Oh, die schöne Kunst

Kartoffelbrei auf einen Monet, Torte auf die Mona Lisa, Öl auf einen Klimt – Klimaprotest hat sich in der letzten Zeit mehrheitlich ins Museum verlagert – Was sagt das über den Wert der Kunst aus? Und wie weit sollte Aktivismus gehen?

…Tomatensuppe auf einen Van Gogh. /// Illustration: Aliza Peisker

Nun auch das Leopold-Museum: Am vergangenen Dienstag haben Protestierende der Letzten Generation eine ölartige Flüssigkeit auf das Gemälde Tod und Leben von Gustav Klimt geworfen sowie sich an dessen Rahmen festgeklebt. Sie wollen damit gegen neue Öl- und Gasbohrungen sowie gegen die Firma OMV als Sponsor des Leopold-Museums demonstrieren.

Quelle: Twitter/Letzte Generation (c)

Protestaktionen wie diese gab es in den vergangenen Monaten viele, beispielsweise im Naturhistorischen Museum in Wien die Woche davor, in Berlin, Madrid oder Rom. Sie fallen zeitlich zusammen mit der Besetzung eines Hörsaals an der Universität Wien, doch die Ölwerfer im Leopold bedienen sich einer ganz anderen Bildlichkeit. Angefangen hatten Güsse und Würfe von Flüssigkeiten auf berühmte Gemälde als Umweltaktivismus mit der Gruppe Just Stop Oil aus England, die im Interview mit dem Standard angeben, durch diese Form des Protestes mehr Aufmerksamkeit für ihre Forderungen hinsichtlich der Klimakrise zu bekommen, als durch friedliche Proteste.

Und Aufmerksamkeit gibt es viel: zumeist negative. Überall in den sozialen Netzwerken – meist auf unsachlicher Ebene – lassen sich empörte Stimmen vernehmen, die Aktionen wie die im Leopold-Museum für nicht angebracht halten. Der Chef der Albertina sieht diese Art Proteste sogar als einen „terroristischen Akt“ und zieht Parallelen zur RAF.

Tomatensuppe auf Panzerglas

Dabei geht es den Aktivist*innen gerade um diese mediale Präsenz. Denn auch schlechte Presse ist Presse und trägt dazu bei, dass Menschen über ihre Forderungen sprechen und die Dringlichkeit verschärft wird. Protest soll stören. Das Ziel ist nie die Beschädigung der Gemälde, es werden explizit Werke ausgewählt, die von einer (Panzer-) Glasscheibe geschützt sind. So auch das Gemälde von Klimt im Leopold-Museum. Aber warum wurde genau die Kunst zum Banner für den Klimaprotest?

Just Stop Oil (c)

Die Aktivist*innen von Just Stop Oil begründen es so: Wir sehen Kunst, gerade die Alten Meister, oder wie in Österreich nationale Ikonen wie Klimt, als etwas schönes, wertvolles, das beschützt werden muss. Gerade deshalb lösen ihre Proteste auch so viel Empörung in der breiten Gesellschaft aus. Aber tatsächlich sollte sich diese Empörung auf einem anderen Feld abspielen: der Klimakrise.

Denn wo bleibt diese Empörung bei politischen Entscheidungen, die für das Schicksal von Millionen von Menschen und deren Lebensgrundlage verantwortlich sind? Unser Wertesystem ist falsch aufgebaut, wenn es nur darum geht, Jahrhunderte alte Leinwände besser zu schützen als unseren eigenen Planeten und Millionenbeträge lieber in Farbe auf Leinwand als in die Zukunft der nächsten Generationen zu investieren.

Wie Anna Holland von Just Stop Oil es ausdrückt: Es geht nicht mehr um die Abbildung des Lebens (wie auf den Gemälden, passend: „Tod und Leben“ von Klimt), sondern um das Leben selbst, das es zu schützen gilt.

So alt wie die Kunst selbst

Tatsächlich ist Protest in und an der Kunst so alt wie die Kunst selbst. Ein Beispiel: Die Rokeby Venus.

Die beschädigte Rokeby Venus

Das Gemälde, das Mitte des 17. Jahrhunderts von Diego Velázquez für den spanischen Hof gemalt wurde und nun in der National Gallery in London hängt, musste Anfang des letzten Jahrhunderts eine drastische Protestaktion hinnehmen: Mary Richardson, eine Suffragette (sowie bekennende Faschistin), schlitzte mit einem Fleischmesser fünf große Schlitze in die Leinwand. Sie protestierte damit gegen die Festnahme einer anderen Suffragette, gegen den damals horrenden Preis für das Gemälde sowie den misogynen Umgang mit weiblichen Aktstudien: nicht nur des Malers, sondern auch des Publikums, das lüstern auf das blanke Hinterteil der jungen Frau blicken kann. Mary Richardson wird zitiert: Justice is an element of beauty as much as colour and outline on canvas.

Die Rokeby Venus wurde danach lange restauriert und die Schlitze wieder zusammengenäht. Heute kann man sie wieder betrachten und über ihre radikale Vergangenheit sinnen. Sie stellt die Frage: Wie weit sollte Aktivismus gehen?

Gewalt in der- und gegen die Krise

In einer Krise wie der unseren, von der wir die ökologischen, wirtschaftlichen und humanen Folgen noch gar nicht absehen und nur das Schlimmste erahnen können, braucht es zivilen Protest. Gerade in dieser Lage sollte zu medial aufsehenerregenden Mitteln gegriffen werden, die eine Diskussion in Gang setzen. Eine gewisse Radikalisierung wird gebraucht, auch wenn sie Reaktanz in der Zivilbevölkerung auslöst. Aber nur so kann auf die Dringlichkeit der Krise verwiesen werden, gerade jetzt, während die Weltklimakonferenz in Ägypten läuft.

Oft wird die Frage gestellt, ob dann Gemälde im Museum dafür geopfert werden müssen. Doch das werden sie gar nicht, denn an den Gemälden an sich ist noch kein Schaden erwiesen worden, höchstens an den Rahmen. Das Nichthandeln der Politiker*innen, das Festhalten an längst überholten Positionen und die unzureichenden Maßnahmen sind auch Formen der “Gewalt”, und zwar einer, die weit schwerwiegender ist als die der Umweltaktivist*innen.

Es ist eine andere Debatte, ob man für diese Protestaktionen wirklich Nahrungsmittel wie Tomatensuppe oder Kartoffelbrei verwenden sollte, gerade wenn es um Nahrungsknappheit im Zuge der Klimakrise geht. Kritisieren lässt sich auch, wie scheinbar willkürlich die Wurfgeschosse und Kunstwerke miteinander gepaart werden. Was hat Tomatensuppe mit den Sonnenblumen von Van Gogh zu tun? Ist es eine Referenz auf Andy Warhol? Wohl eher nicht.

Es stellt sich auch die Frage, ob es durch die mediale Präsenz wirklich zu einer konstruktiven Debatte kommt und es nicht bloß einen kurzen Aufruhr gibt, beziehungsweise wie nachhaltig solche Aktionen in ihrem kritischen Charakter sind. Denn obwohl sie ein starkes Bild liefern, das öffentlich wirksam durch die Presse geht, stellt man sich die Frage, was ein Monet oder Warhol oder Klimt mit dem Klima zu tun hat. Und dabei macht ein Gemälde wie Tod und Leben noch mehr Sinn als eines von Heuschobern.
Es wird dann zwar über die Proteste an sich geredet, viele Menschen hetzen dabei aber lieber teilweise aufs Übelste auf die mit Sekundenkleber und Kartoffelbrei bewaffneten Jungendlichen als auf Politik und Ölkonzerne. Über Klimagerechtigkeit wird weniger diskutiert als darüber, dass vielen Menschen ja auf einmal die Reinigungskräfte leidtun, deren Arbeitsbedingungen ihnen vorher egal waren, die die Tomatensuppe wegwischen müssen.

Wie wird Protest in Zukunft aussehen?

Es sind alles Fragen, die sich hoffentlich beantworten lassen, wenn wir sehen, welche langfristigen Folgen die Proteste haben. Interessant wird außerdem sein, wie die Kunstszene mit dieser teils auf sie gerichteter Attacke umgeht. Institutionskritische Kunst steht momentan eh hoch im Kurs. Wie lange braucht es, bis ein neuer Banksy eines bespritzten Gemäldes auftaucht?

Auch andere Bewegungen, die heute essentielle Teile unserer Gesellschaft sind, eben wie die der Frauenbewegung oder der Queeren Bewegung, hatten in der Zeit ihrer Entstehungen mit viel Hass aus der Bevölkerung zu kämpfen. Und doch sahen sie sich auf der richtigen Seite der Geschichte.

Wie schön wäre es, wenn die Politik schon bei ein paar Straßenbesetzungen eine 360°-Kehrtwende gemacht hätte, wie schön wäre es, wenn wir nach der ersten Fridays For Future-Demo alles eingeleitet hätten, um die Klimaziele aus dem Abkommen von Paris einzuhalten. Aber noch immer tut sich nichts oder viel zu wenig. Eine ganze Generation versucht, sich Gehör unter vielen alteingesessenen Stimmen zu verschaffen. Da braucht es andere Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Vielleicht kommt es aus einer Wärmflasche. Vielleicht ist es Tomatensuppe.

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