„If you don’t go crazy, you are not normal“

The King of Balkan im Konzerthaus: Goran Bregović und sein Wedding and Funeral Orchestra sorgten für Bombenstimmung, Spitzenlaune und auch für Kontroverse.

Partystimmung in den alten Gemäuern /// Patrick Münnich (c)

Gas! Gas! Gas! Die ekstatische Menschenmasse brüllt mit der Band mit, alles tanzt, alles feiert. Auf der Bühne des Konzerthauses sitzt ein altersloser Mann in strahlend weißem Anzug, mit einer kleinen E-Gitarre im Schoß und dirigiert mit der gehobenen Rechten spielend seine Musiker*innen. Es ist der Balkan-Star Goran Bregović, der seit Jahrzehnten die beliebteste Stimme von Ex-Jugoslawien ist, mit seinem Wedding and Funeral Orchestra. Das besteht nur aus zwei Posaunen (die seltsam hornartig aussehen), zwei Trompeten und einem Saxofonisten, der manchmal auch Klarinette spielte, sowie zwei bulgarischen Sängerinnen in Tracht. Doch das reicht, um so viel Stimmung zu sorgen, dass sich das arme alte Konzerthaus selbst zerlegte.

Literally, denn nach einer halben Stunde fingen die Lautsprecher an, immer lauter zu knistern. Es wurde immer stärker, zuletzt klang das, als würde jemand ständig Böller vor einem Mikrofon anzünden. Nach kurzer Verwirrung wurde eine Pause eingelegt, nach einer Viertelstunde ging die Show aber schon wieder weiter. Und wie! Das trällernde Blech, die wilden Kontrarhythmen ließen uns alle wild mitzucken. Ich konnte nicht anders, als ganz breit zu grinsen und dachte an den letzten Balkan-Star, der im Haus spielte: Ivo Pogorelich. Zwei Extremen, laut und lebensfroh der Eine, düster-depressiv der Andere. Unten im Parterre gab es statt Stühlen eine riesige Tanzfläche, die prall gefüllt mit wildgewordenen Wiener*innen nur so wellte. Auch die oberen Ränge waren voll, die Party verlief aber unten am wildesten.

Gänsehaut zwischen Tanznummern

Goran Bregović ist schon 72, das merkt man ihm aber nicht an. Er schont sich aber offensichtlich ein wenig, indem den Großteil des Gesangs sein junger Drummer Muharem Redžepi übernahm, der neben ihm auf einem Teppich thronte und die spielerischen Melodien mit viel Herzblut sang. Für besonders viel Gänsehaut sorgte Ederlezi. Ein seltener ruhiger Moment in diesem sonst so energiegeladenen Konzert.

Als ich vor dem Konzert bei über 30 Grad beim Konzerthaus ankam, freute ich mich naiv, wie ich bin, über Gratis-Getränke, die offensichtlich vor dem Eingang verteilt wurden. Erst aus der Nähe merkte ich, dass die edel gekleideten Kellner*innen Protestierende waren, die Champagnerflöten auf ihren Tablets waren mit roter Farbe gefüllt. Bregović trat 2015 auf der Krim auf und wurde danach von zwei Festivals in Polen und der Ukraine ausgeladen. Aktuelle Äußerungen zu Russland habe ich von ihm keine gefunden, wie auch keine weiteren Hinweise auf Kremlnähe. Ist dieser Auftritt Grund genug, ihn zu boykottieren? Man entscheide selbst…

Schluck Blut gefällig? /// Dávid Gajdos (c)

Kalasnjikov, Bumm, Bumm

Ein denkwürdiger Moment im Konzert war, als er vor seiner letzten Zugabe erklärte, sonst würde er immer mit seinem Song Kalasnjikov schließen, jetzt wäre das aber unpassend. Doch dann redete er weiter, ich vernahm irgendwas von Ironie, und fragte das Publikum: Soll ich das Lied spielen? Jaaaa, kam die Antwort gegrölt. Bumm, Bumm, sang er also und brüllte dazu: If you don’t go crazy, you are not normal! Ironie hin oder her, mir wäre es lieber gewesen, wenn er auf Bella Ciao direkt davor geschlossen hätte.

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