In der Brahms‘schen Emotionswaschmaschine

Ein Mozart zum Einspielen, ein Fauré zum Verlieben und ein Brahms zum Verrücktwerden - Lugansky, Hakhnazaryan, Rysanov und Boriso-Glebsky im Konzerthaus.

Damn, er sieht sogar in der Zentrifuge sexy aus… Foto: Alexandra Timofeeva / Wikimedia Commons

Damn, er sieht sogar in der Zentrifuge sexy aus… Foto: Alexandra Timofeeva / Wikimedia Commons

Erwartung ist schon eine lustige Sache. Während ich durch die Abendhitze zum Konzerthaus radelte, überkam mich noch irgendwo auf der äußeren Mariahilfer Straße eine plötzliche Welle der Vorfreude auf Mozarts zweites Klavierquartett. Ja, ja, da war noch was mit Fauré und Brahms am Ende, die musste ich dann wohl notgedrungen auch anhören. Die Götter genießen es aber nun einmal besonders, solche übertrieben positive Erwartungen zu enttäuschen und frönten auch diesmal ihrer besonderen Leidenschaft.

Vier Solistenstars, die sich suchen

Was ich im Mozart zu hören bekam, war oft gut aber als ein Ganzes nie großartig. Die Streicher, besonders die Geige, versuchten, mit romantisch anmutenden, übermäßigen Betonungen Mozart zu modernisieren. Brauche ich nicht, danke, sagte dieser und drehte sich mürrisch auf die andere Seite im St. Marxer Friedhof. Am meisten fehlte das gemeinsame Atmen, eine klare, gemeinsame Linie. Besonders im ersten Satz klang das nach vier Individuen, die zufällig auf der gleichen Bühne zur gleichen Zeit spielten.

Halt, genau das war der Fall? Nun, in etwa. Die vier Herren, Nikita Boriso-Glebsky (Geige), Narek Hakhnazaryan (Cello), Nikolai Lugansky (Klavier) und Maxim Rysanow (Bratsche) sind allesamt renommierte Solisten, allesamt Preisträger beim Tschaikowsky-Wettbewerb, dem vielleicht wichtigsten Musikwettbewerb überhaupt (außer Rysanow, für Bratsche gibt es keinen Tschaikwosky-Preis). Laut meinen Recherchen spielten sie zudem das erste Mal öffentlich zusammen.

Es gab auch Positives: Luganskys lange Finger, wie sie über die Tasten rasten (das Stück ist stellenweise quasi ein Solokonzert fürs Klavier) und einen hellen Mozartklang produzierten. Insgesamt wurde das Ganze immer besser, der letzte Satz (17:50) gelang schon ziemlich mozärtlich: keck, leicht, humorvoll.

„I must be a different person in a different piece“

Diese Interviewaussage Luganskys war scheinbar kein leeres Gelaber. Im Fauré klang er plötzlich ganz anders, weicher, feiner, streichelnder. Die Streicher stellten ihren Stil weniger um, aber der Ansatz, der gerade eben für Mozart nicht gerade nach meinem Geschmack war, war plötzlich der Richtige. Vielleicht liegt ihnen allen das romantische Repertoire generell besser, vielleicht kamen sie besser ins Spielen, jedenfalls war ich auf einmal hin und weg von den dezent französischen Modulationen, die hier und da schon eine Vorahnung auf Debussy waren. Hakhnazaryans Gesicht war ein guter Indikator für den neugefundenen Mojo: Er packte endlich sein Markenzeichenlächeln aus und gab den Herzschmerz Faurés (seine Verlobte wollte ihn nicht mehr...) mit viel Lust wieder.

Es gibt sone und solche, aber jat sind die schlimmsten: Herthas berühmter Spruch aus den (genialen) Känguru-Chroniken kann man auch auf Scherzi anwenden. Es gibt die lustigen und die, die das Wort Scherz nicht ernst nehmen. Fauré gehört hier zu den Humoristen, die drei Russen und der Armenier am Cello schöpften das Unterhaltungspotenzial des Satzes (9:35) auch voll aus. Das Adagio (15:00) danach war der Höhepunkt bis dahin. Der Star: Hakhnazaryan und sein saftig-süßer Klang. Wir versanken alle in den tiefen Gefühlen, die in Vollendung dargeboten wurden. Das Finale hatte irgendwas wellend Meerartiges.

Rasende Werther-Gefühle zum Schwindligwerden

Der Anfang von Brahms‘ drittem Klavierquartett hätte auch aus dem 20. Jahrhundert stammen können. Was danach folgte, war eine Achterbahnfahrt der Emotionen, wie man das selten erlebt. Die Musiker waren voll in ihrem Element, rissen uns mit in diese teilweise an den Wahnsinn grenzende Musik. Brahms vollendete das Stück erst zwanzig Jahre nachdem er es mit „Werther-Gefühlen“ zwischen dem Freund Robert und der Liebe zu Clara Schumann hin- und hergerissen zu komponieren begann. Mir wurde dabei, ohne jetzt zu übertreiben, schwindelig. Vergesst die Achterbahn, das war mehr eine Waschmaschine, in der wir bei Tausend Umdrehungen pro Minute durchgeschüttelt wurden. Kräftigere Musik hört man selten, das war einfach nur geil.

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