Die Zukunft passiert nicht einfach…
Welche Rolle spielt Design im 21. Jahrhundert und wie hängt dies mit der Hightech-Industrie zusammen? Research-led Artist, Filmemacher und Designer Felix Lenz erzählt es uns im Interview.
Bohema: Du schließt gerade den Diplomstudiengang Design Investigations an der Angewandten ab, warst an der School for Poetic Computation in New York, Gastwissenschaftler und Dozent an der Humboldt- Universität in Berlin, hast in den Designstudios FormaFantasma in den Niederlanden und Studio Folder in Italien gearbeitet. Wie alt bist du? Das klingt wie eine Biografie von einem mega erfolgreichen 40-Jährigen. (lachen) Du bist wahrscheinlich erst so 24.
Felix Lenz: Ich bin 25.
B: Ah. Fast. Wie fühlt es sich an, so viel gemacht zu haben? War das schon immer deine Intention oder ist es einfach passiert?
F: It just happened. (lacht) Bei den Studios, bei denen ich gearbeitet habe, war’s immer super schön. Auch tat’s gut, ein bisschen aus der Uni ‘rauszukommen.
B: Wie bist du zur Kunst gekommen?
Felix: Als Kind wollte ich eigentlich immer Erfinder werden. (lacht) Dann gab es eine Zeit, in der ich Kunst studieren wollte, mehr zeichnen und malen wollte. Später habe ich mich eher naturwissenschaftlich orientiert. Irgendwann hat sich das in der Mitte getroffen. Was mich schon immer faszinierte, war zu verstehen, wie Dinge und Systeme funktionieren und vor allem wie sie miteinander in Verbindung stehen.
B: Was genau studierst du?
F: Ich studiere an der Universität für Angewandte Kunst im Studiengang Design Investigations, ehemalig Industrial Design genannt. Allerdings machen wir kein Industrial Design, sondern eher Critical Design. Es geht viel mehr um das Durchleuchten und Hinterfragen von Werkzeugen, Objekten und Infrastrukturen als um das funktional-ästhetische Gestalten eben jener. Ich befass‘ mich viel mit den Schnittpunkten von geopolitischen, ökologischen und technologischen Thematiken.
B: Wieso genau mit diesen Themen?
F: Wir sehen die Welt durch die Augen unserer Werkzeuge, Systeme und Technologien. Unser Blick mit und durch dieses engmaschige Gewebe ist jedoch kein neutraler. Er ist an materielle, soziale und ökologische Kontexte geknüpft. Für die Konsument*innen oder User*innen ist dieser Kontext jedoch nicht einsichtig. Aufgrund dieser assoziativen Lücke ist es schwer nachzuvollziehen, dass Hightech-„Lösungen“ meist neue Probleme mit sich bringen, existierende Machtstrukturen verfestigen und die soziale Schere noch weiter auseinander treiben. Ich möchte sichtbar machen, dass unsere Infrastrukturen und Technologien keine neutralen Werkzeuge sind und immer nur ein eingeschränktes (und nicht besonders inklusives) Spektrum einer sehr subjektiven Realität abbilden. Wir tendieren dazu, alles quantifizieren und kategorisieren zu wollen, wobei ich’s viel spannender finde, eben genau die Räume dazwischen, die Cracks und Glitches im System zu untersuchen.
B: Was sind die Herausforderungen, wenn man das ausstellt?
F: Diese Verschränkung bzw. Komplexität muss in verschiedenen Schritten vermittelt werden. Die meisten meiner Arbeiten müssen auf einer ästhetischen oder affektiven Ebene funktionieren, sodass man recht schnell ein Gefühl für das Thema entwickeln kann. Gleichzeitig hab ich auch den Anspruch, dass man in meine Arbeiten viel tiefer eintauchen kann, sodass ein Teil der Recherche auch mitgetragen wird. Hier geht es jedoch nicht nur ums Vermitteln von Wissen. Manchmal rein um Gefühle, Einblicke oder Aufnahmen.
B: Welche deiner Arbeiten fällt dir da ein?
F: Political Atmosphere - eine audiovisuelle Installation bestehend aus einer durch Flugverkehr gesteuerten Sirene – die geht wortwörtlich durch den Körper.
B: Das muss ja ein unglaublich intensives Erlebnis sein. In einem Interview wurde gesagt, dass man sogar einen Schutz für die Ohren tragen musste.
Felix: Die Installation kann eine Lautstärke von bis zu 130 Dezibel annehmen, was lauter als ein startender Düsenjet ist, also auch gefährlich sein kann. Für die Ausstellung beim Ars Electronica Festival und der Vienna Design Week hab’ ich die Installation drosseln und einen schallisolierenden Käfig drum bauen müssen. Da es um die Zusammenhänge von Klimawandel und sozio-politischen Phänomenen bis hin zu Krieg geht, hab’ ich versucht, ein Format zu finden, das an der Grenze des Zumutbaren liegt.
B: Weil du jetzt mehr mit dem Medium Video arbeitest: Was reizt dich daran?
F: Ich habe eine große Faszination für Sensoren, Kameras und computergestützte, ökologische Modelle, sowie Abbildungen von Systemen. In meinen Videoarbeiten geht es oft auch um ein Kontextualisieren des Mediums, bis hin zum Kamerasensor selbst. Auch bin ich an den inhärenten Biases interessiert, den Verzerrungen, Fehlern und Artefakten, die entstehen können, wenn Abfolgen von Bildern kodifiziert werden. Zudem ist Film ein sehr verwobenes Medium, in dem ich verschiedene Layer und Linsen übereinanderlegen und vielfältig miteinander verschränken kann.
B: Also sehr technisch bezogen.
F: Ja, aber nicht der Technik wegen. Was mich vielmehr interessiert, sind die Implikationen der Technologie auf geopolitische Gefüge, Ökosysteme und Soziopolitisches. In meiner letzten Arbeit The Cleanroom Paradox hab’ ich mich gemeinsam mit Angela Neubauer und Eszter Zwickl mit Halbleiterproduktionsstätten auseinandergesetzt. In dem Fall wollten wir die systematische Verschleierung gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen in der Hightech-Industrie aufdecken.
B: Es ist ja eigentlich unumgänglich, diese Tools zu verwenden. Man hinterfragt nicht wirklich, woher sie kommen und wie alles miteinander verstrickt ist.
F: Genau. Wir verlassen uns mittlerweile viel mehr auf unsere Tools und Technologien als auf unsere Intuition oder Sinne. Das Problem ist, dass diese Technologien aufgrund ihrer Komplexität sehr verschränkt sind und wir als Konsument*innen viel zu wenig Einblick und Mitspracherecht haben. Die meisten unserer Technologien werden von weißen Cis-Männern entworfen und so werden viele Randgruppen, aber auch nicht-menschliche Entitäten einfach nicht mitgedacht.
B: Aber für den Alltagsmenschen per se ist das alles sehr schwer greifbar. Ist es die Aufgabe von z.B. eine*r Künstler*in, das Ganze sichtbar zu machen?
F: Technologische Verschränkungen, aber auch ökologische Mechanismen erschließen sich uns oft in temporal und räumlich stark verzerrten Maßstäben. Meist entsprechen sie nicht unseren Erfahrungswerten. Ich glaube, da können Künstlerinnen und Designer versuchen, als Übersetzerinnen tätig zu werden und diese Verbindungen und Korrelationen in tatsächlich erfahrbare Szenarien und Narrationen einzuschreiben – Szenarien, die somit rational und - viel wichtiger - auch emotional verständlich werden.
Abstraktes greifbar machen
B: Stichwort emotional. In deinem Interview mit Prof. Anab Jain wird gesagt, dass Kunst, im Vergleich zur Politik, eine emotionale Komponente hat. Dass man den Menschen durch Gefühle und die sinnliche Ebene erreichen und sein Denken und Handeln vielleicht in eine gewisse Richtung lenken kann. Stimmst du dem zu?
F: Absolut. Klimawandel, Globalisierung, das Internet – Hyperobjects, wie der zeitgenössische Philosoph Timothy Morton sie nennt – Konzepte, die aufgrund eben jener verschobenen Maßstäbe nur sehr schwer greifbar sind. Wir wissen schon seit Jahrzehnten, dass Probleme wie der Klimawandel bestehen, trotzdem schaffen wir es nicht zu handeln.
B: Du bezeichnest dich als Research-LED-Artist, was bedeutet, dass viel Zeit in die Recherche fließt. Was spricht dich an dieser Vorgehensweise an?
F: Es stimmt, dass ich mich oft lang, auch theoretisch mit Themen auseinandersetze. Trotzdem arbeite ich oft auch sehr praktisch. Mittlerweile tendier‘ ich dazu, direkt mit Leuten vor Ort zu sprechen, Experimente oder Aufnahmen zu machen – das bringt mich meist schneller und intuitiver voran.
B: Das heißt, du arbeitest gerne mit Leuten zusammen?
Felix: Genau. Die meisten meiner Projekte sind Kollaborationen. Nur Political Atmosphere war eine Soloarbeit. Mein letztes Projekt The Cleanroom Paradox war eine Arbeit mit zwei befreundeten Designerinnen. Prinzipiell arbeite ich lieber in Gruppen als allein.
B: Um was geht es konkret in The Cleanroom Paradox?
F: Wir haben Kontakt mit einer ehemaligen, koreanischen Fabriksarbeiterin bei Samsung aufgenommen. Aufgrund jahrelanger chemischer Belastung in den sogenannten Cleanrooms, den Fertigungshallen, erkrankte sie an Nierenkrebs und erklärte sich schließlich bereit, mit uns ein Interview zu führen. Jin, so ihr Pseudonym, schickte uns ein mit ihrem Samsung Handy aufgenommenes Selbstporträt. Dieses haben wir schließlich in einem mehrstufigen Verfahren mit einer eigens produzierten Druckpaste aus chemisch aufgelösten Samsung Handys gedruckt. Wir haben die Handys in Salzsäure und Wasserstoffperoxid chemisch zersetzt, die Masse filtriert und destilliert, bis wir zu einer toxischen Druckpaste gelangten, die wir schließlich siebdrucken konnten.
Interessanterweise fanden wir viele Parallelen zwischen unserem Siebdruckprozess und der Chipfertigung in den Halbleiterproduktionsstätten. In unserem Videoessay werden die beiden Prozesse schließlich überlagert und mit den persönlichen Erfahrungen ehemaliger Arbeiter*innen und Expert*innen verschränkt. Was konzeptuell auch relevant für uns war, ist, dass der Druck sich mit der Zeit auflöst. Die Druckpaste ist sauer, d.h. sie zersetzt das Papier mit der Zeit, ähnlich dem Körper der Arbeiter*innen, der über die Jahre hinweg durch Chemikalien und Strahlung in Mitleidenschaft gezogen wird.
B: Am Ende des Videos gibt es eine Szene, wo die drei Siebdrucke und dann eine Aufnahme von diesen durch das Handy selbst zu sehen sind.
F: Es war uns wichtig klarzumachen, dass wir als westliche Konsument*innen ein bedeutender Teil des Problems sind. Und natürlich sind auch wir als Kunstschaffende aufgrund der Werkzeuge und Aufnahme-Techniken, derer wir uns bedienen, um unsere Arbeit zu produzieren, ein Teil der Versorgungskette, die wir wiederum kritisieren. Im letzten Shot war zu sehen, dass wir mit einem Smartphone filmen.
B: Einem Samsung-Handy?
F: Genau.
B: Du hast jetzt Korea und demnächst den Iran in deinen Projekten abgedeckt. Ist es dir wichtig, an verschiedenen Orten zu arbeiten?
F: Ich find’s auf jeden Fall spannend, in verschiedenen Ländern zu arbeiten. Aber gerade, wenn man sich mit anderen Ländern und Kulturen befasst, ist eine engmaschige Auseinandersetzung mit den lokalen Leuten und Expertinnen sehr wichtig. Auch war‘s uns bei The Cleanroom Paradox ein großes Anliegen klarzumachen, dass die systematische Verleumdung prekärer Arbeitsbedingungen in der Hightech-Industrie kein vorwiegend ostasiatisches Problem ist, sondern – ganz im Gegenteil – seinen Ursprung im Westen hat und nach wie vor in Europa und Nordamerika ein Problem ist.
B: War das Herstellen der Druckpaste für euch gefährlich? Das sind ja chemisch aufgelöste Handys.
F: Ja. Bei der Reaktion entsteht Chlorgas. Das ist recht gefährlich, vor allem, wenn man’s einatmet. Eines unsere Behältnisse explodierte aus Versehen. Die meisten meiner Projekte...
B: …sind gefährlich?
F: Sind gefährlich. Ja. (lacht) Bei Political Atmosphere hab ich fast einen Hörsturz bekommen, weil das Ding so laut war. Auch hatte ich immer Angst, dass der Impeller meine Finger abhackt.
B: Wie kann Design die Zukunft mitgestalten?
F: Design durchdringt eigentlich jeden Bereich unseres Lebens und unsere Werkzeuge bestimmen stark, wie wir unsere Welt wahrnehmen. Im Rückschluss formen sie aber auch unsere Welt, sie formen uns, aber auch andere Lebewesen, ganze Ökosysteme und Landschaftsstriche bis hin zur Luft, die wir atmen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Design nicht nur gestaltete Objekte sind, sondern auch Strategien sein können. Die Zukunft passiert nicht einfach, sondern wird durch aktive Entscheidungen gelenkt.
Großteils ist es so, dass diese Entscheidungen von großen Firmen und mächtigen Akteuren getroffen werden. Ich denke jede*r Einzelne von uns sollte eine aktive Partizipantin im Gestaltungsprozess einer wünschenswerten Zukunft sein. Das sollte im Idealfall nicht nur die Menschen inkludieren, sondern auch nicht-menschliche Entitäten.