„Der Produzent hat alles sexualisiert”

Nastasja Ronck von My Ugly Clementine, Cristina Kornfeld und Lil Julez teilen ihre Erfahrungen mit Sexismus in der österreichischen Musikindustrie.

Black swan, 2010 /// IMDB (c)

Anfang 2024 hatten Musiker*innen einen Grund zur Hoffnung: Frauenfeindlichkeit und sexueller Missbrauch in der Musikbranche wurden in einem britischen Parlamentsbericht aufgezeigt und die Regierung wurde dazu aufgefordert, die Situation der Frauen in der Musikindustrie zu verbessern. Die Branche sollte zum Beispiel stärker gegen Diskriminierung vorgehen, große Firmen Daten über das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern veröffentlichen und zum Schutz vor sexueller Belästigung sollten Gesetze verabschiedet werden, hieß es in Medienberichten.

Nun gibt es ernüchternde Neuigkeiten: Die Empfehlungen des Berichts sind von der Regierung abgelehnt worden. Zwar solle jede*r ohne Frauenfeindlichkeit oder Diskriminierung in der Musikindustrie arbeiten können, aber die empfohlenen Maßnahmen werden trotzdem nicht ergriffen.

Keine Frage der Quote …

Es scheint ganz so, als wäre die Musikindustrie für Frauen immer noch ein hartes Pflaster. Und das, obwohl etwa „Die Presse” Frauen als das dominierende Geschlecht in der Oberliga des Pop bezeichnet. Anlass dafür waren die Grammys 2024: Am Verleihungsabend performten mehr Frauen als Männer, in den „Best Album”-Kategorien gewannen zahlreiche Musikerinnen und Best New Artist wurde Victoria Monét. Doch was hinter den Kulissen abläuft, erfährt man bei einer Preisverleihung meist nicht. Da gibt schon eher ein Bericht wie der aus Großbritannien Auskunft. Doch wie sieht es in Österreich aus?

Nastasja Ronck von der Indie-Rock-Band My Ugly Clementine, Techno- und Dance Pop-Newcomerin Cristina Kornfeld und die Indie-Pop-Band Lil Julez schildern ihre Erfahrungen und Perspektiven.

… eine Frage der Wertschätzung

Cristina Kornfeld arbeitet endlich mit Produzenten zusammen, die respektvoll sind. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt sie ihrer Schwester aus erster Hand: „Ich war einmal für eine Produktion im Tonstudio und der Produzent hat alles sexualisiert, was ich gesagt habe. 2023 durfte ich drei Songs nicht veröffentlichen, die schon fertig waren, weil ich nicht mit dem Freund des Produzenten auf ein Date gehen wollte. Ich wusste damals nicht, wie ich darauf reagieren soll.

Ich habe dann begonnen, Leute aus meinem Safe Space ins Tonstudio mitzunehmen, damit ich mich nicht so unterlegen fühle.”

Cristina sei durch ihre Arbeit in der Musikindustrie viel introvertierter und vorsichtiger geworden: „Mir ist Zusammenhalt und Wertschätzung so wichtig geworden.” Auf die Frage, ob die Musikindustrie eine sexistische Branche sei, antwortet Cristina ohne zu zögern: “Definitiv! Man wird oft aufs Frau-Sein und das eigene Aussehen reduziert.”

Image und Vorurteil

Die reine Männerband Lil Julez hat schon auf dem Donauinselfest in Wien und am Lido Festival in Linz gespielt.  Die Mitglieder Julian, Leo und Patrick haben einen ähnlichen Eindruck ihrer Branche wie Cristina. Vor allem Entscheidungsträgern, großen Labels und Vertrieben, sei es bei Frauen immer wichtig gewesen, dass sie gut aussehen. Bei Männern sei das eher egal und das Image wichtiger.

„Als wir gesagt haben, dass wir vielleicht mit einer Frau als Schlagzeugerin spielen, kam der Kommentar ‘Und, schaut‘s gut aus?’,” erinnert sich Leadsänger Julian.

Bassist Leo kennt auch Personen, „die felsenfest davon überzeugt sind, dass Frauen vielleicht E-Gitarre spielen können, aber dass Gitarren bei ihnen nicht so cool ausschauen. Das ist tatsächlich dann oft ein Ausschlusskriterium, um zu sagen ‘Die mag ich nicht.’” Der Musiker gibt aber zu: „Präpubertär oder pubertär war ich auch der Meinung: ‘Bei einem Michael Jackson schaut das schon cooler aus, wenn er singt und performt!’ Irgendwann habe ich realisiert, dass das totaler Bullshit ist und mich gefragt: ‘Wer hat mir das eingetrichtert?’ Ich glaube, diesen thought process haben viele Leute, besonders Männer, nicht überdacht.”

Respekt = Erfolgssache?!

Julian ist überzeugt, dass sich Flinta*-Personen in der Musikindustrie stärker beweisen müssen. Diese Erfahrung kennt Nastasja nur zu gut. Sie habe sich zwar Mut und Selbstbewusstsein antrainiert, aber bei sexistischen Witzen und in grenzüberschreitenden Situationen, koste es sie immer noch Überwindung zu reagieren, aus Angst, die Unhöfliche oder Forsche zu sein. Früher hat sich die Musikerin oft allein mit ihren Erfahrungen gefühlt. Der Zusammenhalt in My Ugly Clementine biete ihr nun eine Stütze.

Nastasjas Band hat dieses Jahr den „Amadeus Austrian Music Award” in der Kategorie „Alternative” gewonnen. Umso erfolgreicher die „Clementines" wurden, umso seltener seien sexistische Bemerkungen geworden. „Wenn wir zu einer Venue kommen und wir sind Headliner, dann merk’ ich, werden wir anders behandelt als Support Acts, die großartige Musik machen. Es ist nicht das, was man mit Feminismus erreichen will, dass eine Frau, die vielleicht gewisse Dinge schon erreicht hat, besser behandelt wird als eine Frau, die noch nicht so viel erreicht hat. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern für alle marginalisierten Personen. Man sieht bei manchen Festivals, dass sich ein bisschen was tut und die Außenwirkung ist auch nicht irrelevant.

Aber es ist ganz wichtig, dass sich auch hinter den Kulissen was tut.”

Eine positive Veränderungen für Frauen sieht Patrick: „Gerade im Rock- und Alternative-Bereich gibt’s immer mehr All-Female-Bands. Wenn ich früher als Teenager auf ein Konzert gegangen bin, waren meistens Männer auf der Bühne und es war ganz einfach für mich zu sagen ‘Das möcht ich auch machen’, aber für die Mädels im Publikum war das wahrscheinlich nicht so einfach.”  Nastasja fand bei Konzertbesuchen als Kind nur vereinzelt Vorbilder, zum Beispiel Karen O von den Yeah Yeah Yeahs. Trotzdem hätten ihr weibliche oder Flinta*-Instrumentalist*innen oft gefehlt.

Intersektionalismus statt Kapitalismus

Mittlerweile sei Feminismus „mainstreamiger” geworden. Dazu gehört auch das Narrativ der „Powerfrauen”, das Nastasja kritisch sieht: „Es geht nicht darum, eine „Powerfrau” zu sein oder total hervorzustechen, sondern darum, dass es für alle marginalisierten Personen einen Raum geben muss, in dem man respektvoll miteinander umgeht.” Aussagen wie „Was darf man denn noch sagen?” kenne die Musikerin gut. „Da fühle ich Feminismus und jegliche Social Justice Bewegungen so missverstanden, wenn die Leute damit eher assoziieren ‚Boah ist das anstrengend!’ als ‘Wie will man miteinander umgehen?’. Es geht einfach darum, sich um die Menschen um sich herum Gedanken zu machen.

Ich muss mich auch selbst an der Nase nehmen, ich kann auch etwas reproduzieren, niemand ist davor gefeit. Fehler passieren.”

Aber Nastasja möchte sich stets weiterentwickeln: „Ich lerne selbst jeden Tag dazu, etwa von Personen, die tolle Bücher geschrieben haben.” Sie ist überzeugt, dass Sexismus intersektional gedacht werden muss. Damit ist gemeint, dass Menschen von verschiedenen sozialen Machtstrukturen beeinflusst werden, die zum Beispiel die Herkunft, das Einkommen oder das Geschlecht betreffen. Auch der britische Parlamentsbericht unterstreicht laut The Guardian die Bedeutung von Intersektionalität: Diskriminierung und Marginalisierung treten in sich überschneidenden, individuellen Formen auf.

Zeit, dass die Erfahrungen der Musiker*innen ernst genommen werden. Dass der Weg dorthin nicht leicht sein wird, lässt Nastasja erahnen: „Solange die Musikindustrie in erster Linie profitorientiert ist, sind Veränderungen schwierig.”

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