Halluzination in Albumlänge

‘Spaghetti mit Spinat’, Discokugel, a cappella Gesang und Filmmusikmomente: Sophie Hunger beförderte uns mit ihrem Album ‘Halluzinationen’ in eine weit entfernte Sphäre.

Sophie Hunger in der Dunkelheit /// Sophie Hunger (c)

Unter schallendem Applaus betrat Sophie Hunger die Bühne, stellte sich an den Bühnenrand und stimmte das erste Lied an. A cappella und ohne Mikrofon. Sophies pure Stimme, komplett unverstärkt, zog die Aufmerksamkeit des gesamten Raumes auf sich, es herrschte vollkommene Stille.

Erst nach dem ersten Lied betrat die restliche Band die Bühne. Anfangs nur Alexis Anérilles an den Keys und Julian Sartorius an den Drums, nach wenigen Songs wurde die Band durch den Chor vervollständigt. Fama M'Boup, Anna-Lucia Rupp, Mark Berube und Moritz Klatt stellten sich in einem Halbkreis um Sophie Hunger herum auf. Diese Art der Aufstellung nahm der Chor im Laufe des Abends immer wieder ein und gefiel mir persönlich sehr gut. Der Backgroundchor wurde dadurch automatisch in den Vordergrund gerückt, die tragende Rolle der vier Stimmen somit auch optisch repräsentiert. Die Chorarrangements waren aufwendig und komplex.

Je mehr Stimmen, umso berührender?

Eine erfahrene Musikerin hat vor einigen Jahren zu mir gesagt: „Je mehr Stimmen du auf der Bühne hast, desto berührender wird das musikalische Erlebnis für die Leute im Publikum.“ Ich muss häufig an diese Aussage denken und bei Sophie Hunger wurde mir diese wieder bestätigt. Der Chor leitete oftmals die Atmosphäre der einzelnen Songs an. Durch perfekt intonierte Harmoniewechsel führte er uns durch sich immer weiter in Dissonanzen verstrickende, dramatische Klänge, um auf den nächsten Schlag die sehnsüchtig erwartete Auflösung anzustimmen und plötzlich die Stimmung im Raum aufzuhellen.

Sophie Hunger erklärte nach wenigen Nummern das Konzept des Albums Halluzination: Das Album wurde in einem Stück aufgenommen. Als wäre es ein Lied. So sei es ja auch bei Halluzinationen, da gäbe es auch keine Unterbrechung, so Hunger. Mit diesen Worten begann die musikalische Reise.

Das Album ist ein großes Kunstwerk. Wechselnde Besetzungen und Instrumentierungen schafften ein sich ständig veränderndes Klanggebilde. Keine zwei Songs ähnelten sich und trotzdem schaffte es die Band einen roten klanglichen Faden durch das ganze Konzert zu ziehen. Sophie Hunger zeigte dabei eine große Bandbreite an musikalischem Können und Einflüssen. So spielte sie einige Stücke alleine mit der Gitarre und stellte dabei ihre Fähigkeiten als Instrumentalistin unter Beweis.

Auch aus dem imposanten Bösendorfer Flügel holte Hunger wundervolle Klänge hervor. Obwohl auf der Bühne ständige Bewegung durch das Auf- und Abgehen der Musiker*innen herrschte, wirkte das Konzert nie unruhig. Die Energie wurde durchgehend gehalten, die Übergänge zwischen den Songs wurden perfekt orchestriert und der Applaus wirkte wie ein Teil des Liedes in Albumlänge.

Ein ganz besonderer Moment wurde uns nach der Zugabe geliefert. Das Publikum verlangte nach mehr, was der nicht abreißen wollende Applaus und die Standing Ovations unter Beweis stellten. Die gesamte Band versammelte sich vor der Bühne und sang ein Abschiedslied im Chor, der Drummer benutzte die Monitorbox und die Bühne als improvisiertes Schlagzeug. Durch diese unmittelbare Nähe zu den Musiker*innen, die man Minuten zuvor noch auf der erhobenen Bühne bewundern durfte, wirkte das Erlebnis noch greifbarer. Ein wundervoller Konzertabend, eine mutige Gratwanderung zwischen Realität und Halluzination. Kurz konnte man die Sorgen des Alltags vergessen. Kurz konnte man sich der Halluzination hingeben.

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