Lieder, nur für den Moment bestimmt

Diese Band hat den Sound und die Texte, die wir jetzt gerade alle brauchen: Buntspecht rockte den altehrwürdigen, aber unbestuhlten Großen Saal des Konzerthauses.

Party im Konzerthaus /// Carlos Suarez (c)

Alles muss raus, alle Sessel aus dem großen Saal des Konzerthauses, alle Gedanken aus dem Kopf, alles raus, was in dir schlummert. Alles, was unter den Masken ist, die Gier und die Bilder im Kopf, alles muss raus. „Und wir sind hier, wir sind nur jetzt“ schreit, nicht singt, der Frontsänger in die wogende Masse.

Dieser Frontsänger, Lukas Klein, gehört zu der österreichischen Band Buntspecht, die ihren Indie-Pop-Blues-Jazz-Klezmer-Folk-Mix am Donnerstagabend im Konzerthaus zum Besten geben. Die gesamte Bestuhlung des Parketts wurde dafür abgeschraubt und der Raum unter der golden-glitzernden Saaldecke, unter den Kronleuchtern, wurde zur Tanzfläche kreischender Fans. Die Wohoo-Rufe verloren sich in der Weite des Saals, nicht aber die atmosphärisch-grenzgängerische Musik von Buntspecht. Zu sechst standen sie dort auf dieser großen, großen Bühne und Second-Hand-Klamotten und prallten auf Konzerthaus-Flügel.

Mit Akustikgitarre, Baritonsaxofon, Cello und gelegentlichem Zupfbass schafft Buntspecht einen Sound, den die Zeit gerade braucht. Die deutschsprachigen Texte sind pessimistische Poesie, wenn der Frontsänger, mit weiblich-hoher Stimme vom „Streichelzoo der Smartphones“ singt oder jeden, der liebt, bezeichnet als „verrückt genug, sich in dieser Welt zu verlieben“. Fast psychoanalytisch muten ihre Texte an – lass etwas raus, das in dir schlummert. Und damit werden sie zum Massenphänomen einer kleinen Gruppe junger Menschen, zu der ich sicher gehöre.

Auch mal psychedelisch

Und doch ist es kein klassisches Popkonzert, wenn Buntspecht die Nummern ineinander übergehen lassen, weite Teile nur Musik ohne Gesang spielen. Besonders spannend wird es, wenn Töne gehalten werden. Langsam, aber doch immer mehr, fangen die Klänge von Saxofon und Synthesizer anzuschlagen, zu pulsieren, sie heben ab von ihrer Schallquelle und mischen sich irgendwo in der Luft mit ihrer rhythmisch-vorwärtstreibenden Begleitung. Diese Klänge, die über das Instrument hinaus gehen, sie können durchaus ein wenig psychedelisch werden. Oder sie werden zur heiter-befreiten Urlaubsstimmung mit Spanienfeel in Der Rote Pfau „Ich lieg wieder am Parkett“.

Der krönende Abschluss, zumindest für mich, diese sicher nicht neutrale Rezensentin, beginnt mit den Worten „Wenn ich in meinem Kopf verreise, misch dich nicht ein, lass mich alleine sein“. Buntspecht nimmt einen auf eine – in der Moderation wortkarge, dafür in der Musik umso wortreichere – Reise mit. Raus müssen die Sorgen und die Holzsessel aus dem Konzertsaal. So tanzt es sich so viel besser.

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