KURZFILME: Warum?
Viele hatten den Moment vermutlich das erste Mal bei Bao (2018). Man trifft sich mit Freund:innen, geht ins Kino, schmuggelt ein paar Snacks rein, weil man sich die Preise im Kino nicht leisten möchte und plötzlich passiert es. Was ist das? Ein Kurzfilm läuft vor dem Film, den ich eigentlich sehen wollte und dieser ist tatsächlich unterhaltsam, wie kann das sein?
Anlässlich des am 01.06. startenden Vienna Shorts Filmfestival, beschäftigen wir uns mit dem Thema Kurzfilme, und stellen uns die Frage: Warum?
Was sind Kurzfilme?
Wie es der Name vermuten lässt, sind Kurzfilme Filme kürzer als „normale“ Filme. Dies schafft jedoch ein Problem, denn der Name „Kurzfilm“ ist letztendlich die Beschreibung einer Art von Film. Was sind denn normale Filme? Es ist offensichtlich, dass Kurzfilme das Gegenstück zu Langfilmen oder Spielfilmen ausmachen. Jedoch erschafft diese Definition einige Probleme. Beispielsweise, wie kurz muss ein Film sein, um als Kurzfilm zu gelten? Die Antwort: kommt darauf an. Während bei der Viennale ein Kurzfilm maximal nur 40 min. lang sein darf, setzt die Berlinale die Grenze bei 30 min.. Und möchte ich einen Kurzfilm bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen einreichen, darf dieser wiederum nicht länger als 35. min sein. Wie man sieht, gibt es keine klare Antwort auf diese Frage und die Grenzen wirken ziemlich willkürlich. Wie soll es denn bei einem so schwammigen Namen wie „Kurzfilm“ auch anders sein. Besonders bei Premieren von sehr langen Filmen, wie den dreistündigen Beau is Afraid (2023) fällt einem wieder auf, dass es neben der absoluten Länge eines Filmes, es auch eine gefühlte Länge gibt. Ein fesselnder 4 Stunden Abenteuer Film wie Herr der Ringe, kann in null Komma nichts vorbei sein, währenddessen Filme, die knapp 90 Minuten gehen, sich manchmal, wie ein 3 Wochen alter Kaugummi genießen lassen. Wenn man also an objektiven bzw. äußeren Parametern nicht genau feststellen kann, was Kurzfilme sind, muss man wohl ein Blick auf die inneren Werte des Kurzfilmes werfen.
Was macht den Kurzfilm besonders?
Wie es schon Lorenz Engell sagte, ist die besondere Kraft von Filmen, dass sie eine Narrative vom Anfang bis zum Ende erfahrbar machen können. Spielfilme haben hierbei den Vorteil, dass sie besonders viel Zeit besitzen, um eine Narrative visuell wiederzugeben. Kurzfilme haben nicht dieses Privileg. Aufgrund der zugrundeliegenden Knappheit des Formates, müssen Kurzfilme, indem was sie darstellen wollen, packender und präziser sein. Somit stehen alle Kurzfilme vor dem Problem: Wie schaffe ich es in so kurzer Zeit etwas erfahrbar zu machen? Dadurch werden Kurzfilme zu einem Spielplatz kreativer und neuer Ideen für Erzählmethoden, bei dem es sich auszuprobieren gilt. Dies bietet den Filmemacher:innen große Freiheit in ihrem Schaffen.
C’était un rendez-vous (1976) ist beispielsweise ein Kurzfilm, bei der die Methode im Vordergrund steht. Dabei wird eine Kamera an der Stoßstange eines Autos befestigt, welcher dann wie ein Psychopath 8 Minuten lang durch die Straßen von Paris rast. Die Machart ist beeindruckend, jedoch dient der Film nicht nur dafür, um zu zeigen, wie toll Claude Lelouch Autofahren kann, denn am Ende trifft dieser eine Frau am Sacré-Cœur. Somit vollendet sich der Kreis: es war ein Date. Nadia Parfan setzt diese Methode mit ihrem Kurzfilm It’s a Date (2023) in den Kontext der Ukraine fort, wo der Film aufgrund des andauernden Krieges nochmals eine neue Dramatik bekommt. Kurzfilme können auch nur eine Geschmacksprobe auf eine narrative Idee sein, und später als Spielfilm umgesetzt werden, wie es beispielweise mit Saw (2003), Whiplash (2013) und Lights out (2013) der Fall war. Hierbei ist Whiplash ein Beispiel für ein sogenannten „Visitenkarten-Kurzfilm“, bei dem eine Idee präsentiert wird, mit dem Hintergedanken daraus einen längeren Spielfilm zu machen. Im Falle von James Wan war der Kurzfilm Saw sein Durchbruch und etablierte ihn mit dem dazugehörigen Spielfilm zu einem der bekannteren Horrorfilmregisseure. Lights Out war ein YouTube Hit, der mit 17 Mio. Aufrufen einen Erfolg gefeiert hat, von dem manche Spielfilme nur träumen dürften. Das Internet, insbesondere YouTube, änderte den Kurzfilm Markt komplett. Es gibt die Möglichkeit, dass jede Person, die eine Kamera besitzt und Internetzugang hat, einen Kurzfilm machen und veröffentlichen kann. YouTube Kanäle wie ALTER oder DUST bieten spezifische Genrekurzfilme, wie Horror und Scifi, eine Plattform und öffnen damit eine gesamte Nische. Sogar renommierte Hollywood Schauspieler produzieren Kurzfilme, die sie anschließend auf YouTube veröffentlichen. Beispielsweise der Kurzfilm Fear and Shame (2017) von Robert Pattinson, der davon handelt, wie er selbst versucht in New York einen Hot Dog zu kaufen (sehr empfehlenswert). Auch die Distribution von Kurzfilmen wird immer zugänglicher, man kann sich beispielsweise alle Letterboxd Top 10 Kurzfilme auf YouTube umsonst anschauen. Wenn also Kurzfilme so einfach zu machen, veröffentlichen und verbreiten sind, wie noch nie zuvor, stellt sich die Frage …
… Wieso schaut man sich Kurzfilme an?
Um diese Frage zu beantworten, hörte ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis um, um ein Stimmungsbild zu erzeugen. Von Filmemacher:innen, über leidenschaftliche Cineast:innen, bis zu Personen, die mit Film an sich relativ wenig am Hut haben, waren die Antworten divers. Von den Personen, die gerne Kurzfilme schauen, gab es eine Überschneidung in den Antworten, welche wir bereits in diesem Artikel erwähnt haben, nämlich die Begeisterung für kreative Ideen. Es lockt das Interesse an etwas Neuem, was man vom „Mainstream“ noch nicht so kennt. Viele, die Kurzfilme schauen, sind auf der Suche nach neuen visuellen Ausdrucksformen, Erzählmethoden, neuen Horror Inszenierungen, die man von klassischen Horrorfilmen noch nicht kennt, kreativen Animationstechniken, etc.. Wen man sich einen Kurzfilm anschaut (wo es meistens nicht nur bei einem bleibt, fängt man erstmal an) so ist man auf Erkundungsreise, die abseits des bekannten und durchmonetarisierten Spielfilmkinos stattfindet. Natürlicherweise spielt auch das Format eine Rolle. Viele Personen schauen einen Kurzfilm, weil es „mal eben schnell geht“ und sollte der gesehene Kurzfilm doch enttäuschend gewesen sein „dann ist es auch schnell vorbei“. Es stellt sich kein großer Frust ein, wie wenn man einen 3-stündigen Spielfilm schaut und enttäuscht von diesem ist. Dabei gab es auch Antworten, die meinten, dass sie bei einem Kurzfilm genauso emotional involviert sind, wie bei einem Spielfilm. Der Kurzfilm wird nicht abwertender betrachtet aufgrund seiner Länge, sondern als Kunstform genauso ernst genommen.
Andererseits mögen es einige, wenn der Kurzfilm im Kino vor dem Spielfilm gezeigt wird, wie im Falle von Bao. Kurzfilme als Vorbereitung für „richtige“ Filme zu sehen, schmälert eventuell den Respekt, den Kurzfilme verdient haben, aber machen diesen zugänglicher für ein breiteres Publikum. Für Menschen, deren Begeisterung für Film sich in Grenzen hält, kann das Überangebot an Kurzfilmen unübersichtlich werden. Eventuell muss sich hier das Angebot ändern. So schauen auch Personen, die eher nicht auf Kurzfilmfestivals gehen würden, gerne Kurzfilme in einem kuratierten Programm, wo spezifische Themen behandelt werden. Der Zugang zum Thema, wird somit gleichzeitig der Zugang zur Kunst.
Ein anderes Medium
Wie man sieht, ist der Kurzfilm ein ambivalentes Genre, wenn es überhaupt so bezeichnen werden kann. Es ist vielmehr eine Kunstform an sich, wie der Spielfilm oder die Fotografie, besitzt der Kurzfilm Eigenschaften, die besonders sind. Weshalb der Kurzfilm öffentlich nicht so wahrgenommen wird, liegt, wie alles, am Geld. Kurzfilme haben keine riesigen Produktionsfirmen, die jahrelang Marketing schalten können. Aber vielleicht ist das auch besser so. So behält der Kurzfilm seinen Charme als junges, kreatives, und unabhängiges Medium.