Mahnungen aus Amsterdam

Amsterdam, 21. Jahrhundert – einer jungen jüdischen Musikerin wird ein Brief durch den Türschlitz geschoben. Dieser entpuppt sich als eine enorm teure Gasrechnung. Wie soll sie das bezahlen? Sie begibt sich auf eine Reise durch die Geschichte ihrer Wohnung und Herkunft.

(c) Marcel Köhler

Drei Darstellende in beiger Casual Wear schlüpfen in die Rolle der Protagonistin – eine israelische junge Geigerin, die in Amsterdam lebt – und den Personen die sie umgeben. Der Musikerin wird von ihrem Nachbarn ein Brief von der Verwaltung unter den Türschlitz geschoben. Schleppend stellt sich heraus, dass dieser Brief eine jahrealte Gasrechnung mit außerordentlichen Mahngebühren enthält. Mit diesem Schock begibt sie sich auf die Suche nach dem Ursprung dieser unbezahlten Rechnung: Wer hat in den Kriegsjahren in ihrer Wohnung gelebt und wie ist ihr Nachbar Jan darin verstrickt? Und warum wurde diese Rechnung nie beglichen?

Fremdenhass in Amsterdam

Das Stück behandelt immer wieder aufkeimende Gedanken zu Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Xenophobie.

In Amsterdam sollte der Protagonistin als junge Frau die Welt offenstehen, im Alltag ist diese Idylle dann doch nicht immer die ihre. Tagtäglich wird sie mit Fremdenhass konfrontiert, auch wenn dieser nicht immer direkt an sie ausgesprochen wird. Die meisten Beleidigungen präsentieren sich als ihr Innenleben: Alltägliche Situationen wie im Supermarkt oder beim Gynäkologen versetzten die Protagonistin in Denkspiralen, ob diese jetzt sexistisch, antisemitisch, xenophob oder alles davon sind. Und wie kann sie sich bestmöglich verhalten, um ihr Gegenüber vom Gegenteil seiner Vorurteile zu überzeugen?

Dazwischen werden Beleidigungen und herabwürdigenden Worte und Phrasen durch den Raum geschrien. Trillerpfeifen dienen den Darstellenden dazu ihren Raum einzunehmen. Die geschrienen Phrasen bilden die Unfertigkeit der Gedanken ab – die einer Gesellschaft, die an ihre liberalen Grenzen stößt.

Im Stadion der Wortfetzen

Entlang der Aufspürung der mysteriösen Gasrechnung und der inneren Konflikte der Protagonistin setzt das Stück an Themen der Geschichte, Krieg, Gesellschaft und Verantwortung an. Ideenfetzten und neue Erkenntnisse werden mit projizierten Live-Handy-Videos an die dreiseitige Leinwand geworfen - die Bühne gleicht nun einem Stadion. Der Verlauf des Stücks birgt eine viel hektischere Inszenierung im Gegensatz zum simpleren Anfang. Später treten die Darstellenden in Kostümen der Amsterdamer Fußballmannschaft Ajax auf, das Vorwissen zur jüdischen (Schein-)Identität des Vereins liefert das Stück selbst jedoch nicht.  

Die Darstellenden bewegen sich, ihre Worte suchend, durch den Raum. Es scheint als wüssten sie selbst noch nicht genau was passieren wird. Sie beginnen Sätze, werfen Pausen ein, fangen nochmal neu an, schreien herum, werden stumm. So hanteln sie sich die Geschichte an ihren Auswirkungen, die bis heute zu spüren sind, entlang.

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