KURZFILME PART 2: Welche ?
Morgen startet die diesjährige Ausgabe des Wiener Kurzfilmfestivals Vienna Shorts, welches wir auf Bohema journalistisch begleiten werden. In Teil 2 unserer Auseinandersetzung mit dem Kurzfilm als Medium werfen wir einen Blick auf einige unserer liebsten kurzen Filme.
Anton: Portrait d'Une Paresseuse (Portrait of a Lazy Woman) (R: Chantal Akerman, 1986)
„Heute ist Samstag und ich drehe einen Film über Faulheit“. In statischen, formal strengen Einstellungen zeigt Chantal Akerman in ihrem Portrait d'Une Paresseuse (Portrait einer faulen Frau) einen vermeintlich leeren Tag. Aufwachen, aufstehen, den leeren Kühlschrank öffnen, ein Glas Wasser trinken, rauchen – mehr passiert Akerman dabei nicht. Zwischendurch sind immer wieder Aufnahmen ihrer damaligen Freundin, der Cellistin Sonia Wieder-Atherton, beim Proben, zu sehen. Ganz ähnlich wie die unspektakulären Tätigkeiten sind diese gefilmt, zwischen Arbeit und Müßiggang scheint kein großer Unterschied zu bestehen – dass es doch einen gibt, zeigt sich nur in den Blicken der beiden Frauen: Akerman wirkt verunsichert, fast beschämt, Wieder-Atherton blickt streng in die Kamera.
Portrait d'Une Paresseuse schafft es, die kleinen, alltäglichen Handgriffe würdevoll darzustellen und sie gleichzeitig in ihrer Absurdität zu markieren. Wozu hier überhaupt das Bett verlassen wird, ist spätestens nach 6 Minuten unklar, wenn Akerman in der letzten Einstellung des Films nachdenklich die letzte Zigarette vorm Ins-Bett-Gehen raucht. Wobei: „Um einen Film zu machen, muss man aufstehen, und sich anziehen.“ Daran, dass das Kunstschaffen etwas Glorreicheres wäre, als ein Glas Wasser zu trinken, ist dabei nicht zu denken, an die Filmemacherin als sagenumwoben-schöpferisches Genie erst recht nicht. „Zieht man sich gar nicht erst aus, muss man sich auch nicht anziehen.“
Dominik: Fireworks (R: Kenneth Anger, 1947)
Vor einigen Tagen starb der wohl coolste Kinomagier Kenneth Anger im Alter von 96 Jahren. Ein Regisseur, der den Film primär als Ausdrucksform seiner okkulten Rituale sah. Diese Herangehensweise ist wohl am deutlichsten in seinem berühmten Kurzfilmzyklus Magick Lantern Cycle zu sehen. Hier stelle ich euch jedoch seinen früheren Film Fireworks - sein anderes großes Meisterwerk - vor. In diesem nimmt der Kurzfilm die Position einer absoluten Pionierleistung ein. Es handelt sich nämlich nach vielen Quellen um den ersten explizit schwul ausgerichteten narrativen Film der amerikanischen Filmgeschichte und gleichzeitig um einen wichtigen Pfeiler des Kinoundergrounds. Schließlich hängt die kurze Form auch oft mit begrenzten finanziellen Mitteln und einer geringen institutionellen Einbindung zusammen. Queere Symbole wie der Seemann oder die den Orgasmus darstellende Wunderkerze in der offenen Hose werden hier radikal eingesetzt und schließlich mit Blut, Milch (oder doch eher Sperma?), Wasser, brennenden Pflanzen und Traumlogiken angeordnet. Schaut euch Fireworks an, egal ob aus filmhistorischem Interesse oder aus Freude an der Subversion: Do look back at Anger!
Stephanie: Le Voyage Dans la Lun (A Trip to the Moon) (R: Georges Méliès, 1902)
Eine Truppe von Astronomen, getrieben von dem Drang, das Unbekannte zu entdecken. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, Mutter Erde zu verlassen und das Abenteuer „Entdeckung Mond” zu starten. Wie wird dieser große leuchtende Ball, den sie jeden Abend zu Gesichte bekommen, wohl ausschauen? Visuell erinnert das Spektakel an Hieronymus Boschs konzeptuelle Darstellungen, charakterisiert durch utopische Konzepte und Narrativen.
Le Voyage Dans la Lun (A trip to the Moon) führt dem Betrachter eine Vorstellung oder bessergesagt eine Idee der fernen unbekannten Welt vor Augen, die neu und zugleich vertraut erscheint. So obsolet und weird dieser Stummfilm erscheint, zu einer Zeit, als Neil Armstrong noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hatte, so ist er auch eine sehenswerte ikonische Reise in das Genre science fiction.
Anton: Song of Avignon (R: Jonas Mekas, 1998)
Der Name Jonas Mekas ist eng verbunden mit der Praxis des Diary Films. In Song of Avignon hören wir monoton vorgetragene Passagen aus Mekas‘ Tagebuch – Ausschnitte, die einen Einblick in eine zutiefst verunsicherte, verängstige Seele geben: „Today I realized that I am 40 and that an immense emptiness surrounds me and my soul“ sind die ersten Worte dieses Films. Die Bilder, die dazu über die Leinwand ziehen, zeigen Alltägliches: Freunde von Mekas, vorbeirasende Landschaften, Fernsehbilder, angeordnet ohne erkennbare Logik, ohne Anfang und Ende. Es sind fragmentarische Aufnahmen einer fragmentarischen Weltwahrnehmung, Bilder, die immer auch etwas von einem Traum haben in ihrem plötzlichen Kommen und Gehen – stumm und in ihrer Wirkung unweigerlich geprägt vom andauernden Tagebuch-Vortrag. Dann, nach fünf Minuten, setzt sich der Filmemacher selbst vor die Kamera, blickt direkt in die Linse. Und auf einmal verstummt Mekas Tagebuch, für eine Weile ist da nur sein Blick und der eigene, zuschauende. Bis zum nächsten Schnitt.
Dominik: Junior (R: Julia Ducournau, 2011)
Die Regisseurin Julia Ducournau hat sich durch die beiden Filme Raw und Titane wohl zu einer der beliebtesten jungen Filmemacherinnen des aktuellen Genrekinos entwickelt. Typisch für ihre Filme ist hierbei die Verknüpfung von körperlichen Aspekten junger weiblicher oder nichtbinärer Figuren mit Motiven des Horrors. Während Raw die Sexualität einer jungen Frau mit der Kannibalismus-Metapher inszeniert, verhandelt Titane Schwangerschaft und Gender mit Elementen des Body-Horrors. Doch auch ein dritter Film von Ducournau fällt unter diesen Mechanismus: Ihr Kurzfilm Junior. Hier wird die Geschichte der 13-jährigen Justine erzählt - in all ihren Filmen taucht eine von Garance Marillier gespielte Figur namens Justine auf. Sie befindet sich in der Pubertät. Wie bearbeitet Ducournau also das Thema? Richtig! Sie verknüpft auch dieses mit der Inszenierung des Körperhorrors. Die Pubertät als insektenhaftes Kokonstadium. Wie Oğulcan bereits in seinem Essay geschrieben hat, können Kurzfilme auch als eine Art Exposé für spätere Langfilmarbeiten fungieren. Junior zeigt, dass sie hierbei sogar als eigenständige, gleichwertige Werke neben diesen existieren können!