Ein Abschied mit Knall?

Ein Violinkonzert auf dem Klavier und die Frage, ob Titanicstimmung aufkam - Dejan Lazić mit dem Wiener Kammerorchester beim letzten Konzert vor dem Lockdown im Konzerthaus.

Dejan Lazić /// Felix Bröde (c)

Es ist erstaunlich, wie depressive Filmmusik heitere Bildfolgen umstimmen kann. Dass dieser Effekt auch andersherum existiert, lehrte mir der gestrige Abend im Konzerthaus. Mozarts vorfreudige Jugendouvertüre zu Lucio Silla hinterließ bei mir kurz vor Lockdownbeginn einen bitteren Nachgeschmack. Dabei musizierte das Wiener Kammerorchester durchaus gefällig unter dem energischen Jan Willem de Vries. Er erinnere an einen begeistert predigenden Dorfpriester, meinte meine Begleitung. Spitz formuliert, jedenfalls gelang ihm, mit dem klein besetzten Orchester den ganzen Saal mit Klang zu füllen.

Nach der geheimnisvollen Orchestereinleitung von Beethovens Violinkonzert setzte Solist Dejan Lazić ein. Hm, ungewöhnlich lang und schwarz, diese Geige. Erinnerte stark an einen Steinway. (Ok Dávid, vielleicht brauchst du diesen Lockdown, um dein Gehirn auszuruhen und etwas geistreicher zurückzukehren...) Tatsächlich erklang die selten gespielte Klavierfassung, die Beethoven selbst für den Verleger und Komponistenkollegen Muzio Clementi schrieb.

Und, funktioniert das?

Durchaus. Ganz selten fiel mir auf, dass schon Lazić schon wieder eine Passage spielte, die nur eine Hand verlangte. Aber vielleicht nur, da ich das hören wollte. Ich finde zwar, dass Beethoven mehr als Genug bombastische Klavierkonzerte geschrieben hat (und dass es auch schönere Violinkonzerte im Repertoire gibt), aber es ist spannend, so neue Facetten eines Klassikers kennenzulernen. Die Kadenzen komponierte Beethoven neu, besonders hörenswert war die erste (18:08): Lazićs virtuoses Spiel wurde hier kurioserweise nur von einer Pauke begleitet.

Der Kroate hatte einen besonders crispen Anschlag, das klang machnmal fast, wie auf einem beethovenianischen Hammerklavier. Ob er das gewollt evoziert hat oder ob er für romantischere Stücke auch eine softere Seite im Petto hat, wurde nicht klar: Er vergönnte uns keine Zugabe. Kein Wunder, der Große Saal war noch nicht einmal zur Hälfte voll. Ob das wohl mit 2G+ jeden Abend so verlaufen wäre? Wäre mir egal gewesen, den Veranstalter*innen wahrscheinlich weniger. So oder so, ich hätte von den Wiener*innen für das letzte Konzert für God knows wie lang ein zahlreicheres Erscheinen gewünscht.

Den zweiten Teil des Konzerts verfolgte Lazić aus einer Loge, zuckte dabei wie schon beim Spielen immer wieder mit, als würde er am Liebsten de Vrien aus dem Weg räumen und selbst die Zügel in die Hand nehmen. Die Behielt der Niederländer aber und spornte das Kammerorchester zu einer wirklich erwachsenen Leistung an: Mendelssohns erste Jugendsinfonie klang satt und beherzt. Am Schluss verhallte der Applaus besonders schnell, als wäre der Lockdown schneller vorbei, wenn man ihn früher anfängt. Ein unspektakulärer Abschied vom Konzertleben.

Umgekehrte Stimmungslage ein paar Gänge weiter

Deutlich intensiver ging es im Mozart-Saal ab: Dort gab es für die Jazzer Vincent Peirani und Émile Parisien Standing Ovations, berichtet unser Mann Moritz Roniger. Dafür saß ich in einer Reihe mit Starpianistin Beatrice Rana, die am Mittwoch Martha Argerich ersetzt hätte. Too bad, auf ihren Tschaikowski war ich sehr gespannt, danke für gar nichts ihr impfunwilligen Lockdowntreiber*innen. Immerhin gibt es jetzt Ruhe und eine leise Hoffnung, dass zumindest Valery Gergievs Schostakowitsch-Reihe stattfinden wird.

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