Zwei Freunde und ein alter Bekannter

Ein gut zusammengestelltes, durch und durch slawisches Programm mit politischem Anstrich: Die Wiener Philharmoniker unter Andris Nelsons mit Raritäten von Weinberg, Schostakowitsch und Dvořák im Konzerthaus.

Dvořák à la Monroe, because why not /// Alexandra Timofeeva (c)

Während am 21. Juni vielerorts der Sonne gehuldigt wurde, war auch im Wiener Konzerthaus mal wieder richtig viel los; doch wohl nur hier fragten sich die Menschen gestern: Wer ist Mieczysław Weinberg (und wie im Himmel spricht man das überhaupt aus)?

Weinberg ist einer der großen Unbekannten des 20. Jahrhunderts. Als Sohn aus Moldawien stammender Eltern wurde er 1919 in Warschau geboren, wo er alsbald eine Karriere als Pianist begann. Beim Überfall der Wehrmacht 1939 floh er nach Minsk und als die Deutschen weiter in das heutige Belarus vorrückten, floh er nach Usbekistan. Seine Angehörigen wurden in einem KZ ermordet.

Komponistenbuddies Weinberg und Schosta

Aus Usbekistan gelangte 1943 die Partitur seiner 1. Symphonie nach Moskau zu Schostakowitsch, der von ihr begeistert war und alles in seiner Macht Stehende versuchte, um Weinberg nach Moskau zu holen. Weinberg kam schließlich nach Moskau und sollte dort bis zu seinem Tode 1996 bleiben. Zwischen den beiden Komponisten entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft voller Wertschätzung und gegenseitiger Inspiration. Doch so wie Schostakowitsch geriet auch Weinberg unter die Mühlsteine stalinistischer Kulturpolitik, wurde mal hoch gefeiert, mal als „formalistisch“ verleumdet und konnte erst 1953 nach dem Tode Stalins aufatmen (sein Schwiegervater war ermordet worden und er selbst musste ins Gefängnis). In seinem großen Œuvre, in dem 21 Symphonien, 17 Streichquartette und viele Opern zu finden sind, bezieht er zeitlebens Stellung zum Krieg, dem Holocaust und dem selbst erlebten Schrecken.

So ist auch sein Trompetenkonzert von 1966, das gestern überhaupt erst zum 2. Mal (!) im Konzerthaus gespielt wurde, eine sehr persönliche Verarbeitung dieser Geschehnisse. Das dreisätzige Konzert wird im ersten Satz vor allem von der Rhythmik getragen, im zweiten Satz vom Pedalton des Bass, der einen bedrohliche Stimmung kreiert und von einem wunderschön schwingenden Flötensolo übermalt wird, wie wir es aus vielen Symphonien von Schostakowitsch kennen. Der 3. Satz beginnt wie Mahlers 5., geht dann über in Mendelsohns Hochzeitsmarsch und greift ebenfalls Stellen aus Strawinskys Petruschka auf. Diese Mischung aus rhythmischem Witz, Trauer und Intertextualität geben dem ganzen Konzert bei aller musikalischer Raffinesse einen grotesken Beigeschmack. Wer die Führung hatte, schien ebenfalls nicht ganz geklärt; Nelsons dirigierte mit minimalem Gestus, fast schon unbeweglich, und Håkan Hardenberger an der Trompete war in seine Partitur vertieft, was alles in allem den grotesken Charakter weiter verstärkte. Doch die Wiener Philharmoniker waren so ausdrucksstark und die Streicher so kongruent, dass das alle Zweifel wett machte.

 Nelsons hüpft und kurbelt

Bei Schostakowitschs 9. und Dvořáks 6. Symphonie ist Nelsons dann wieder komplett in seinem Element – inklusive des typischen Anlehnens mit der linken Hand. Wer hier führt, steht außer Frage und Nelsons dirigiert aus den Knien, teils hüpfend und mit den Armen kurbelnd. Die sowjetische Führung hatte von Schostakowitsch nach Kriegsende eine monumentale Symphonie im Stile der 7. oder 8. erwartet, eine russische Version von Beethovens 9., eine Art Ode an Stalin (und Fragmente einer ersten Fassung belegen, dass der Komponist durchaus an einer solchen Version geschrieben hatte).

Doch Schostakowitsch vollzog eine 180 Grad Wende, denn den Krieg zu glorifizieren war das Letzte, was er wollte. Die vorliegende 9. von 1945 ist in vielerlei Hinsicht eine Anti-Symphonie: Sie verspottet die klassische Form der Symphonie aufgrund ihrer Länge und ihrer 5 Sätze, mokiert sich zwischen den Zeilen über die sowjetische Führung (Falscheinsätze der Posaune) und hat einen sehr schweren und tragischen zweiten Satz – ein Gedenken an die Gefallenen?

Im Brahmstonus nach der Pause

Dagegen wirkte Dvořáks 6. Symphonie (klassischste Klassik, 1880, vier Sätze, 45 Minuten) fast schon wie ein Anachronismus. Doch nach einer – gelinde gesagt – eher unbekannten ersten Hälfte des Konzerts, die den einen oder anderen trotz vieler Ovationen vielleicht etwas verunsichert haben mag, war es programmatisch doch sehr gut, mit einer klassischen Symphony im bekannten Tonus und Brahms’scher Einflüsse zu schließen, die außerdem noch einen direkten Bezug zu den Wiener Philharmonikern hat, da sie eigentlich hätte von diesen uraufgeführt werden sollen. Um wie mein Kollege eine kulinarische Analogie zu bringen: Gerade, weil es auf der Speisekarte immer vertraute Klassiker gibt, kann man sich auch mal auf etwas ungewohnte und komplexere Gericht einlassen.

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