„Man sagt zwar, Jazz kommt aus Amerika, aber was meint man damit?“

XJazz! und die Problematik einer europäischen Jazztradition mit Natalie Greffel.

Natalie Greffel /// Geraldine Gutt (c)

Jazzfestivals – allein in Österreich zählen wir aktuell 11, darunter das Jazzfestival Saalfelden, den Jazz-Sommer Graz oder das Jazz Fest Wien, das die letzten Jahre aufgrund mangelnder Sponsoren pausieren musste. Etwas weiter nördlich erregt ein besonders junges Festival seit einigen Jahren Aufmerksamkeit – das XJazz! Berlin.

XJazz! ist ein guter Ort, um Dinge auszuprobieren. Es ist sehr offen und es versucht jedes Jahr kreativ und anders zu sein.“

2014 von Trompeter und Keyboarder Sebastian Studnitzky ins Leben gerufen, bietet das Festival sowohl etablierten, als auch weniger bekannten Künstler*innen eine Plattform. Dabei besticht es vor allem durch ein modernes und vielfältiges Programm: von 8.–14. Mai sind insgesamt 80 Acts in Berlin Kreuzberg verteilt. In einer exklusiven Festival-Episode aus Interviews und Konzerteinblicken, werfen wir mit der Causa Kultur einen Blick hinter die Kulissen. Erster Vorgeschmack dazu – Musikerin und Co-Kuratorin Natalie Greffel über XJazz! und das Problem der „europäischen Jazztradition“.

„Das X steht für experimental, aber ein X kann sich natürlich in unterschiedliche Richtungen ausbereiten.“

Bohema: Du bist seit 2022 im XJazz! Team. Was war dein Zugang als Kuratorin im ersten Jahr?

Natalie Greffel: Leute zu buchen, die ich sonst nicht sehe. Das Festival stellt sich jedes Jahr neu auf, jetzt wird es langsam größer, auch was die Ressourcen angeht. Da kann man Dinge anders angehen.

B: Hat sich der Fokus in diesem Jahr geändert, gab es quasi Kurskorrekturen?

NG: Ja, also gerade was Sound angeht, Leute die etwas Kritisches beitragen. Kritisch im Sinne von, was sagt die Musik? Welche Perspektive bringt die Musik? Da habe ich zum Beispiel Sanni Est gebucht. In ihrem Album Photophobia geht es um Trans-futurism und schwarze Dekolonialisierung in der Musik. Dann auch Dumama, sie macht Musik, die ihre südafrikanische Tradition wiederspiegelt und sich auch in anderen Genres ausbreitet. Und auch Lukas Akintaya. Also Musik die schon da ist, aber einfach nicht genug Anerkennung bekommt. Aber ich bin ja nicht die einzige Bookerin. Wir schauen, dass es so vielfältig ist wie möglich. Ich glaube, dass ich von meiner Seite einfach Wissen habe, dass die anderen nicht haben und vice versa.

„Du kannst nicht gut spielen ohne zu wissen wo die Musik herkommt. Es kommt einfach andere Musik dabei raus und dann bringst du Leuten bei, dass das Jazz ist. Das stimmt einfach nicht.“

B: In deiner Biografie bei Agogo Records steht, du wärst desillusioniert worden, was Jazz in Europa betrifft. Was genau meinst du damit?

NG: Jazz kommt von afroamerikanischen Völkern und ist daher auch immer mit einer gewissen Spiritualität verbunden, die da hineinprojiziert wird. Und auch politischem Wiederstand. Das ist aus meiner Sicht in Europa total vernichtet worden. Es wird ganz anders über Jazz geredet. Also man sagt zwar, Jazz kommt aus Amerika, aber was meint man damit? Amerika besteht ja aus vielen Gruppen. Für mich beinhaltet das einfach ganz viel Whitewashing, ganz viel bewussten und unbewussten Rassismus. Aber auch Sexismus und eine gewisse Art von Klassismus. Jazz ist eine elitäre Institution geworden, wo man Können zeigt. Man wird von Leuten ausgebildet, die nicht gelernt haben, kritisch über Kolonialismus und Sexismus zu denken. Sie können alle gut spielen, darum geht es nicht. Aber du kannst nicht gut spielen ohne zu wissen wo die Musik herkommt. Es kommt einfach andere Musik dabei raus und dann bringst du Leuten bei, das Jazz ist. Das stimmt einfach nicht.

B: Es gab auch vor ein paar Jahren die Diskussion um den Begriff „Jazz“. Eine Gruppe populärer US-amerikanischer Musiker meinte, sie wollen ihre Musik explizit nicht „Jazz“ nennen, sondern „(Great) Black American Music“. Unter anderem auch, weil mit der Betitelung Jazz ein industrialisierter Stereotyp einhergeht.

NG: Und das ist ja auch der Grund, wieso es in Europa so gut ankommt. Weil es weiße Leute sind, die sich darin wiedergespiegelt sehen. Und dabei geht so viel verloren. Und diese Blindheit dafür sieht man auch an Jazz-Universitäten oder auf Musikplatten, wo weiße Männer nur mit weißen Männern spielen.

B: Wenn wir uns zum Beispiel die Idee eines „nordischen Jazz Sounds“ ansehen, die in den 1960ern beispielsweise durch Jan Johanson geprägt wird. Denkst du, dass diese Verschmelzung von Jazz mit „weißen Volksmusiken“ schon problematisch ist, oder erst weil diese Machtstruktur dazukommt?

NG: Das ist eine gute Frage, aber ehrlich gesagt kann ich darauf nicht wirklich antworten. Ich habe mich mit dieser Musik nie wirklich beschäftigt. Aber die Verschmelzung ist ja schon mal problematisch: Jazz ist kein Wort, das die afroamerikanische Gesellschaft für ihre Musik verwendet. Also was wird da verschmolzen? Geht es da nur um Improvisation oder Rhythmik? Also, ich habe da keine Antwort, aber ich finde es interessant, wenn man das aus dem Blick der Great Black American Music sieht. Das ändert schon alles. In dem Kontext bezieht sich die Musik dann auf etwas ganz anderes. Das ist dann eher eine kulturelle Frage als eine Genre-Frage.

 „Was wir in der Jazz-Szene sehen, ist ein Symptom der Gesellschaft.“

B: Welche Veränderungen würdest du dir konkret in der europäischen Jazz-Szene wünschen?

NG: Ich glaube nicht, es mit der Szene zu tun hat, sondern mit der Gesellschaft. Was wir in der Jazz-Szene sehen ist ein Symptom der Gesellschaft. Aber es geht darum, dass wir Diskurse führen, was Jazz oder Black American Music heißt, und wir Leute auch dazu einladen. Ich mag zum Beispiel Performance Lectures, wo ich nicht nur spiele, sondern dann auch darüber rede. Ich glaube viele Leute haben Interesse an der Musik und wollen sich damit beschäftigen, aber sie wissen gar nicht, dass diese Reflektion fehlt. Ich glaube oft, dass Jazz eher eine cis-hetero-maskuline Ausfaltung ist, wo wir zeigen, dass wir gut spielen können und das reicht dann auch. Denn das ist ja diese Freiheit, die ich mir nehme. Aber keine*r fragt, Freiheit wovon? Freiheit von der Unterdrückung durch Weiße eigentlich. Das zu verstehen, in der Musik und auch in der Art wie wir Musik kommunizieren, das sollten nicht nur die Musiker*innen, sondern auch die Zuhörenden von Black American Music diskutieren, denn es geht nicht nur um die Musik, es geht um die Menschen.

B: Was zeichnet das XJazz! für dich aus?

NG: Ein Künstler meinte: „Das X steht für Experimental, aber ein X kann sich natürlich in unterschiedliche Richtungen ausbereiten“. Das trifft es ganz gut. Aber ich bin auch gerade dabei darüber zu reflektieren, weil wir ja auch gerade über Black American Music gesprochen haben. Also wenn wir das schwarze herausnehmen, was ist dann eigentlich Jazz? Wen ehren wir und wozu? Und was sind die Strukturen unter denen wir auch Leute booken, denn das ist ja auch eine europäische Institution, die hier mitverdient. Aber ich finde das XJazz! ist ein guter Ort, um Dinge auszuprobieren. Es ist sehr offen und es ist ein Festival, das versucht jedes Jahr kreativ und anders zu sein.

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