Der gute Premierengeist

Über Premierenfeiern und den Abend, an dem es Rosen regnet. Ein subjektiver Versuch der Beschreibung dessen, was auftritt, wenn alles vorbei ist.

Der Vorhang senkt sich, und hinter der Bühne bricht Jubel aus. Der Applaus macht die Ohren taub und man ist einfach nur erleichtert: Froh, weil es eine gute Vorstellung war oder froh, weil es vorbei ist - meistens auch beides. Auf jeden Fall fällt der gute Premierengeist einmal allen in die Arme, klopft auf die Schultern und sagt: „Wir haben es überlebt.“ 

Dann wird es rote Rosen regnen

Der gute Premierengeist redet gerne, hält natürlich auch Reden. Bei der Premierenfeier, in der nun alle gelobt werden müssen, auch die, die man die ganze Probenzeit über vergessen hat, aber heute ist man großzügig, es gibt sogar, man glaubt es kaum, Rosen. Angemessene Bezahlung wäre allen generell lieber gewesen, aber was soll's. Selbst die Kulturstadträtin ist gekommen, um zu erklären wie wichtig das Theater für die Stadt ist, und wie sehr sie sich freut, heute hier zu sein. Bevor sie zur nächsten Veranstaltung muss, aber das wird übersehen, großzügigerweise. Schließlich hat sie ein Buffet spendiert, zu dem sich einige schon vordrängen, während wieder andere den Kellner*innen oder sagen wir lieber: den alkoholischen Getränken auf ihren Tabletten nachstellen. 

Vergessliche Geister

Der gute Premierengeist ist flüchtig wie das Theater, aus dem er stammt. Auch wenn man bis kurz vor der Generalprobe noch im Streit war: Der gute Premierengeist ist vergesslich. Er vergisst, dass man bei der letzten Beleuchtungsprobe angeschrien wurde, er vergisst, dass er der Schauspielerin den Klavierauszug an den Kopf geworfen hat (war ja nicht so gemeint). Die Entschuldigung danach hat man auch vergessen. Die Intendanz stoßt mit dem Premierengeist an, ob er denn nicht auch nächstes Jahr eine Premiere machen wollte? Denn: im Theater zählt ja am Ende das Produkt, der Prozess ist ab heute im Wein ertrunken.

Flachgelegt im Backstage

Ich wende mich ab und der Tanzfläche zu, wo gerade die Hierarchien flachgelegt werden (natürlich abseits der wichtigen Tischgespräche). Der Requisiteur legt auf, die Hospitant*innen tanzen mit den Hauptdarstellenden, die Bühnenbildnerin mit dem Lichttechniker. Und der Premierengeist schüttelt sich zwischen allen. Für einen Moment ist das Theater das, was es so oft vorgibt zu sein: eine große, sich selbst feiernde Familie. Egoismen haben abgetanzt, zumindest solange man selbst im richtigen Licht dasteht. Heute schauen alle gleich aus, gleich verrückt, gleich hipp, gleich intellektuell, gleich gekleidet, gleich weiß. Es ist Platz für alle, weil die anderen eh nicht gekommen sind. Geschlossene Gesellschaft, sorry.

Alles auf Anfang

Ich schaue den Premierengeistern beim Feiern zu. Ich liebe es, wie sich das Theater immer wieder selbst betrügt, immer alles auf null stellt, neu aufbricht, ohne die alten Wege zu hinterfragen. Nach Schauder und Jammer folgt nach Aristoteles eben Katharsis. Erkenntnis wäre mir lieber gewesen. Plötzlich klopft es mir von hinten auf die Schulter.

„Du bist noch da?“

„Ja, wieso?“

„Hast du nicht morgen schon wieder Probenstart?“

Der Premierengeist vergisst schließlich nicht alles. 

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