Aus dem Rahmen: Mit Liebe und Entschlossenheit

Drei sind eine*r zu viel – Claire Denis‘ neues Erotik-Liebes-Drama zerlegt die moderne Paarbeziehung und wirft große Fragen zur individuellen Freiheit auf. Einige Gedanken zu Mit Liebe und Entschlossenheit.

Jean (Vincent Lindon) und Sara (Juliette Binoche) /// Polyfilm (c)

In einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen führt der slowenische Philosoph Slavoj Žižek folgendes Beispiel für die moderne Konzeption von Autorität/Freiheit an. Früher, so Žižek, hätte ein Vater seinem Kind vor dem anstehenden Besuch der Großmutter befohlen, mitzukommen. Heute sei das anders: an die Stelle der Regel tritt ein Satz wie „Du musst nicht mitkommen, aber du weißt ja, wie sehr sich Oma freuen würde.“ Der Inhalt ist bei beiden Aussagen klar – eigentlich hat das Kind keine Wahl. Während der Befehlston aber immerhin die Entscheidung zur Rebellion gegen das klare Gebot ermöglicht, ist laut Žižek die oberflächlich weiche, nett formulierte Illusion der freien Wahl in Beispiel zwei perfider: nicht nur muss das Kind mitkommen, es muss es auch freiwillig tun.

Mit Liebe und Entschlossenheit, Claire Denis‘ neuer Film, der auf der letztjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet wurde, enthält massig solcher Kommunikationsfallen, solcher Fragen nach Handlungsmacht.

Die Geschichte, eine klassisch-französische Ménage-à-trois, ist schnell zusammengefasst: Sara (Juliette Binoche) und Jean (Vincent Lindon) sind ein Paar. Es läuft gut, bis Sara zufällig auf der Straße François (Grégoire Colin) begegnet, ihrem Ex, der kurze Zeit später ausgerechnet mit Jean eine Geschäftspartnerschaft eingeht. Den Rest kann man sich denken: François und Sara begehren einander noch immer, die Beziehung zu Jean gerät ins Wanken. Das Oma-Kind-Problem findet sich hier vor allem in der Kommunikation Jeans: er ist es, der François zurück in Saras Leben holt und ihr daraufhin – ein moderner Mann – die ‘Freiheit‘ einräumt, diesen zu treffen. „Ich sage dir nicht, wen du sehen darfst und wen nicht“, sagt er, nachdem Sara ihn um eine klare Ansage bittet. Fatalerweise nimmt sie Jean beim Wort. Statt das symbolische „Entscheide dich freiwillig dagegen, François zu sehen“ zu befolgen, verletzt Sara die Beziehungsordnung und tritt damit eine Kette an Problemen los.

Die Paarbeziehung als Selbstvergewisserungsmaschine

Überhaupt steckt viel in der Kommunikation zwischen Jean und Sara. Die Paarbeziehung wird in Mit Liebe und Entschlossenheit von Anfang an als Selbstvergewisserungsmaschine dargestellt: „Du siehst gut aus“, „Ich mache mir keine Sorgen“, „Liebst du mich denn wirklich? Ja, klar“. Es ist ein gegenseitiges Geschichten-Erzählen vom eigenen Glück. Dass dabei etwas im Verborgenen bleibt, ist augenscheinlich: wenn Sara Jean anlächelt, lächelt nur der Mund. Die Geste enttarnt sich selbst - vor allem, weil die Treffen zwischen Sara und François dann so anders inszeniert sind: während zu Jean auch im Bild oft eine gewisse Distanz besteht, wirkt das erste Wiedersehen mit François wie ein Urknall. Ganz nah ist die Kamera dann an den Gesichtern, die sich in Zeitlupe aneinanderschmiegen, es sind Bilder einer großen Zärtlichkeit, die alle Floskeln verpuffen lassen.

Freiheit und Fiktion

Diese Anziehung ist zwar stark, sie ist aber auch gefährlich, weil sie Saras Leben aus der Bahn zu werfen droht. Solche vorgezeichneten Wege schwingen in Mit Liebe und Entschlossenheit immer mit. Wiederholt zeigt Claire Denis‘ Bilder aus der Sicht einer U-Bahn, die sich auf den Gleisen durch den Pariser Untergrund schlängelt, auch die Dialoge landen immer wieder beim Thema der Freiheit. Da ist Jean, der seinem PoC-Sohn, der „Schwarze und Araber“ für die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligste Gruppe hält, die Leviten liest – wir sind doch eigenständige Personen, tönt es aus des Subjektes Mund. Dabei versucht er selbst permanent, dem vorgefertigten Bild seiner Selbst zu entkommen –zwar nicht qua Geburt auferlegt, Jean spricht dieses klar aus: „Früher war ich der Ex-Spieler, heute bin ich der Ex-Knacki“. Ein Ex-Knacki sein, das stellt die Weichen, wenn vielleicht auch primär im Kopf. Was nicht heißt, dass diese Weichen nicht real wären.

Regisseurin Claire Denis /// Nurphoto Zuma Press (c)

Dass Fiktion und Realität nicht zu trennen sind, macht Denis durch die filmische Durchmischung verschiedener Bildebenen deutlich: wenn Sara, die als Radiomoderatorin arbeitet, Lilian Thuram zum Thema Rassismus interviewt, sehen wir da den echten Lilian Thuram mit ihr sprechen, keinen Schauspieler. An anderer Stelle werden echte Amateuraufnahmen der Explosion in Beirut gezeigt. Fiktionen, Strukturen bzw. der Glauben an diese bestimmen die Leben der Menschen mit, das gilt für das Beziehungskonstrukt sowie für Jeans und Saras Handeln. „Ich war noch nie frei in meinem Leben, noch nie!“, schreit Sara in einem Streit. François, und damit die eigene Vergangenheit oder Jean, die sichere Gegenwart – echte Freiheit scheint keine der beiden Optionen zu bieten. Wo diese zu finden ist, ist vielleicht die kniffligste Frage, die der Film aufwirft.

Kein Thesenfilm

Gerade zu Beginn sehen wir sowohl Jean als auch Sara ständig in gerahmten Bildern: in Türen, die den Raum begrenzen, hinter Scheiben, die sowohl den Blick als auch die Kommunikation erschweren. Und doch ist Mit Liebe und Entschlossenheit nicht etwa ein deterministischer Thesenfilm. Es gibt da kleine Freiheiten, Ausbrüche, vor allem gibt es widersprüchliche Figuren. Immer wieder sprengen diese den Rahmen, dann scheint die Kamera (wie die zurechtgelegte Fiktion) nicht alles einfangen zu können. Wenn Sara am Ende des Films buchstäblich aus dem Rahmen zu verschwinden scheint, ist etwas gewonnen.

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