellschaftsrelevante Kunst? Um 1900, vielleicht noch in den Nullerjahren bei Luc Bondy? Unlängst haben Milo Rau und sein Festwochen-Team mit Fahnen und Masken die Freie Republik Wien ausgerufen, um das Festival zu einer Art basisdemokratischem Gesellschaftslabor umzubauen. Echte Revolutionen gab es im letzten Jahrhundert zuhauf, ist das nur die vielbesagte Farce, mit der sich die Geschichte wiederholt? Wenn Milo Rau selbst über seine Ideen redet, wirken sie jedenfalls ansteckender als maskenlose Coronahuster.

Zum Beispiel die Wiener Prozesse. Raus Moskauer Äquivalent wurde 2013 im vollen Gange vom Geheimdienst gestürmt, er hat seitdem Einreiseverbot. Die drei Themen, die in Wien mit echten Richter*innen, Zeug*innen und Verteidiger*innen verhandelt werden, haben auch das Zeug dazu, gestürmt zu werden. Mal schauen, von wem. Am 24. Mai geht es mit dem Thema Korruption los, am 14. Juni wird sich Rau auch selbst auf die Anklagebank verbannen, wenn es um Klimaproteste und Fehler der Linken gehen wird. Und am 7. Juni wird mit der Beteiligung der FPÖ selbst (!) verhandelt, ob die Partei verboten werden sollte. Da spielt die Kickl-Truppe wirklich mit?

Die FPÖ verbieten mit der Beteiligung der FPÖ?

„Ich habe heute Morgen mit dem Pressesprecher der FPÖ telefoniert. Für mich sind sie Teil des Kuratoriums, sie sollen ja die besten Leute bringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Rechten mitmachen, wenn du ehrlich und direkt mit ihnen kommunizierst. Wenn ich sie ständig attackieren würde, hätte ich viele Projekte nicht machen können. Ich habe diesen Job ja gerade deswegen angenommen, weil Österreich so konservativ ist. Das ist ein geiler Fight.“ Den Fight nimmt die FPÖ scheinbar auch ernst, während Rau mit dem Pressesprecher plant, beschwert sich der FPÖ-Kultursprecher im Parlament bei Werner Kogler über „die übliche Mischung aus NGO-Aktivisten und linker Kulturschickeria“ bei den Festwochen.

Diskussionsstunde im Café Phil /// Victoria Nazarova (c)

Mit seinem unscheinbaren Pulli verstrahlt Milo Rau eher Lieblingslehrer-Vibes als Kulturmanager-Aura, ein Sonnenkönig-Intendant mit teurem Anzug und unbegrenzter Macht, das möchte er aber eben nicht sein: „Die Gefahr der Macht als Intendant*in ist, dass man die eigene Position mit Wissen verwechselt. Damit ich meine Macht nicht missbrauchen könnte, bauen wir von Anfang an verschiedene Kontrollorgane radikal ein. Wie die alten Griechen mit dem Ostrakismos, dem Scherbengericht.”

„Da konntest du den Herrscher innerhalb eines Nachmittags stürzen.“

Bei den Festwochen übernimmt diese Aufgabe der hundertköpfige Rat der Republik. Er besteht aus 31 Künstler*innen und Expert*innen, wie Elfriede Jelinek, Sandra Hüller, Annie Ernaux oder Yanis Varoufakis (wegen der Nähe der letzten Beiden zur Israel-Boykottbewegung BDS kam es zu einer Kontroverse), die restlichen 69 Personen werden von Partnerorganisationen (z.B. Fußballverein oder Strandbad) aus allen 23 Wiener Bezirken nach Quoten, wie politische Orientierung, Alter oder Bildungsgrad nominiert, um Wien möglichst genau abzubilden. „Die wichtigsten Personen im Rat sind diese 69 Personen. 20 von ihnen engagieren wir fest, sie werden auch bezahlt. Das ist innerhalb des Rahmens, den wir uns leisten können, die maximale Dekonstruktion der Entscheidungsfindung.“ In einer Reihe von (öffentlich zugänglichen) Hearings wird der Rat mit zusätzlich eingeladenen Expert*innen anhand Themen wie Cancel Culture, Entscheidungsfindung oder Finanzierung, eine Art Verfassung herausarbeiten, die Wiener Erklärung.

Unite, unite /// Victoria Nazarova (c)

„Wir möchten in den Hearings die unbewussten Regeln aufzeigen, in nach denen so ein Festival kuratiert wird. Wie viele Künstler*innen aus Wien waren bei den Festwochen in den letzten Jahren dabei? Das scheint fast ein Ausschlusskriterium zu sein. Das hat Gründe, aber das muss trotzdem reflektiert werden. Osteuropäische*r Künstler*in zu sein ist auch fast ein Ausschlusskriterium. Du bist aber aus dem globalen Süden und kommst aus Frankreich, dann bist du fast automatisch dabei, weil sich die Elite seit ca. 20 Jahren in den Kopf gesetzt hat, dass der frankophone Raum und der globale Süden toll sind. Oder, dass Tanz besser ist als Sprechtheater.“

„Dinge Explizit zu machen, heißt sie zu politisieren…

…sie angreifbar, transparent und messbar zu machen. Deswegen brauchen wir ein Manifest. Im Stadttheater Gent (wo Rau zuvor Intendant war, Anm.) haben wir den Text gleich beim Eingang groß ausgehängt. Du kanntest deine Rechte, zum Beispiel, dass du grundsätzlich immer zu Proben kommen konntest.“

Mag sein, dass die 69 Wiener*innen demographisch ausgewählt werden, die 31 Künstler*innen sind aber fast alle eindeutig linke Menschen. „Mir hat einmal ein AfD-Kulturbeauftragter vorgeworfen, die Kultur sei zu links. Als rechte*n Künstler*in konnte er dann nur Ernst Jünger nennen, der war aber damals schon tot. Das kann man eine Problematik nennen, aber schauen wir uns zum Beispiel die Demokratie an: Sie ist eigentlich als System schon antifeudal, aufklärerisch und daher im Grunde gegen rechts gerichtet. Der Restbestand an rechten Kräften in der Demokratie ist der Mangel oder die Großzügigkeit des Systems.”

„Und wir Linken? Natürlich wollen wir das Privateigentum abschaffen, wir haben es im Vergleich zum Feudalismus ja auch schon getan. Wir wollen die Freiheitsrechte erhöhen, die ethische und moralische Empfindsamkeit globalisieren, irgendwann auch auf die Natur ausbreiten. Das ist fortschrittlicher Geist und da sind die rechten Kräfte immer dagegen. Die muss man mit aufnehmen, aber wenn der Computer einmal gut genug ist, wird’s den Programmierungsfehler rechts nicht mehr geben. Warum es ihn noch gibt, das hat strukturelle Gründe. Durch die Globalisierung der Gesellschaft würde der Standortvorteil, den Europa durch historische Zufälle hat, verlorengehen. Wir leben ja global, können aber nicht global denken und fühlen. Das ist total absurd. Im Inkubator der Freien Republik versuchen wir, das denkbar und fühlbar zu machen.“

Für meine Fragen über Karl Kraus, der einen Programmschwerpunkt bekam, über die Rückkehr der Festwochen zu mehr Musik, zu den leckersten Produktionen von Mundruczó, Serebrennikov oder Holzinger, ist sein schweizerisch angehauchter Redefluss zu interessant. Und sowieso kaum aufhaltbar. Es geht mir wie dem Interviewer in diesem Sketch von Fry & Laurie, nur dass Rau nicht Bullshit redet.

We are talking about love: „Ich habe mich heute Morgen mit dem Konzept der Liebe beschäftigt. Wie könnte man zeigen, dass das Konzept der Liebe revolutionär ist? Dass es eigentlich nie durchgeführt wurde? Liebe war immer aufs Patriarchat gestützt, oder wie René Pollesch so schön gesagt hat: Liebe ist kälter als das Kapital. Sie war immer eng mit Herrschaftsverhältnissen verbunden, mit Standortvorteilen, mit Ängsten. Liebe war noch nie ein Konzept der Freiheit. Und wenn sie das kurz war, da gab es dann sofort einen Otto Mühl (Aktionskünstler, der Menschen aus seiner Kommune vergewaltigt hatte, Anm.). Warum ist das so? Das sind Themen, die du in der Verdichtung eines Festivals total geil zu fassen versuchen kannst.”

„Wenn ich vom Rat nicht gefeuert werde, werden wir uns im zweiten und dritten Jahr mit solchen Themen befassen.“

Plötzlich ist die Zeit vorbei, ich stopfe noch das Thema Currentzis ins Gespräch. Er hätte bei den Festwochen mit seinem SWR-Orchester Brittens War Requiem spielen sollen, nach der Programmpräsentation stellte sich aber die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, die in einem Konzert mit dem Kyiv Symphony Orchestra ein ukrainisches Kriegsrequiem spielen sollte, quer. In der Presse zirkulierte die Begründung, sie wäre nicht über die gemeinsame Kommunikation der beiden Konzerte informiert gewesen. Letztlich wurde Currentzis wieder ausgeladen. Die Frustration ist Rau anzumerken: „Ich halte das Projekt nach wie vor für richtig, wir standen alle dahinter. Aber wir respektieren auch Lynivs Wunsch, aktuell nicht in einen inhaltlichen Kontext mit Currentzis gestellt zu werden. Wir haben versucht, eine Lösung zu finden, aber letztendlich war einfach klar: das Kaddish Requiem ist eine zentrale Position im Programm der Festwochen 2024 und so wurde für uns die Absage des War Requiems alternativlos.“

This big /// Victoria Nazarova (c)

Und was er über Currentzis denkt, der im Westen schweigend weiterdirigiert, während er in Russland von Putins System lebt? Persönlich kennen sie sich nicht, Rau sieht die Lage differenziert: „In der Elbphilharmonie spielt Currentzis das gleiche Programm komplett ohne Kontextualisierung. Das würde ich zum Beispiel nicht machen, wir hatten ja ein ganzes diskursives Begleitprogramm geplant.”

„An sich ist das schon eine groteske Setzung, dass Teodor Currentzis jetzt das War Requiem dirigiert.“

Die Erwartungen hochzuschrauben, für das kribbelnde Gefühl zu sorgen, in Wien sei etwas im Gange, das haben Milo Rau und sein Team vielleicht schon geschafft. Aber ob Raus Wienliebe auf gegenseitigen Gefühlen beruht? „Wien ist toll, ich habe jetzt eine Wohnung hier und bin gerne in einer Großstadt mit so viel Tradition.“ Es bleibt zu hoffen, dass all die Tradition den Fortschritt nicht ganz erstickt.

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