Stürmische Tosca
Burgtheaterdirektor Martin Kušej inszeniert den Opernklassiker am Theater an der Wien – der Schreck sitzt tief.
Keine Kirche, kein Palazzo, keine Engelsburg – Martin Kušejs Tosca findet sich auf der Bühne von Annette Murschetz in einer Schneelandschaft wieder, die (wie er ankündigte) nicht erkennen ließe, welche Oper gezeigt wird. Es ist ein Bühnenbild, das Außen- und Innenraum gleichzeitig zu sein scheint: Trotz Überdachung weht ein kalter Schneesturm durch einen kargen Baum, an dem gefolterte Gliedmaßen hängen und beinahe spöttisch ein Kreuz lehnt.
Ein Wohnwagen, der sich als Scarpias Quartier entpuppt, steht mitten in dieser eisigen Szenerie, wird in Akt 2 aufgeklappt und bietet trotz Lagerfeuer und Rotwein einen sehr unbehaglichen Schauplatz für so manches Verbrechen. Die drei Akte werden ohne Pause gespielt - stürmisch umsäumt und durchzogen von akustisch eingespieltem Wind.
Intensiv und immens kurzweilig
Damit Kušejs Konzept fließend und widerspruchslos funktioniert, wurden einige kleine Änderungen am Text und an den Personen durchgeführt. Die Partien des Mesners, des Sciarrone und des Schließers wurden beispielsweise zu einer Rolle zusammengelegt. Der Arnold Schönberg Chor sang das Te Deum in Fesseln als Gefangenenchor und Kinder wurden gänzlich ausgespart. Diese Produktion ist auch nichts für Kinder: Hautnah erlebt man die Brutalität, die Verzweiflung und den Schmerz mit, viel unmittelbarer, als ein Film es je erlauben könnte.
In dieser zeitlosen Schreckensherrschaft steht ein Scarpia im Mittelpunkt, dem vor gar nichts graut. Kühl und ehrlich lebt er seine sadistischen Vorlieben aus – ganz in Weiß gekleidet wie ein Wolf im Schafspelz. Die blutigen Flecken auf seinem weißen Pullover werden von einer Tosca stammen, die aus verzweifelter Liebe alles tun würde, um ihren Cavaradossi zu retten. Schon während ihres Vissi d’arte entkleidet sie sich langsam und umgarnt Scarpia, denn das scheint nun der einzige Ausweg zu sein. Grandios feinfühlig und ekelerregend ist der zweite Akt auf engstem Wohnwagenraum inszeniert, an dem sich die Situation verdichtet und vor Spannung jeden Augenblick zu explodieren droht.
Die Stimme des Hirtenknabens, die den dritten Akt eröffnet, wird von dem im Schneesturm zitternden Mario Cavaradossi persönlich übernommen. Das kindliche Piano findet sich auch stellenweise in seinem E lucevan le stelle wieder. Somit zeigt Jonathan Tetelman an diesem Abend seine ganze Bandbreite an gesanglichem Volumen und beängstigt beinahe durch die kräftigen Fortes.
Kristine Opolais, die in Scarpias blutigem Pullover und zerrissenen Strümpfen in den Schneesturm folgt, bestreitet den Abend feinfühliger in ihrer Rolle als Schauspielerin, als in der Sängerin. Gábor Bretz gibt auch vokal den kühlen, sicheren Scarpia und hat nicht nur im dystopischen Rom, sondern auch musikalisch die Nase vorne. Tosca bekommt letztendlich keine Gelegenheit sich das Leben durch einen Sprung zu nehmen, denn die ebenfalls gefolterte Gräfin Attavanti (hier eine stumme Hauptrolle) setzt dem Abend mit drei Schüssen ein Ende.
Jede Menge Gründe zum Buhen und für Ovationen
Nach 2h 15min kurzweiliger Laufzeit sitzt der Schreck tief in den Knochen. Bei Manchen aufgrund des Entsetzens gegenüber Martin Kušejs Inszenierung und bei Anderen, weil diese Tosca nun mal nahe geht und mitreißt. Herzzerreißend bleibt jedenfalls Puccinis Musik (RSO unter Marc Albrecht), an die sich so mancher klammert und wünschte, er säße in der schonenderen Margarethe-Wallmann-Version der Wiener Staatsoper. Die Produktion des Theater an der Wien zeigt starke Wirkung, denn sie bewegt sowohl zum Buhen, als auch zu jeder Menge stehenden Ovationen.