Happy ever after?
Blut, Sauerei, dazwischen ein unglückliches Ehepaar: Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ wird im Volkstheater zum Gemetzel.
Familienglück – wohl kaum
Kalte Pizza, quellende Gedärme und am Ende des Abends ist klar, dass die Probleme und Machtgefüge zwischen Mann und Frau von vor 50 Jahren anscheinend auch im Hier und Jetzt noch brandaktuell sind. Regisseur Markus Öhrn, bekannt für seine durchaus blutigen Produktionen, bringt seine Version von Bergmans „Szenen einer Ehe“ nun im Volx/Margareten auf die Bühne - im Gegensatz zum Original jedoch mit viel Ekel, Groteske und bizarren Bildern.
Auf den ersten Blick erscheinen Marianne und Johan als absolutes Vorzeige-Ehepaar: Er (laut eigenem Wortlaut) jugendlich, ausgeglichen, kollegial und sie hingebungsvoll verheiratet, erfolgreiche Anwältin (Überraschung: Schwerpunkt Familienrecht und Scheidung) und dankbar für das Leben, welches sie führen dürfen. Im Hintergrund läuft die Mondscheinsonate und alles scheint perfekt, doch bereits bei der Frage nach ihrer gemeinsamen Zukunft bröckelt die Fassade, die Tonspur hängt und das Publikum wird unangenehm lang mit stroboskopischen Effekten darauf hingewiesen, dass das vermeintliche Familienglück vielleicht doch keines ist.
Starre Pappmaché- Masken und verzerrte Stimmen lassen die beiden wie Trickfilmfiguren durch den Abend taumeln, während der weiße Raum immer blutiger wird. Den Entschluss über ein mögliches drittes Kind schiebt Johan bequemerweise Marianne zu. Sie, alleingelassen mit der Entscheidung und unbeachtet vom eigenen Partner, flüchtet sich in ihre Fantasie und peitscht mit einer meterlangen Nabelschnur mal sanft, mal gnadenlos auf Wände und Bühne ein.
Elias Eilinghoff und Bettina Lieder geben als Johan und Marianne alles und treiben, ihrer Mimik und eigenen Stimme beraubt, mit übertriebenem Gestus den Abend immer weiter Richtung Fiasko. Später am Esstisch schlürfen, schmatzen und spucken die beiden mit Pizza und Bier um die Wette, während Johan Marianne beiläufig mitteilt, er habe sich neu verliebt und werde für die nächsten Monate nach Paris gehen – netterweise alles genau festgehalten von einer Livekamera. Spätestens dort dreht sich den Zuschauenden erstmals der Magen um.
Ekel als Notwendigkeit
Ob das ganze Blut und das ausgespuckte, herumgeworfene Essen wirklich nötig sind, sei dahingestellt. Das Publikum wird zumindest mit jeder Stufe der Gewalt und der Skurrilität lockerer – man weiß nicht anders zu reagieren als mit einem schockierten Lachen. Außerdem sind die wenigen und verzerrten Dialoge in Verbindung mit dem Schlachtfeld auf der Bühne wirklich wahnsinnig komisch.
In der letzten Szene (Marianne und Johan treffen sich nach zwei Jahren wieder, um ihre Scheidungspapiere zu unterzeichnen) gleicht das Stück mehr einem Splattermovie als einem Kammerspiel: Zuerst nur mit einem Messer, dann auch mit einer Axt schlitzen sich die beiden nach und nach gegenseitig auf. Den expliziten Gewaltakt sieht das Publikum durch den geschlossenen Vorhang nicht – allerdings hört man sie schreien, ächzen und stöhnen und fragt sich jedes Mal, wie viel schlimmer das Bild wohl noch werden kann.
Alles hat ein Ende
Dabei ist es egal, ob das Blutbad auf der Bühne wirklich existiert oder nur symbolisch für die Gewaltmuster innerhalb ihrer Ehe steht. Öhrns Idee funktioniert jedenfalls: mit möglichst viel Ekel auf patriarchalische, im wahrsten Sinne des Wortes ekelhafte Verhaltensstrukturen aufmerksam machen – so wie auch Marianne diese erkennt, sie aufbricht und sich zu befreien versucht. Am Ende liegen beide sterbend zwischen den eigenen Innereien auf der Bühne. Das Licht färbt sich noch einmal rot und Marianne und Johan, wie Zombies herumwankend, singen Cyndi Laupers „True Colours“ auf so schrecklich verzerrte und dadurch fast lustige Weise, dass ich (nach begeistertem Applaus des Publikums) seltsam erheitert, aber auch betroffen und nachdenklich das Theater verlasse.
Für Interessierte: Das Gartenbaukino zeigt am 16. und 30. April den Film „Szenen einer Ehe“ – aufgrund seiner Länge dem Publikum zuliebe aufgeteilt auf zwei Termine. An beiden Tagen finden abends auch Vorstellungen im Volx/Margareten statt.