Legenden

Sie können noch: Mit Martha Argerich, Mischa Maisky und Gidon Kremer spielten im Konzerthaus drei alternde Superstars.

Kremer, Argerich, Maisky: Die heilige Dreifaltigkeit /// Markus Aubrecht, Wiener Konzerthaus (c)

Was erwartet man eigentlich von einem Konzert, bei dem zwei 74-jährige Herren und eine 80-jährige Dame Duos und Trios spielen? Einiges, zumindest, wenn es um Mischa Maisky, Gidon Kremer und Martha Argerich geht. Die Älteren unter denn knapp 2000 Zuhörer*innen im rappelvollen Konzerthaus hofften vielleicht, am Rad der Zeit zu drehen, besondere Konzerterlebnisse mit diesen drei Superstars nachzuempfinden. Die Jüngeren wollten handfeste Beweise für den teilweise fast suspekt gewaltigen Legendenstatus der Musiker*innen (Argerich...). Die Fachkundigen warteten gespannt, wie sehr der unaufhaltbare körperliche Verfall die Musik beinträchtigen würde. Und wir alle hofften auf gute Musik.

Die heikle Frage: Wann sagt man der Bühne adieu?

Es ist durchaus ein wunder Punkt im Musikleben: Megastars, die sich im Alter zu spät zugeben, dass sie auf der Bühne nur noch das eigene Lebenswerk zerstören. An Beispiele denke bitte jede*r selbst... Natürlich kommen die Massen trotzdem, „noch einmal die Argerich sehen“ war wohl auch jetzt ein Grund dafür, dass trotz Booster + PCR sogar der Orgelbalkon voll war. Nun also die heikle Frage vorab: Sank das musikalische Niveau altersbedingt unangemessen tief?

Nein. Puhh, große Erleichterung. Beethovens zweite Cellosonate war ein Genuss, sofern sie den akustisch ankam. Schon in Reihe elf musste ich bei Feinheiten die Ohren spitzen, weiter hinten muss es schlimmer gewesen sein. Es bleibt eine Tatsache, dass Kammermusik nicht in den Großen Saal gehört. Immerhin lauschte das Publikum dafür ganz besonders. Die Luft vibrierte fast vor der allgemeinen Konzentration, so eine aufgeladene Stille habe ich noch nie erlebt.

Was früher umstritten war, ist längst ein Markenzeichen

Maiskys spätromantisches Vibrato, seine starken Schweller haben früher einmal für Furore gesorgt, jetzt wäre man wohl eher enttäuscht gewesen, wenn er Schostakowitsch und Beethoven nicht auf seiner besonderen Art romantisiert hätte. Argerich zog da nicht ganz mit, sie behielt am Klavier etwas mehr die Contenance, wie sich das für eine unangefochtene Klavierkönigin ziemt. Nicht dass sie langweilig gespielt hätte, beim schnellen Rondo stürmten Ihre Hände wild auf der Klaviatur. Technisch schien für mich nichts dagegen zu sprechen, noch ein paar Jahre auf höchstem Niveau spielen zu können.

Dann kam Gidon Kremer, erst mit einer für mich teils etwas zähen Weinberg-Sonate (Nr. 5), dann mit zwei Solostücken nach der Pause. Sein Klang war besonders vielschichtig, trotzdem sehr hell und ungemein gesanglich. Als Charakter ging er neben Argerich und Maisky allerdings ein wenig unter, es half ihm nicht, dass er äußerlich an ‚Hide the pain Harold‘ erinnert. Maisky ist dagegen mit seinen lockigen, schneeweißen Haaren und seinem Schlabberhemd eine unwiderstehliche Mischung aus Louis XIV., Sir Francis Drake und Bryan May. Und über die Argerich-Aura muss ich wohl nicht viel schreiben, diese Frau fasziniert seit Jahrzehnten die Klassikwelt mit ihrer mysteriösen Raubkatzigkeit (und ihrer Tastenkunst, versteht sich...).

Bis zum letzten Programmpunkt schafften es diese drei Superhelden aber irgendwie nicht, mich in Rage zu versetzen. Doch dann kam der dritte Satz von Schostakowitschs zweitem Klaviertrio (10:59). Die langsame Harmoniefolge auf dem Klavier hatte eine Intensität von tiefen Messerstichen bei einem langerhofften Rachemord, was für ein Martha-Moment! Die Intensität steigerte sich im letzten Satz noch weiter, die Drei fühlten offensichtlich in jeder Sekunde, was sie gegenseitig vorhatten. Über diese zwei Sätze sollte man irgendwann seinen Enkeln erzählen. Nach minutenlangem Standing Ovations bekamen wir noch ein Bonbon: Schuberts Lied Du bist die Ruh war die warme Umarmung, die wir alle an diesem kalten Januartag gebraucht haben.

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