Bohema Magazin Wien

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Lieblingsinstrument Kunst

Der Kunsthistoriker Wolfang Ullrich widmet sich erneut dem Verbleib der Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie. Sein Buch, Identifikation und Empowerment, ist letzte Woche erschienen und im Stile eines transkribierten Podcast-Gesprächs geschrieben.

Balloon Dog von Jeff Koons /// Marc Warhieu (c)

Mit der Ablösung europäischer Kunst aus ehemals sakralen oder herrschaftlichen Kontexten begann ihr Zeitalter der Autonomie. Durch das Aufkommen des bürgerlichen Mäzenatentums wurde Künstler*innen durch finanzielle Zuwendungen eine Sphäre freigehalten, in der sie sich frei entfalten konnten. Dass dies zwar seit jeher ein umkämpftes Feld war und Kunst stets durch politische Skandalisierungen sowie Marktlogiken äußeren Zwängen unterworfen war, steht außer Frage. Autonomie zu erlangen bedeutete für Künstler*innen auch, ihre Werke frei von Rechtfertigungszwängen, sowohl gegenüber Betrachter*innen als auch gegenüber Institutionen sowie moralischen und ethischen Normen zu halten.

1967, in der Hochphase autonomer Kunst, konstatierte der französische Philosoph Roland Barthes sogar, dass für Kunstwerke selbst die Absichten ihrer Erschaffenden unerheblich seien. Diese Epoche sei nun, so Wolfgang Ullrich, an ihr Ende gekommen. Bereits in seinem 2022 erschienen Buch die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie postulierte Ullrich die sukzessive Auflösung der Trennung zwischen Kunst und Gesellschaft und damit den Verlust ihrer autonomen Sphäre. Gründe dafür sieht Ullrich vor allem in der voranschreitenden Kommerzialisierung der Kunst sowie in dem Erstarken gesellschaftspolitischer Ansprüche an sie. In seinem neuen Buch vertieft er derlei Thesen und orientiert sich dabei an dem durchweg abstrakt gebrauchten Begriff des Empowerments.

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Am Beispiel von Jeff Koons’ Balloon Dog veranschaulicht Ullrich seine Thesen zu empowernder Kunst. Der Autor verweist auf mehrere Interviews, in denen Koons die Ästhetik eines gewöhnlichen Jahrmarkts-Luftballons damit begründet, dass dieser den Betrachter*innen ein sanftes „You are perfect“ symbolisiere. Dies erzeuge ein Identifikationserlebnis, das laut Ullrich Empowerment bewirkt. Die banale Ästhetik des Balloon Dog docke an einen Massengeschmack an und impliziere dadurch eine niederschwellige Aneignungsmöglichkeit des Kunstwerks.

Eng damit verknüpft sei auch die Aufladung ästhetischer Objekte mit subjektiven Wertvorstellungen. Dies aktiviere eine Community von Betrachter*innen, die ansonsten ein distanziertes Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst habe, da Kunst nun leichter mit eigenen Erfahrungen in Beziehung gesetzt werden könne und dadurch zugänglicher wirke. Das entspreche den Idealen der ersten Phasen des Empowerments, wie Ullrich sie beschreibt, nämlich der breiten Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs aller sozialen Schichten und Identitäten. Mit dem Aufkommen des Neoliberalismus erlitt diese jedoch erhebliche Brüche. Heute, in der dritten Phase, scheint der Gesellschaftsbegriff wieder gefestigter, und als empowernd gilt das, was entweder das Selbstbewusstsein stärkt oder proaktiv zu den komplexen Krisen der Gegenwart Stellung bezieht.

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Anders als viele Theoretiker*innen der Moderne, die in der autonomen Kunst vor allem die Möglichkeit sahen, gegenwärtige Verhältnisse zu reflektieren und zu transzendieren, zeigt sich Ullrich regelrecht optimistisch gegenüber ihrer gesellschaftspolitischen Nutzbarmachung. Anhand konkreter Beispiele wie der Pussyhat-Bewegung oder Antidiskriminierungsprotesten zeigt Ullrich, inwiefern Kunst bereits erfolgreich in aktivistische Kontexte eingebettet wurde. Obwohl die Instrumentalisierung von Kunst für außerkünstlerische Zwecke kein Phänomen des 21. Jahrhunderts ist und der White Cube nie ein Monopol auf Kunst beanspruchen konnte, erklärt Ullrich Identifikationserlebnisse und (politische) Empowerment-Prozesse als die zentralen Maßstäbe zur Bewertung erfolgreicher Kunst. Dies hat jedoch zwei erhebliche Konsequenzen. Zum einen schwindet durch die explizite Kenntlichmachung des Engagements eine Ästhetik, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie politische sowie soziale Konflikte in das Medium der Kunst übersetzt und entsprechend darstellt. Kunst war schließlich nie ohne Inhalt; im besten Fall gelang es ihr jedoch, diesen durch ihre Form zu vermitteln, wie beispielsweise Picassos Guernica veranschaulicht.

Zum anderen erteilt Ullrich durch das Diktum der persönlichen Identifikation und damit verbundenen Wertzuschreibung einem objektiven Urteil über Kunstwerke eine klare Absage. Eine gesellschaftsfähige Ästhetik müsste jedoch das Potenzial bergen, durch gemeinschaftlichen Austausch über Kunst auch dann einen Konsens zu finden, wenn die ersten subjektiven Eindrücke im Widerstreit stehen. Werden Kunstwerke nur noch entsprechend individueller Wertzuschreibungen verhandelt, ist auch ihre propagandistische Nutzbarmachung kein Tabubruch mehr. Der Austritt aus der „Immunitätszone“, wie Ullrich die Autonomie der Kunst stellenweise bezeichnet, bedeutet auch den Verlust ihrer Widerstandskraft, insbesondere in einem gesellschaftlichen Klima, das – wie derzeit – nach rechts kippt. Darüber hinaus verlieren Studierende der Ästhetik und Kunstwissenschaft auch ihre Diskursgrundlage, wenn ohnehin alles nur subjektive Interpretation ist, aber das nur am Rande.

Fazit

Dass die Aneignungsweisen von Kunst vielfältig sind und eine kunsthistorisch-formalistische Lesart keineswegs die einzig legitime ist, scheint nach wie vor die Geister der Kunstwelt zu spalten. Wolfgang Ullrich hat recht, wenn er betont, dass die vollkommene Werkautonomie eine Illusion ist, die er selbst bereits in seinem Werk Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie aufzubrechen versuchte. Umso mehr überrascht es jedoch, dass zahlreiche Argumente in Identifikation und Empowerment stets durch die Abgrenzung von Autonomieidealen vorgetragen werden. Den Impuls, sich offensichtlich für eine inklusivere und emanzipatorische Kunstwelt einzusetzen, möchte man Ullrich hoch anrechnen. Was dabei jedoch auf der Strecke bleibt, ist eine fundierte Theoretisierung eben jener identifikatorischen Kunst.

Der Stil des Podcast-Gesprächs wirkt stellenweise etwas gezwungen, was vor allem zu einer Banalisierung der Komplexität seiner Inhalte führt. So beschreibt Ullrich beispielsweise die Epoche der Autonomie als nicht mehr als einen kurzen Ausbruch aus der vermeintlich linear verlaufenden Kunstgeschichte, die in der Identifikationslogik ihre Konstante habe. Thesen wie diese erscheinen etwas gewagt und verdienen sicherlich eine sorgfältigere Darlegung. Trotzdem gelingt es Wolfgang Ullrich, gesellschaftliche Tendenzen in der Kunstwelt klar und verständlich zu dokumentieren. Kulturpessimismus kann man ihm jedenfalls nicht vorwerfen.

Wolfgang Ullrich, Identifikation und Empowerment, 24,70 Euro / 225 Seiten, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024.