Diversity? Yes please!

Das geilste klassische Konzert überhaupt? Der unvergleichliche Mao Fujita beim Lucerne Festival, das ganz unter dem Motto DIVERSITY stattfindet und warum das der einzig richtige Weg ist.

Das Chineke! Orchestra spielt beim diesjährigen Lucerne Festival eine wichtige Rolle /// LF, Patrick Huerlimann (c)

Mao Fujita ist eine außerordentliche Erscheinung. Der japanische Pianist strahlt eine positive Energie aus, hat etwas Märchenhaftes in sich. Es kommt schon mal vor, dass er seine Hände wie ein Eichhörnchen vor sich hält, die Augen ganz aufreißt und freudig zuhört, während das Orchester eine besonders schöne Melodie spielt und er Pause hat. Und wenn er dann selbst auch spielt, verzaubert er mit einem hell perlenden Anschlag. Bei seinem Debut beim renommierten Lucerne Festival spielte er Rachmaninows beliebtestes zweites Klavierkonzert.

Das war eher erstaunlich, seinen Durchbruch hatte er zwar mit einer Silbermedaille beim Tschaikowski-Wettbewerb 2019, also mit russischem Reprtoir, seitdem machte er aber vor allem als filigraner Mozartpianist von sich reden. Trotz seiner kleinen Körpergröße griff er die eröffnenden Arpeggien ohne Brechung (alle Töne auf einmal), wie notiert – diese riesigen, glockenhaften Akkorde brach auf Aufnahmen sogar der Komponist selbst.

Chailly und Fujita /// LF, Priska Ketterer (c)

Dirigent Riccardo Chailly nahm im ersten Satz wenig Rücksicht auf den begrenzten Umfang des kristallinen Klangs von Fujita; um gegen die gigantischen Orchesterwellen anzukommen, hätte es einen Denis Matsuev gebraucht. Der steckt aber bekanntlich wegen seiner Putinnähe hinter dem neuen Eisernen Vorhang fest.

Rachmaninow ist einer der zugänglichsten Komponisten der Musikgeschichte, ich kann mir beim besten Willen niemanden vorstellen, dem sein Klavierkonzert nicht zumindest ein wenig gefallen würde. Try it, sie wird dich mitreißen, versprochen. Traditionell hat es Rachmaninow trotzdem gar nicht so einfach im Konzertleben. „Er hat grandiose Filmmusik geschrieben“, bemerkte Strawinski abfällig über ihn. Dabei hatte er nie Filmmusik komponiert und konnte nichts dafür, dass seine Musik Hollywood als Vorbild diente. Das Stigma blieb aber, der legendäre Pianist Alfred Brendel lästerte ein Leben lang über den vermeintlichen Kitsch und Dirigent Caludio Abbado ignorierte mit seinem Lucerne Festival Orchestra den Wahlluzerner konsequent. Sein Nachfolger Riccardo Chailly korrigiert das nun mit einem saisonübergreifenden Rachmaninow-Zyklus, am 13. August waren die Sinfonie und das Klavierkonzert Nr. 2 dran.

Alle lieben Rachmaninow?

Nach der Pause durfte sich Chailly mit seinem Festivalorchester nun ganz ohne Rücksicht austoben, sie füllten die warme, füllige Akustik des KKL-Konzertsaals voll mit Rachmaninows zweiter Sinfonie aus. Auch diese bietet eingängige Melodien und ganz große Gefühle, der dritte Satz ist legendär. Mit Kitsch hat das nichts zu tun, das ist einfach bombastisch geile Musik, die einem ins Herz greift. Headphones an, Stress aus:

DIVERSITY ist das Motto des diesjährigen Lucerne Festivals, auch wenn man davon bei diesem konkreten Konzert wenig merkte. Der Kern des Programms bleiben weiterhin Orchester mit wenigen Frauen und alten, weißen Männern am Pult. Ein reiner Imageanstrich ist das Motto aber trotzdem nicht, das neue, farbige Logo wird mit einer Reihe von Konzerten von People of Color untermauert. So spielt das erste mehrheitlich ethnisch diverse Profiorchester der Welt, das Chineke! Orchestra, das erste und das letzte Konzert der Saison.

Mit diesem Image bleibt die Klassik im letzten Jahrtausend stecken

Die aktuelle Krise der klassischen Musik (die leeren Reihen riefen sie schmerzlich in Erinnerung) ist auch einem Imageproblem geschuldet. Die Mehrheit der heutigen urbanen Gesellschaft wünscht sich Diversität, Umweltverträglichkeit und politisch korrektes Sponsoring. Dass Me-Too-Skandale ernstgenommen werden und Superstars, die zugeben, Frauen belästigt zu haben, nicht mehr weitertouren, als sei nichts gewesen. Initiativen wie Wiener Stimmen im Musikverein und die Bemühungen um Diversität in Luzern sind vielleicht etwas hölzerne, aber äußerst wichtige erste Gehversuche alteingesessener Kulturinstitutionen, die fortgesetzt und ausgebaut werden müssen, um tatsächlich zu wirken und das Konzertleben im 21. Jahrhundert zu verankern. Ist es denn nicht schade, dass so eine großartige Musik, wie die von Rachmaninow nicht unter die Menschen kommt, nur weil der klassische Konzertbetrieb fortschrittlich denkenden Menschen zu sehr nach mächtigen alten Männern mit Me-Too-Skandalen riecht?

Previous
Previous

Triumph sinnlicher Wahrhaftigkeit

Next
Next

What’s poppin‘?