Fischers Fische
Iván Fischer im Gespräch mit seinen Namensgenossen - Absurde Komik und Musik vom Feinsten vom Budapest Festival Orchestra.
Anm.: Das BFO hat leider das Video mittlerweile von YouTube entfernt.
Iván Fischer ist eine Ausnahmeerscheinung. Das neueste Projekt des ewigjungen 70-jährigen wurde am Valentinstag gestreamt, ging vor drei Tagen online und hat es in sich. Die Zutaten? Ein bombastisches Orchester, zwischen den Musikern riesige Plüschtiere auf Sitzsäcken (mit Maske, versteht sich) und ein so charismatischer wie liebenswürdiger Dirigent, der die Sätze einem Aquarium voller Namensgenossen erklärt. Wie bitte? Kein Scherz, beziehungsweise ein richtig guter.
Bei dem Budapest Festival Orchestra haben besondere Konzertformate Tradition, die Reihe Midnight Music bietet jungen Enthusiasten um Mitternacht äußerst bequeme Sitzsäcke mitten im Orchester (in der Pandemie vertreten uns die Plüschtiere) und kurze Erläuterungen Fischers zu einem einstündigen Programm. (Die Wiener Symphoniker bieten mit „Im Klang“ klanglich das gleiche aber am Nachmittag, ohne Sitzsäcke und mit Kleinkindern). Für so ein Partystarter-Konzert wurde ursprünglich Mahlers 7. Sinfonie (posthum Lied der Nacht getauft, perfekte Wahl) angesetzt, aus Zeitgründen ohne den Kopfsatz. Fischer führte den Fischen also gleich den zweiten Satz ein, mit viel Geduld und feinem ungarischen Akzent.
Mahler ließ sich zum zweiten Satz von Rembrandts Nachtwache inspirieren und überschrieb ihn mit Nachtmusik. Wer dabei an Mozart denkt, ist auf der falschen Fährte, Mahlers Nachtmusik ist eine große, fast schon monströse, mit Märschen und Kuhglocken (ein Markenzeichen). Fischer stoppt bei Minute 11 sein Spitzenorchester, um den musikalisch miserabel ausgebildeten Flossentieren zu erklären, was es mit den Tonarten so auf sich hat. Kein Wunder, dass sie dazu nur ratlos mit den Flossen wackeln, immerhin wird bis heute gestritten, in welcher Tonart das Stück überhaupt steht.
Fischers Ansage zum Scherzo (17:50) ist ein Must-see. Wie oft sieht man schon einen Weltklassedirigenten, wie er vor einem Aquarium mit vollem Ernst Fischbewegungen imitiert? Das Scherzo selbst ist wiederum ein Must-hear, nicht umsonst wird das BFO unter den zehn besten Orchestern der Welt gehandelt. Die Musiker rocken Mahlers schrägen Walzer (eine Stichelei gegen die Wiener, die mit Hofkapellmeister Mahler nur bedingt warm wurden?); da muss man einfach als ekstatisch mitwippen. Im Scherzo hört man, warum Mahler die (tatsächlich äußerst virtuose) Instrumentierung der Sinfonie als sein „bestes Werk“ bezeichnete. Die Motive flitzen nur so durch das opulent besetzte Orchester, das kaum in den eigenen Probensaal passt, und von Mahlerkenner Fischer wie ein einziges Rieseninstrument bespielt wird. Immerhin leitet er es seit der Gründung 1983 (lange ließ er noch nicht mal Gastdirigenten ans Pult).
“Humans are sometimes optimistic or pessimistic. I wonder about the fish...”
Der dritte Satz ist wieder eine Nachtmusik, diesmal etwas ruhiger. In kleinerer Besetzung und mit Harfe, Gitarre (!) und Mandoline (!!) schlägt Mahler romantische Töne an. Für Fischer eine Szene mit Tristan als Grille und Isolde als Leuchtkäfer. Die letzte Ansage Fischers (41:35) ist der komische Höhepunkt des Konzerts. „Try to learn how to have fun“ fordert Fischer die Fische auf und erreicht ein Monty-Pythonesques Niveau der Absurdität. Der Schlusssatz steht im strahlenden C-Dur und kann den neuen Tag nicht laut genug zelebrieren. In einem pandemielosen Paralleluniversum hätte er die bequem schlummernden Zuhörer unsanft geweckt. Jetzt passt er besser und entlockt ein ehrliches wie verdientes „bravi“ von Fischer. Diesen Mann kann weder die in guter Orbán-Manier gekürzte Finanzierung, noch die Pandemie stoppen, wenn es um das Begeistern für die Musik geht.
Kleine Zugabe: Iván Fischers bezaubernde Akustikverbesserermaske. Lass uns hoffen, dass sie bald wieder bei echten Konzerten eingesetzt werden kann.