Die Desillusionierung des neuesten Filmbro-Epos

Hear me out: Vielleicht ist The Brutalist als der zukünftige Oscar-Hit in Überlänge doch kein „Meisterwerk“.

© Universal Pictures

Trigger Warnung: Vergewaltigung /// Beinhaltet Spoiler

Nach 3 ½ Stunden im Kinosessel, inklusive einer 15-minütigen Toilettenpause während der Intermission, stellt man sich die Frage, ob The Brutalist (R.: Brady Corbet) vielleicht doch nur der neueste Wet-Dream eines jeden Filmbros ist. Mit 10 Oscar-Nominierungen wird der Film jedoch nicht nur von den vermeintlichen Filmkenner:innen sehr gelobt, sondern hat auch die Bestätigung und den Zuspruch von Hollywood erhalten. Was steckt also hinter dem neuesten A24 Hit und ist der Hype gerechtfertigt?

Der amerikanische Traum platzt

Wie die auf den Kopf gestellte Freiheitsstatue am Anfang des Films klarmacht, soll die Geschichte des fiktiven Architekten László Tóth (Adrien Brody) einen Gegenpol zum klassischen Narrativ des amerikanischen Traums darstellen. Tóth, der den Holocaust überlebt hat und vor dem Krieg ein in Ungarn gefeierter Architekt war, gelingt eine Flucht nach Amerika. Im Gegensatz zu anderen Immigrant:innen hat er bereits Anknüpfpunkte in seiner neuen Heimat, namentlich seinen Cousin Attila (Alessandro Nivola). Dieser ermöglicht dem bereits Englisch sprechenden Architekten einen Arbeitsplatz in seiner Firma und eine Unterkunft. Kurz darauf wird er von einem exzentrischen Entrepreneur namens Harrison Van Buren (Guy Pearce) neu ‚entdeckt‘, der ihn auch prompt anstellt, um ein Gemeindezentrum in der brutalistischen Ästhetik zu bauen. In den darauffolgenden drei Stunden entfalten sich die Beziehungen zwischen Tóth, seinem Patronagen Van Buren, seiner bislang noch in Ungarn zurückgelassenen Frau Erzsébet (Felicity Jones) und dem amerikanischen Traum.

Motive wie Religion, Sucht, Krieg und Flucht sind die perfekte Voraussetzung für eine bewegende Neuinterpretation der klassischen ‚immigrant experience.’ Tóth muss sich in seiner neuen Realität zurechtfinden. Diese ist gefüllt mit etwa Diskriminierung und Obdachlosigkeit, aber auch Hoffnung auf die Wiedervereinigung mit seiner Familie und neue professionelle Chancen. Die Desillusionierung der amerikanischen Propaganda-Geschichte wäre jedoch um einiges gelungener, wenn der Film auch nur einen Charakter hätte, den man glücklich sehen will. Tóth als bereits gebildeter und in Ungarn erfolgreicher Mann, dem Chancen durch Vitamin B ermöglicht werden, ist kein Charakter, zu dem ich groß Sympathien aufbauen kann. Auch als ‚unlikable‘ Charakter gibt er nicht viel her, denn anstatt einer fesselnden Charakterisierung wirkt er besonders in der zweiten Hälfte des Films wie ein Tyrann. Van Buren ist ein pseudointellektueller Elitärer ohne Rückgrad und trotz dieser intendierten Zeichnung des Charakters bleibt auch hier der Wunsch nach mehr aus. Erzsébet ist als intelligente Journalistin mit Kriegs-Traumata noch ein Hoffnungsschimmer. Dieser erlischt jedoch prompt, als ihre sexuell übergriffige Natur gegenüber ihrem Mann zum Vorschein kommt. Dazu jedoch später mehr.

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Bei 3 ½ Stunden Laufzeit ist es nicht verwunderlich, dass so einige Szenen länger anhalten, als es nötig wäre. Was jedoch dann doch etwas überraschend kommt, ist der Schnitt, der immer dann eine Szene beendet und offen lässt, wenn es interessant wird. Besonders betroffen sind Szenen mit dem ‚besten Freund‘ und Assistenten Gordon. Seine Figur hat viel Potenzial, den Mythos des amerikanischen Traums aus einer BIPOC-Perspektive aufzubrechen. Dieses Potenzial bleibt jedoch unergründet, da Gordon und seine Arbeit nicht nur in der US-amerikanischen Gesellschaft, sondern auch im Film größtenteils unsichtbar bleiben. Das Problem der Unsichtbarkeit stellt sich mir auch bei der Thematisierung Tóths Notlagen. Zwar wird gezeigt, wie er etwa mit seiner Drogensucht zu kämpfen hat, jedoch kommt direkt im Anschluss eine Erlösung durch Van Buren. Somit haben meine Emotionen kaum Zeit, sich an den tristen Alltag zu gewöhnen, bevor es wieder ab in die Welt der finanziellen Mittel geht. Und ohne erneut die Überlänge des Films betonen zu wollen, würde ich behaupten, dass es durchaus genügend Spielraum gegeben hätte, etwas mehr Zeit mit Tóth in der ausweglosen Depression des amerikanischen Alltags der 1950er Jahre zu verbringen. Vielleicht hätte ich dann einen größeren Mehrwert in dem Film gesehen.

Denn den amerikanischen Traum als genau das zu erkennen, nämlich eine Idealvorstellung fernab von jeglicher Realität, ist auch nur innerhalb der US-amerikanischen Grenzen ein neues Konzept. Somit wäre es auch sinnvoll, eine bislang noch unterrepräsentierte Lücke zu füllen. Es sei dahingestellt, ob es eine weitere Aufarbeitung benötigt, wie schlecht es um einen weißen Englisch-sprechenden Mann mit akademischer Bildung in den USA steht. Zumindest bringt die Religions-Komponente einen interessanten Diskurs mit ein. Nur leider geht auch dieser nicht ganz auf, da die Repräsentation Tóths jüdischer Religionszugehörigkeit weniger einem kritischen Hinterfragen der Umstände in den 1950er/60er Jahren gleicht und eher wie zionistische Propaganda wirkt. Denn Israel wird von Erzsébet als auch ihrer Nichte klar als das ‚einzig wahre Heimatland‘ positioniert, in das sie ‚zurückkehren‘ müssen. Dies, obwohl sie bis auf ihre Religionszugehörigkeit keinerlei Verbindung mit dem Land haben.

Vergewaltigung? Vergewaltigung!

Wie bereits erwähnt, gibt es in diesem Film nicht nur eine, sondern zwei Vergewaltigungsszenen, wobei auf eine dritte zwischen Van Burens Sohn und Tóths Nichte angespielt wird. Die zweite ist jedoch klar als Vergewaltigung dargestellt. Van Buren vergreift sich brutal an Tóth in einer Szene, die sowohl metaphorisch als auch physisch als Desillusionierung und Unterwerfung eines ‚nicht amerikanischen Körpers‘ gelesen werden kann. Subtiler und bei weitem weniger explizit, jedoch nicht weniger bedeutsam ist die Szene zwischen Erzsébet und László. Das Paar ist nach einer jahrelangen körperlichen Trennung wieder vereint und Erzsébet möchte sich ihrem Mann wieder annähern. Dies geschieht trotz klarer verbaler Ablehnung von László und seinem Wegdrehen. Jedoch lässt seine Frau nicht locker und beschwichtigt ihn, dass sie ihm seine Fehltritte vergibt. Diese Aussage bezieht sich auf Lászlós Untreue, welche er Jahre zuvor beging, als er Erzsébet noch tot glaubte. László beginnt zu weinen und seine verinnerlichte Scham, aber auch eine gewisse Erleichterung kommen zum Vorschein. Das alles geschieht während kontinuierlicher Berührung von Erzsébet unter der Bettdecke.

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Im Gegensatz zu der zweiten, expliziteren Vergewaltigungsszene, auf welche das Publikum im Kinosaal teils erschrocken reagierte, blieb diese Reaktion bei den soeben beschriebenen Handlungen aus. Ist der Unterschied auf die Intensität zurückzuführen oder auf das Geschlecht der Täter:innen? Vergewaltigungen mit einem männlichen Opfer und einer weiblichen Täterin werden oft belächelt oder, wie in diesem Fall, nicht einmal als übergriffig wahrgenommen. Wie auch ein Letterboxd User schreibt: „oh no my hot wife wants to give me crazy psychic handjobs THE HORROR.“ Mit 1695 Likes findet diese Review großen Anklang und zeigt, dass Lászlós Widerstand zwar wahrgenommen, aber verspottet wird. Auch, dass das Paar verheiratet ist, scheint Lászlós klares „Nein“ zu entkräften. All jene, welche das Argument der Existenz von Täterinnen als Reaktion auf die ‚klassische‘ männlicher Täter/weibliche Überlebende-Verteilung vorbringen, schauen genau hier weg. Wäre die Reaktion anders, wenn die Rollen vertauscht wären und László Erzsébet zum Sex drängen würde? Wenn man den Film gesehen und diese Szene nicht als übergriffig wahrgenommen hat, diese Frage aber mit „Ja“ beantwortet, ist es an der Zeit für eine Reevaluation der eigenen Seheindrücke.

Wo bleibt denn da die Architektur?

Der Filmtitel verspricht mit der Referenz auf den brutalistischen Baustil schlichte, jedoch imposante Bildaufnahmen. Diese werden vereinzelt geliefert, wobei das Projekt des Films, nämlich das Gemeindezentrum, nur minimale Screen-Time bekommt und einen enttäuscht zurücklässt. Thematisch wird Brutalismus mehr verhandelt und auch sonst sind die ein oder andere sehr ästhetische Einstellung vorhanden, die die visuellen Bedürfnisse dann etwas stillen.

Zeitverschwendung oder ein Must-Watch?

Die Erinnerung zurück an vergangene Kino-Traditionen wie der Intermission oder die Ästhetik sowie der Gebrauch von 70mm Filme ist in der heutigen Kinolandschaft nur mehr selten gesehen. Gehört jedoch der amerikanische Traum, wie auch Filme in Überlänge, einer Vergangenheit an, die man besser ruhen lassen sollte? Anstelle einer Reproduktion von bereits bestehenden Perspektiven in unnötiger Länge sollte der Fokus vielmehr auf diversifizierten und kritisch aufgearbeiteten Narrativen liegen. Will man sich den neuen Filmklassiker jedoch nicht entgehen lassen, dann ab in die Kinos! Denn wenn, dann sollte The Brutalist auf der großen Leinwand gesichtet werden.

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