Lauwarmer Liebeswind aus Italien

Musikalische Zeitreise in die 70-er mit ausgewählten Meisterwerken der Liederkunst von Lucio Battisti.

Sommer, Sonne, Italien. In diesem dunklen Coronawinter liegt all das in schmerzhafter Ferne. Immerhin können wir digital in dieses nach Rosen und Bolognese riechende Märchenland reisen, so aber nicht nur in Raum, sondern gleich auch in der Zeit. Also los geht’s, anschnallen und festhalten, es könnte ruckeln. Unser Ziel? Italien der 70-er, Trapezhosen und große Kragen. Etwas konkreter tauchen wir mit dieser ersten Ausgabe von 'reingehört’ in das Schaffen des legendären Lucio Battisti ein, dem (mindestens) halben Bob Dylan Italiens. Es wird um ihn, um seine zweite Dylan-Hälfte und allen voran um seine Musik gehen. Damit soll es jetzt auch losgehen. Ich habe Sonne versprochen, das bekommt ihr auch mit „La canzone del sole“.

Du bist etwa gerade dabei, den Song zu überspringen, gleich weiterzulesen? Gar nicht zu empfehlen. Hab etwas Geduld, sie wird sich lohnen. Denn “La canzone del sole“ blüht wortwörtlich auf zum Ende hin, das Battisti besonders gut gelang (ich wiederhole die letzten zwei Minuten fast immer). Ist es nicht herrlich, wie er über dem an sich schon mitreißenden Schlusschor eine gedopte Version der Strophe singt und immer höher in die lila Wolken der Euphorie steigt? Dieser Schluss lässt tiefer durchatmen, während er gleichzeitig motiviert, einen geradeaus antreibt aufzustehen, etwas zu tun. Battistis Musik wirkt nicht zufällig so stark, er war ein Vollblutmusiker, der an jedem Detail bis zur Perfektion feilte.

Jetzt wird es melancholischer. Vielleicht habe ich zu viel Sonnenschein versprochen, denn eigentlich überzeugt Battisti mit seinen nachdenklichen Nummern am meisten. Wie mit „I giradini di marzo“, in dem Battisti von einer Kindheit mit Geldsorgen, mobilen Eisverkäufern und Selbstzweifeln erzählt. Mein erstes Battisti-Lied, verfehlt seine Wirkung selten. Mit der etwas zögerlichen, sanft verhaltenen Gitarreneinleitung lässt er einen sofort mitfühlen mit dem sensiblen Protagonisten des Songs, dem immer das letzte bisschen Mut fehlt, das Leben wirklich zu leben, seine überquellende Liebe in Erfüllung zu bringen.

Wessen Mutter es ist, an dessen schwarzes Lieblingskleid mit den nie verblühenden Blumen sich Battisti im Song erinnert? Nun, nicht seine. Battisti schrieb für seine unsterblich gewordenen Lieder nämlich nur die Musik. Was Da Ponte für Mozart oder Hofmannsthal für Strauss war, war für Battisti Mogol. Librettist, Literat, Wortzauberer.

Als der damals noch unbekannte Battisti 1965 Giulio Rapetti (wie Mogol bürgerlich hieß) vorgestellt wurde, war letzterer schon ein erfolgreicher ‘Paroliere’, er schrieb unter anderem den Text von „Il cielo in una stanza“ für Mina. Der Mailänder Mogol war beim ersten Treffen nicht wirklich überzeugt von unserem Helden aus dem Umland Roms, nur aus Höflichkeit gegenüber der Kontaktperson bot er ihm eine erste Kollaboration an. Daraus wurde dann aber eine Freundschaft und eine jahrelange intime Zusammenarbeit, deren Früchte wir immer noch genießen. Während Songwritergrößen à la Dylan und Paul Simon ihre Lieder in der überschaubaren Kompaktheit ihres eigenen Schädels entwarfen, mussten Mogol und Battisti zusammenarbeiten, Wort und Musik gemeinsam aufeinander abstimmen. Offensichtlich fanden sich hier aber zwei Seelenverwandte, denn die Lieder der 12 gemeinsamen Alben müssen sich in keiner Weise hinter Dylans oder Simons Werke anstellen.

Zuerst schrieben die Beiden für andere Bands wie Equipe 84. Schließlich überzeugte Mogol Battisti, die Lieder selbst zu singen. Dass er erstmal überzeugt werden musste, überrascht nicht; ist seine Stimme doch etwas dünn und hauchig. Es mag ein wenig brauchen, doch irgendwann merkt man, dass dieses sonderbare Stimmchen Empfindsamkeit, Melancholie und Liebe übermitteln kann, wie kaum eine andere. Das demonstriert er vorzüglich in „Il mio canto libero“, der nicht umsonst sein Tophit auf Spotify ist. „Mein freier Gesang, das bist du... Es hebt sich ein lauwarmer Wind der Liebe, der wahren Liebe. Und ich entdecke dich wieder.“ Cheesy? Ja, gerade cheesy genug. Wenn jemand mit so viel Gefühl singen kann, kauft man ihm auch solche Zeilen gerne ab. Besonders auf Italienisch…

Ich würde viel dafür geben, Battistis Lieder einmal zu hören, ohne den Text zu verstehen. Wie genial war Battistis Musik wirklich, wie viel tragen die Texte bei? Mogol mag zwar massenweise Songtexte geschrieben haben, nicht wenige davon sind aber kleine Meisterwerke, die auch ohne Musik bestehen. Dabei schrieb er sie zur schon fertigen Musik Battistis, gerne auch mal im Auto. Mogol verzichtete nach eigenen Angaben bewusst darauf, die Inhalte zu erfinden. Die Realität übertreffe die Fiktion, das Leben selbst sei Inspiration genug. Wie recht er hat, wenn er meint, wir alle seien Profis des Lebens und würden so immer wiedererkennen, was echt sei und was nicht. Er schöpft, wie ein guter Comedian, aus den Tiefen des Alltags und aus seinen Erinnerungen. Diese verarbeitet er so geschickt, dass wir uns auch noch nach 50 Jahren ständig wiederkennen. Seine Genialität ist ein Grund für den massiven Erfolg Battistis und allein schon Motivation genug, endlich Italienisch zu lernen.

Der nächste Song, „Perché no“, ist ein Musterbeispiel von Mogols Fähigkeit, aus Alltag Poesie zu machen. Er führt die Zuhörer in die selten besungene zweite Phase einer Liebesbeziehung, in der nicht mehr die frischen Gefühle toben, sondern der gemeinsame Alltag die Oberhand gewinnt. Gemeinsam den Einkaufswagen durch den Supermarket schieben und die Preiserhöhung der Tiefkühlwaren besprechen, sich dann in der Schlange an den Partner lehnen. Zusammen einen kleinen Garten anlegen, auf dem Balkon. Einfach mal zwei Tage im Bett bleiben. Dieser Song schmeckt nach bittersüßer Langfristigkeit, nach zeitlos-gemütlicher Zweisamkeit. Mit Battistis schwebender Musik im ¾-Takt tanzen wir durch die echten Geschichten des Lebens.

Wie gerade gehört, wandte sich Battisti in der zweiten Hälfte der 70-er mehr den elektrischen Sounds zu. Er behielt seine Melancholie, ließ aber etwas vom Idealismus der ersten Jahre zurück. Bei diesen Songs möchte man weniger heulen, sie motivieren eher zum wehmütigen Nachdenken, wie zum Beispiel „Prendila così“. Battisti war ein Innovator, so fing er an, den Disco-Sound mit dem traditionell melodischen Pop aus Italien zu kombinieren. Die neuen Beats hört man unter anderem in „Ancora tu“, einem kleinen Meisterwerk von einem Song. Er ist ein Produkt einer gemeinsamen Reise von Mogol und Battisti in die USA. Die Beiden waren auch in Südamerika und in England gemeinsam unterwegs, legendär wurde auch der gemeinsame Ritt von Mailand nach Rom. Von diesen Reisen kamen sie dann gewöhnlich mit neuem Material und interessanten musikalischen Einflüssen im Gepäck zurück. So hört man bei „Respirando“ die Nachwirkungen der Südamerikaexpedition, er klingt stellenweise wie ein Original aus irgendeinem verrauchten kubanischen Club. 

Aber bleiben wir bei „Ancora tu“, ein Song mit einem Shortstory-artigen Plot. Direkter Einstieg, ein getrenntes Pärchen trifft sich zufällig. Battisti spricht am Anfang mehr, als dass er singt, die Geschichte entfaltet sich durch nur eine Hälfte des Dialogs. Das Gespräch geht schleichend vom gespielt-gleichgültigen Smalltalk immer mehr zu einer Liebesbekundung über. Es wird immer angeheizter; nachdem wie nebensächlich herauskommt, dass sich die Beiden immer noch lieben, sind alle Hemmungen weg. Am Ende sind sie wieder zusammen, wie hätte es anders kommen können. Sie können es einfach nicht lassen, denn „dich zu verlassen ist unmöglich.“

Nach 15 Jahren der Zusammenarbeit trennten sich nach 1980 die Wege von Battisti und Mogol. Es wurde von Streitereien geschrieben, von Meinungsunterscheiden und finanziellen Querelen. Tatsächlich verlief die Trennung recht unspektakulär. Während Mogol für andere Sänger und Gruppen weiterschrieb, wandte sich Battisti dem Experimentieren zu und veröffentlichte noch einige Alben, mit recht wenig Erfolg. Schon in den 70-ern fing er an, sich von der Außenwelt abzuschotten, gab keine Interviews, trat kaum noch auf. Nach der Trennung mit Mogol verschwand er komplett in seinem Haus in den Alpen, kommunizierte nur noch durch seine Musik mit der Außenwelt. Als er 1998 wegen einer unbekannten Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert wurde, meldete sich Mogol nach Jahren der Trennung mit einem Brief. Er wäre da für ihn, er soll ihn jederzeit anrufen. Battisti antwortete aber nicht mehr, sondern starb wenig später mit nur 55 Jahren. Mogol erfuhr erst Jahre später, dass Battisti in Tränen ausbrach, als er von einem Arzt den Brief vorgelesen bekam.

In Italien ist Battistis Musik immer noch sehr präsent. Sie ist gut gealtert, was seine Gründe hat. Der mittlerweile zum süßen Opa geschrumpfte Mogol erzählt immer wieder im Fernsehen, wie Battisti täglich sieben Stunden lang die Musik von den Beatles, Jimmy Hendrix, Bob Dylan, den Stones, Ray Charles, Led Zeppelin und anderen Studierte. Kein Wunder also, dass ihm so viele unsterbliche Nummern gelangen. Von denen es neben den gerade vorgestellten noch etliche gibt. Unvergesslich ist zum Beispiel „Dieci ragazze“, in dem er sich gleich zehn Frauen für explizite Bestimmungen und Tageszeiten wünscht, weil „kein Messer dir mehr wehtun kann, als eine große Liebe“. Oder all die anderen elektronisch inspirierten Lieder, wie „Una donna per amico“ oder „Ho un anno di più“. Oder die tiefschmerzende Ballade „E penso a te“, die aus so wenigen Mitteln so viel macht und eigentlich viel länger besprochen werden müsste. Die Liste ist lang, zu lang für diesen Artikel. Dafür gibt es für all die, die mehr wollen alle erwähnten Songs und noch ein paar weitere Highlights auf diesem Spotify-Playlist.

Zum Schluss nochmal Musik, nach Mogol möchte man nicht das letzte Wort haben. Es ist die ‘Ripresa’, also eine Wiederaufnahme des Songs „Due mondi”, (noch so ein Mitbringsel aus Südamerika), die als kurzes Schnipsel mit auf die Fusionplatte „Anima Latina” kam und den eigentlichen Song in ihrer Einfachheit überragte.

Enjoy.

Foto: Annie Spratt/UNSPLASH; Cesare Monti

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