Ganz viele Feelings

CHRISTLs Musik ist vieles, aber sicher nicht einfach. Auf ihrem Debütalbum nimmt sie in Schwere und Leichtigkeit mit in eine feine Pop-Art-Welt. Eine Künstlerin und ihr Debüt im Porträt.

CHRISTL /// Hilde van Mas (c)

Die ganz schweren Gefühle, die absolute Leichtigkeit, all das auf Deutsch und Englisch. Das ist CHRISTL auf ihrem Debütalbum Green Blue Violet / Grün Blau Violett, das im Februar erschien. Ihr einzigartiger Stil ist in ihrer ganzen Ästhetik zu bemerken. Nicht nur in ihrer Musik gibt es klare Einflüsse aus Soul und Jazz, sondern auch in den Wirren ihres Albumcovers finden sich punkige Untertöne. Zum gemeinsamen Gespräch im Büro ihres Labels Ink Music trifft Bohema auf eine CHRISTL mit einer neongrünen Trainingsjacke, über der sie ein klassisches Jackett trägt. Man würde meinen diese Kombination passe nicht so gut, tut sie aber sensationell.

„Ich glaube, dass die Kunst einfach ein Ort ist, wo nur die Kunst und ich da sind.“

Man merkt schnell, das Kreative scheint etwas Grundsätzliches an der Person CHRISTL zu sein. Um herauszufinden, wieso diese Faszination für Kunst und Kreatives bei ihr so ausgeprägt ist studierte sie Kunstgeschichte: „Es war schon ein großer Punkt, dass man lernt, wie man über Kunst spricht. Wie macht man das greifbar?“

Die ersten Gehversuche ihrer Musikkarriere lassen sich auf Gesangswettbewerbe und kleine Bühnen zurückführen, auf denen noch keine eigene Musik gesungen wurde. Der folgende, offizielle Startpunkt ihres Projekts CHRISTL ist gleichbedeutend mit ihrem Umzug nach Wien vor einigen Jahren. Mit diesem großen Neuen kamen auch die ersten Aufnahmen und Studioerfahrungen. „Mein Produzent Andreas Lettner hat zu mir gesagt, er möchte nur, dass ich weiß, alles, was hier passiert, darf passieren und ich kann die Person sein, die ich bin. Er ist da, hört zu und nimmt auf.“

CHRISTL spricht über das, was nicht gesagt wird. Traumatische Ereignisse, tiefe Gefühle, das Loslösen von dem, was man doch irgendwie ist. All das prägt ihre Texte und gibt ihnen eine tiefgreifende Emotionalität. Mit ihrer souligen Stimme besingt CHRISTL so ganz große Emotionen, die sich immer echt und authentisch anfühlen. Dass dieses Texten nicht spurlos an ihr vorbeigeht, erzählt sie, als über den Song Weiter Weg gesprochen wird: „Wir haben zwei Takes gemacht und ich habe danach gesagt, es geht nicht mehr. Was wir haben, müssen wir nehmen.“ Die Stilmittel in ihren Songs reichen von wunderschön bis extrem, so lässt auch der Titel des Songs Tod aufhorchen. In diesem Lied benutzt sie die auffällige Radikalität als Stilmittel, um zu beschreiben, was in diesen Zeilen steckt: „Es geht darum, dass man diese Teile, die von einer anderen Person in einem stecken nicht will, und damit irgendwie abschließen möchte.“

„Was ist da noch außer dieses Schwere?“

Doch nicht nur die Schwere überwiegt auf ihrem Debütalbum. CHRISTL lässt die Hörenden auch an einer gewissen Leichtigkeit teilhaben. Aus einer tiefen Emotionalität schwingt sich das Album immer mehr auf zu einem, dass auch andere Stimmen und Stimmungen ins Spiel bringt. CHRISTL schafft eine Leichtigkeit, die beinahe kindlich wirkt an Stellen und das Gegenstück zum ersten Teil des Albums darstellt: „Was ist noch da außer dieses Schwere? Wofür möchte ich Platz schaffen?“ In der Musik findet eine Suche nach Neuem statt, das zwar eine davor unbekannte Perspektive schafft, aber nicht löscht, was davor passiert ist. Christl erschafft eine Gegenwelt zu der Schwere, in die sie uns davor so gefühlvoll mitnimmt. Dabei betont sie stets, dass der Verlauf des Albums keineswegs in ein Happy End mündet, sondern als ein Platz-Schaffen für Neues gedacht ist.

„In dem Song ging es krass um eine Nostalgie. So eine kleine CHRISTL in mir, die auch mal sprechen wollte.“

So beschreibt CHRISTL das Arbeiten an ihrem Song Verstecken. Im Lied wird auf eine spielerische Art und Weise das Kinderspiel, das im Titel steckt, besungen. Natürlich immer mit einem Hintergrund, der im Text schnell klar wird, so singt sie dort: „Du musst dich nicht verstellen, verbiegen.“ Das eigene innere Kind kommt heraus und singt nochmal, was man im besten Falle schon im Kindesalter zu hören bekommen hätte. Mit Songs wie diesem geht CHRISTL nochmal einen ganz anderen Weg. Sie schafft es eindrucksvoll ihren Wohlfühlbereich der Sad-Songs zu verlassen und Unbequemeres, das man bisher von ihr als Künstlerin nicht kannte, auszuprobieren.

In der Erschaffung dieser Ambivalenz zwischen dem Leichten und Schweren bewegt sich CHRISTLs Album. Es ist nicht nach einem Handlungsbogen geschaffen, der sich über die Songs hinweg zieht, sondern ist eine chronologische Anordnung der Songs. Die Hörenden begleiten CHRISTL bei ihrem Rückblick in die Vergangenheit, der Beschreibung der Gegenwart, bis hin zu einem Ausblick: „Da geht es gar nicht um die Zukunft, sondern was kommt da? Was würde ich mir wünschen für mich?“

Die eigene Lyrik und fremde Worte

Im Leben der Person und Künstlerin CHRISTL spielt Literatur quasi schon immer eine extrem große Rolle. 2023 wird ihr Lyrikband Ich glaub ich hasse mich beim Haymon Verlag veröffentlicht und auch in ihrem sonstigen künstlerischen Schaffen ist der Einfluss und die Bedeutung der Literatur eine besondere. Die Einordnung der eigenen Erlebnisse und das Schreiben CHRISTLs selbst, sind dabei immer geprägt von dem, was andere geschrieben haben: „Es gibt Leute, die haben über krasse Dinge geschrieben, du kannst es auch. Das hat mir viel Mut zugesprochen.“

Blutbuch von Kim de l’Horizon findet neben CHRISTLs eigenen Texten einen prominenten Platz auf dem Album. Es scheint perfekt zu passen, Texte auf Deutsch und Englisch, eine signifikant lyrische Schreibweise und die Verarbeitung von schweren Themen. Mit der Einstimmung von Kim de l’Horizon ist es möglich, dass zwei Textausschnitte aus Blutbuch ihren Weg auf das Album finden. Diese sind ebenso wie die zwei Textausschnitte aus CHRISTLs Lyrikband Ich glaub ich hasse mich von Freund*innen gelesen: „Es ist nicht nur eine Geschichte von mir, sondern auch von vielen anderen Leuten. Ich habe die Texte dann von Friends einsprechen lassen, dass das vielleicht auch eine gemeinsame Erzählung sein kann und nicht nur meine.“ Mit den neuen Stimmfarben macht CHRISTL ihr Album zu einem kollektiven Erlebnis und zeigt, dass ihre Texte nicht nur persönlich sind, sondern allen gehören, die das Besungene nachempfinden können. Die gelesenen Texte zwischen den Songs schaffen eine Verbindung zwischen den Songs und zwischen den Sprachen. Sie sind keineswegs ein Strukturelement, das trennt, sondern sie dienen als Zusatz zu dem, was CHRISTL in ihrer Musik bietet.

Was ist und kommt

CHRISTL steht als junge Künstlerin noch ganz am Anfang ihres Schaffens. Ein Auftritt auf dem Popfest als allererster Gig, das Debütalbum, die ersten Headliner-Auftritte, so zeigen sich die letzten Monate eines bewegten Künstler*innenlebens. Die Vorfreude auf das Spielen der eigenen Kunst vor begeistertem Publikum ist CHRISTL bereits jetzt anzuhören: „Ich glaube das ist die einzige Intention, das einfach zu machen und Spaß zu haben.“ Keine übertriebene Show oder besondere Gestaltung der Live-Auftritte, es geht um die Kunst und die Personen auf der Bühne. Diese Vorstellung von CHRISTL als Performerin steht dabei fast in einem Gegensatz zur Betrachtung ihrer Kunst, wenn sie nicht live vorgetragen wird. So sagt sie angesprochen auf die vielen bunten Eindrücke des Albumcovers: „Mit der Musik muss man sich ein bisschen auseinandersetzen bis man es checkt und deswegen ist es beim Albumcover unterbewusst genauso geworden.“ Beim Songwriting ist in CHRISTLs eigenen Augen alles gesagt, was auf Green Blue Violet / Grün Blau Violett Platz finden sollte. Nach ihrem inhaltlich abgerundeten Erstlingsalbum steht sie schon in den Startlöchern für das zweite: „Ich merke einfach, es geht schon wieder los für mich.“

Live kann man sich entweder am 14.06.2024 kostenlos in der Wiener Reindorfgasse oder dann am 30.06.2024 am Lido Sounds Festival in Linz von CHRISTL überzeugen.

Previous
Previous

Bis zur Unendlichkeit und darüber hinaus

Next
Next

Zukunftsmythen und lautes Wroom Wroom