Fiesta colombiana!
Fliegende Instrumente und Orchesterchoreografie zu Petruschka: Das kolumbianische Jugendorchester unter Andrés Orozco-Estrada bringt mit den Labèques an einem heißen Sommerabend die Stimmung im Konzerthaus zum Kochen.
Es wurde viel geklatscht an diesem Abend – und zwar im Rhythmus. So mitreißend war das Konzert der Filarmónica Joven de Colombia, die ihr Debüt im Wiener Konzerthaus feierten. Und was für eine Feier: Die etwa 80 Musiker*innen zwischen 18 und 24 Jahren spielten in konkurrenzreifer Qualität Strawinskis Petruschka sowie ein Programm mit Werken zeitgenössischer kolumbianischer Komponisten. Andrés Orozco-Estrada, der ehemalige Chefdirigent der Wiener Symphoniker und zugleich Patron der kolumbianischen Jugendphilharmonie, hatte sichtlich Freude an der Energie und dem Elan, der vom Orchester ausging.
Die Kaderschmieden aus Südamerika
Es ist ein neues, aber doch bekanntes Phänomen, dass die konsequente Musikförderung in südamerikanischen Ländern wie Venezuela oder Kolumbien exzellente und engagierte Musiker*innen hervorbringt. Auch Gustavo Dudamel mit seinem venezolanischen Jugendorchester zeugt vom hohen Stellenwert, den das gemeinsame, symphonische Musizieren hier einnimmt. Es ist nicht die erste Europatournee für die Filamónica Joven, schon 2017 waren sie bei unterschiedlichen Festivals in Deutschland und Österreich zu Gast gewesen.
Der Mittwochabend im Konzerthaus nun, ein heißer Abend, der in eine tropische Nacht überging, bot dramaturgisch die perfekte Bühne für diese Eruption guter Laune im Saal. Eröffnet wurde das Konzert durch die Miniatur Travesía des jungen Komponisten Wolfgang Ordoñez. Cineastisch-anmutende, getragene Teile wechselten sich scharf mit polyrhythmischen Abschnitten ab, Harmonien fächerten sich schnell auf, dann vereinte sich das Orchester wieder zu spannungsgeladenen Tutti-Rhythmen. Dabei bewiesen die Musiker*innen eine beeindruckende Fähigkeit zur Differenzierung zwischen sich wiederholenden Rhythmuspartikeln.
Orozco-Estrada mit Stand-Up-Qualitäten
In der Umbaupause greift Orozco-Estrada zum Mikrofon – es hat etwas von einem Schulkonzert, wie er frei und väterlich von seinem Herzensprojekt spricht, improvisiert, von der Erklärung musikalischer Details zum nächsten Gag springt. Das Publikum hätte ihn sofort als Stand-up-Comedian akzeptiert.
Die Zusammenstellung aus Teilen einer kolumbianischen Markuspassion von Osvaldo Golijov war wie die Transformation, die Elevation des davor gehörten. Zusammen mit den Schwestern Katia und Marielle Labèque an zwei Klavieren sowie Percussionsolisten wurde ein Paradebeispiel dessen dargeboten, was man verkürzt Latin Jazz nennen könnte. Das Orchester, insbesondere die Blechbläser wie eine Bigband, solistische Partien, ruhige und ekstatische Abschnitte. Rhythmen wurden in sich selbst verkehrt, umgedeutet und wuchsen aus sich heraus, atmosphärische Zupfbassklänge gesellten sich neben Zitate aus Latin Classics, ein wenig Minimalism, dann wieder der Anschein eines kolumbianischen James Bonds. Was jetzt wahllos klingt, war vielleicht eine Collage, die die Klaviersolistinnen komplett überstrahlte, aber doch so stimmungsvoll.
Und schließlich, der Main Act des Abends – es musste schließlich bewiesen werden, dass die Filarmónica Joven auch die Großen der Musikliteratur beherrschen. Das Besondere an dieser musikalisch recht gewöhnlichen Interpretation war die Orchesterchoreographie des Balletttänzers Martin Buczkó. Zur Burleske Petruschka, die eigentlich ein Ballett ist, tanzten die Instrumente. Das ganze Orchester war in Bewegung, ließ die Instrumente fliegen, machte Bewegungen mit Händen und Armen, schwang zur Musik. So etwas hat das Konzerthaus wohl noch nie gesehen. Leider tat dieses Spiel der Interpretation der anspruchsvollen Partitur einen kleinen Abbruch: alles war einfach nur laut. Doch das gemeinsame Spiel, das akkurate kollektive Einatmen, der Spaß und die Kraft, glich das aus. Nach einer Zugabe rief das Publikum – und gerne in den nächsten Jahren wieder!