Ein unerwünschtes Kind
Der verstoßene Gott Hephaistos sorgt mit seinen Visionen für Unruhe im Olymp, er ist anders als seine Geschwister. Wim Vandekeybus will beim ImPulsTanz-Festival mit Videoprojektionen und Popmusik die griechische Mythologie aktualisieren. Geht das überhaupt?
Eine sitzende Gestalt, verschwommene Visionen, Kohle auf Papier. Der gefallene Gott Hephaistos ist in Ultima Vez’s neuer Produktion Infamous Offspring eine Künstlerin mit schottischem Akzent (Iona Kewney). Wie ein düsteres Omen malt sie fast ununterbrochen - Tiere, Augen, Linien, die sich zu menschlichen Gestalten verformen, setzt sie dann in Brand oder reißt sie von der Leinwand und beginnt eine neue Zeichnung.
Es scheint, als wolle Wim Vandekeybus den griechischen Olymp ins Heute transferieren: Zeus und Hera werden von Lucy Black und Daniel Copeland als überzeugend schräge Gottheiten verkörpert und auf großen Leinwänden eingeblendet. Ihre Kinder - der oft fordernde und chaotische Haufen an „Offsprings“ - tummelt sich als Tanzensemble unter ihnen auf der Bühne. Untermalt wird das Geschehen mit Musik von Warren Ellis (u.a. Bandkollege von Nick Cave and the Bad Seeds) bzw. seiner Band Dirty Three und der belgischen Band ILA. Insgesamt ein ziemlich kommerzieller Sound für eine so altertümliche Familie – absichtlich?
Immerhin sind Apollon, Artemis, Athene, Aphrodite, Hephaistos, Ares, Hermes und Dionysos hauptsächlich mit recht weltlichen Aktivitäten beschäftigt: Entweder streiten sie leidenschaftlich, klagen ihre Eltern (berechtigt) wegen mangelnder Hilfsbereitschaft oder Verbrechen an oder reiben sich aneinander. Doch es liegt in der Familie, auch Zeus und Hera verbringen ihre Zeit damit, sich Vorwürfe zu machen oder an bessere Tage als kinderloses Paar zurückzudenken - wenn Zeus nicht gerade wieder als Shapeshifter die Erde heimsucht. Die vielseitige Bande ist ihnen lästig geworden. Besonders Hephaistos ist seiner Familie ein Dorn im Auge, mit seinen schwachen Beinen und als “hässlich” verurteilt wird er als unwürdiger Gott aus dem Olymp verstoßen.
Wer ohne Vorwissen über griechische Mythologie an diesem Abend im Publikum sitzt, wird sich in vielen Momenten verloren fühlen, denn Erklärungen gibt es im Text von Fiona Benson kaum. Die verschiedenen antiken Erzählungen, die bspw. jeweils eine andere Version von Hephaistos Schicksal nennen, machen es umso schwieriger, die Anspielungen der Inszenierung zu verstehen. Tanzen kann das Ensemble jedoch, und überzeugt auch in Infamous Offspring mit beeindruckendem Durchhaltevermögen und Professionalität, wenn auch die Choreographie gerade in Kombination mit der eingespielten Musik manchmal übertrieben emotionalisierend wirkt.
Ein ungeahntes Highlight der Inszenierung, neben dem künstlerischen Multitalent Kewney, ist der spanische Flamencotänzer Israel Galvàn, der, ebenfalls als Videoprojektion, den blinden Propheten Tiresias darstellt. Fast schüchtern tritt er auf, spricht kein Wort, und donnert später mit einem Paar Stiefel dermaßen rhythmisch auf einen Tisch mit Münzen auf dem Tischtuch, dass seine Erscheinung das Übernatürliche letztlich am besten verkörpert. Einen ähnlich düsteren Charme lässt die restliche Inszenierung oft schmerzlich vermissen.