Mozart war noch nie so woke

Nils Strunk will Mozarts Zauberflöte mit modernen Songs und zeitgemäßen Charakteren im Burgtheater neu interpretieren. Gewagt, getan – und das mit großem Erfolg.

(c) Marcella Ruiz Cruz

Das Burgtheater feiert mit einer Neuinterpretation der wohl bekanntesten Oper weltweit die Verschmelzung klassischer Kunst im Sinne Mozarts und Schikaneder mit den modernen Abwandlungen derselben. Man muss nicht unbedingt in der Oper gewesen sein, um die Handlung der Zauberflöte zu kennen: In einer Märchenwelt herrschen die Königin der Nacht und der König der Sonne, Sarastros, und bekämpfen sich seit jeher um die vollständige Gewalt ihres Reichs. Pamina, die Tochter der Königin, wird von Sarastros entführt und in seinem Palast gefangen gehalten und soll von Prinz Tamino gerettet und zurück zur Königin gebracht werden. Sein Lohn: Die Heirat der Prinzessin.

Musiker und Regisseur Nils Strunk und Autor Lukas Schrenk heben gemeinsam mit dem sechsköpfigen Ensemble im Burgtheater inklusive Live-Band die zauberhafte Welt der Zauberflöte auf eine neue Ebene: Sie verwandeln Libretto und Arien in Popsongs inspiriert von Falco, Dr. Dre, Beyoncé und natürlich Mozart selbst. Tamino ist in Strunks Inszenierung tollpatschig, ängstlich und nur halb so mutig, wie von ihm verlangt wird. Geleitet durch die blinde Liebe zur Prinzessin wagt er die Reise, ausgestattet mit einer Zauberflöte, die er nicht zu spielen weiß. Und das in Begleitung des ungezügelten und chaotischen Vogelfängers Papageno. So beginnt die Reise des ungleichen Paars in Abgründe und Tiefen, die sie nicht erwartet haben.

Tamino, Papageno und … Falco?

In Strunks Inszenierung gibt es kein Orchester, keine sehnsüchtigen Reime und minutenlange Arien, sondern E-Gitarren und Schlagzeug, poppige Songs und nachvollziehbare Dialoge, die die Zauberflöte in unsere Zeit holen. Dabei verliert sie aber keineswegs ihren altertümlichen Charakter. Die Inszenierung ist eingebettet in den Versuch der fahrenden Schaustellertruppe des „Kratky-Baschik-Zaubertheater“, die Oper mit den begrenzten Mitteln eines Wandertheaters zur Unterhaltungsshow zu gestalten, die ihnen die Taschen füllen soll. Sechs Spieler*innen und die dreiköpfige Band bieten zwei Stunden lang eine Show, die die Zuschauer*innen aus den roten Sitzen hebt. Im Stil der Commedia dell‘arte erzählen sie die Zauberflöte, doch ohne die Ernsthaftigkeit, die eine elitäre Oper so mit sich bringt. Da finden sich Elemente des Schattentheaters, eine Marionetten-Einheit und ausdauernder, grober Humor, der typisch ist für die düstere Prater-Atmosphäre, die Strunk in seiner ganz eigenen Interpretation inspiriert hat. 

Der erste Aufzug wird eingeleitet mit einer Acapella-Ouvertüre. Der exzentrische Erzähler (Tim Werths) entführt uns ohne Umschweife in die Welt von Sarastros und der Königin der Nacht. Tamino (Gunther Eckes) trifft auf Papageno (ebenfalls Tim Werths) und gemeinsam mit Pamina (Lilith Hässle) führt uns das sympathische Trio durch die über 200 Jahre alte Geschichte von Liebe und Mut. Die Harmonie der Spieler*innen auf der Bühne ist unverkennbar, die Dialoge sind natürlich und stellenweise poetisch zugleich. Mozarts Charaktere bieten die unterschiedlichsten Identifikations-Angebote. Strunk und Schrenk schaffen eine Inszenierung, die riskant, self-aware und urkomisch ist. So reagiert Pamina beispielsweise keineswegs gerührt, als Papageno ihr von Taminos blinder Liebe zu ihr berichtet. Denn die beruht allein auf ihrem Bildnis: „Ist der bescheuert? Was ist denn mit Charakter und den inneren Werten?“ entgegnet sie genervt, fragt aber dann genau das, was wir uns alle auch fragen würden: „…Wie sieht er denn aus, hast du ein Bild?“. Sätze wie diese, oder typisch-menschliche Ausrufe wie „Shit, sorry“, wenn die Übergabe der Zauberflöte nicht geschmeidig verläuft, oder „Leckomio!“, weil Papageno von dem ganzen Unterfangen eigentlich nichts wissen will, machen die Inszenierung irre modern und authentisch, ohne dabei aufgesetzt zu wirken.

Humor kann auch Kultur sein

Es ist schwierig mit Alltagsgedanken und -phrasen Comedy zu machen, die weder cringe ist, noch der klassischen Oper ihren Charme nimmt. Das Ensemble des Burgtheaters liefert eine Dynamik und einen Spaß, der mit Sicherheit den gesamten Probenprozess begleitet hat. Man spürt das Spiel auf Augenhöhe und eine gehörige Wucht an Leidenschaft für das, was da gespielt wird. Durch das konstante Brechen mit der vierten Wand, etwa indem zwischen dem ersten und zweiten Aufzug eine zweiminütige Pause der Schausteller des Kratky-Baschik-Zaubertheater gezeigt wird, untermauert Strunks Zeitgeist und clevere Inszenierungstechnik. 

In einer Zeit, in der die Hochkultur ein stetiges Auf erlebt und klassische Kunst immer mehr Distanz zu großen Teilen der Gesellschaft einnimmt, sind es Neuinterpretationen wie die der Zauberflöte, die beweisen: Kunst kann mehr. Kunst kann durchaus witzig sein und sich an modernen Formen der Unterhaltung bedienen – seien es kultige Musik oder bekannte Memes - und trotzdem (oder gerade deswegen) unglaublich gehaltvoll sein. Das Burgtheater liefert eine wunderbar chaotische und feinfühlige Hommage an Mozart und Schikaneder und beschert den Zuschauer*innen, ob jung oder alt, einen Abend, der vor Unterhaltung und Ideenreichtum nur so strotzt.

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