Was der Bauer nicht kennt – zu R.M.N.
Männlichkeit, Arbeitsmigration, Rassismus. Cristian Mungius neuer Film ist voll von aktuellen wie explosiven Themen. Ob eine interessante Auseinandersetzung gelingt, ist bei R.M.N. vor allem eine Frage der Form.
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25.10, 23:00 (Stadtkino im Künstlerhaus)
Blaustichig sind die Bilder von R.M.N. Jede Wärme ist gewichen aus dem rumänischen Dorf, das Regisseur Cristian Mungiu zeichnet. Ein einfacher Handgriff, der von Anfang an klar macht: Etwas stimmt nicht mit diesem Ort, etwas stimmt vielleicht nicht mit diesem Kontinent. Denn dass es hier nicht nur um Rumänien geht, ist offensichtlich. Protagonist Matthias, je nach Generationsbetrachtung Macho oder toxisch, ist gescheiterter Arbeitsmigrant, einer, der es im Ausland versucht hat und zurückkehren musste. Wie viele im Dorf ist Matthias kein reiner Bio-Rumäne, er ist zur Hälfte deutsch, vielleicht auch mehr. Und wie viele steht er mit leeren Händen da: ohne Job, ohne die Fähigkeit, Wärme zu vermitteln oder empfangen, läuft er durch die blauen Bilder—wonach er dabei sucht, ist schwer zu sagen, wie überhaupt schwer zu sagen ist, was die Dorfbewohner*innen suchen in diesem Ort, der zum Fortgehen einlädt. Was sie nicht suchen, kommt schließlich in Form von weiteren Migranten, dieses Mal aus Sri-Lanka, keine Europäer, „Fremde“ also. Den Rest der Geschichte kann man sich fast denken, die Zahl an Hetzjagd-ähnlichen Filmen ist lang. Man denkt an Die Jagd (Vinterberg), an Exil (Morina), ein bisschen an Das weiße Band (Haneke), wenn die Dörfler erwartungsgemäß an die Decke gehen: sie selbst haben keinen Job, keine Perspektive (und dank Mungiu eben nicht mal ein gelb oder ein rot zum Ansehen), die SriLanker bekommen Unmengen, so munkelt man zumindest.
Gerade zu Beginn wirkt R.M.N. programmatisch, fast holzschnittartig. Dramaturgie und Schauspiel erinnern eher an deutsche Fernsehkrimis als an Viennale-Qualitätskino. Umständlich wirkt das, der fiktive Charakter des Films drängt sich dem/der Zuschauer*in auf, ohne dass dadurch etwas gewonnen wäre.
Dazu kommt, dass Mungius Bilder (zunächst) kaum Platz für Ambivalenzen bieten: zur nun genug erwähnten Blaustichigkeit gesellt sich eine Kameraarbeit, die an den Figuren klebt, kaum Raum zum Atmen lässt – wird es einmal brenzlig, suggerieren wacklige Handkameraaufnahmen Spannung. Zudem erweisen sich die Hauptfiguren als recht eindimensional. Erwähnter Matthias bleibt ein grimmiges Stück Holz, die SriLanker dagegen sind in Fleisch gegossene Unschuld – Hilfe bekommen sie von Csilla, der Guten im Dorf (einmal noch: ebendiese Csilla darf sogar kuschelig warm im Kerzenlicht sitzen – dazu spielt sie auf dem Cello das Theme aus In the Mood for Love. Wärmer geht es kaum!). Lediglich einige Randfiguren offenbaren Ambivalenzen. Eine vertane Chance, so hätten gerade in den in der Figur der Csilla wunderbar die inhärenten Widersprüche dargelegt werden können: Sie leitet die Bäckerei, die für die Anstellung der unliebsamen Einwanderer verantwortlich ist – auch, weil kein*e Rumän*in für den Mindestlohn arbeiten möchte.
Erst in der zweiten Hälfte entwickelt R.M.N. dann so manches spannende Bild. Auch, weil Mungius formale Entscheidungen endlich die notwendigen (und im Viennale-Programm angekündigten) Ambivalenzen zulassen. In einer gelungenen Gerichts-Szene ohne wirkliches Gericht wird der Film auf einmal uneindeutiger. Grund dafür ist primär die Entscheidung, die Szene in einer langen, statischen Einstellung zu drehen: keine Schnitte also, die etwas suggerieren, keine Isolation von Einzelpersonen, sondern ein Wimmelbild an Dorfbewohner*innen in Zwietracht, in dem der Blick von A nach B wandern kann, sich emanzipieren kann von einer Message.
Auch ist die Szene interessant, weil sich in ihr die Dysfunktionalität der Sprache in R.M.N. offenbart: da steht ein Standpunkt dem anderen gegenüber, es wird geschrien und gestritten, eine Verschiebung kommt nicht zustande. Ein physischer Twitter-Thread sozusagen – bis von der Physis gebraucht gemacht wird. Insgesamt aber macht R.M.N. zu wenig mit seinen Figuren. Das rumänische Bergdorf als Brennpunkt europäischer Arbeitsmigration hat seinen Reiz, doch gelingt es Mungiu nicht, die Widersprüche dramaturgisch oder formal auszuarbeiten. Dank einiger gelungenen Momente gen Ende des Films kehrt die nun so oft geforderte Ambivalenz dann zumindest doch noch ein – nicht im Film, aber zumindest in der Haltung diesem gegenüber.