Mehr als ein Landkrimi

Die Neue Oper Wien setzte ihrer Saison mit Stallerhof von Gerd Kühr ein beklemmendes Ende.

Drama auf dem Land /// Armin Bardel (c)

Viele, die den Titel Stallerhof hören, denken zuerst an das Schauspiel von Franz Xaver Kroetz. Was hatte es da für Aufregungen gegeben, seit 1972 die Uraufführung in Hamburg stattgefunden hatte... eine Lehrerin in Tirol war innerhalb von 48 Stunden suspendiert worden, als sie das Stück zur Klassenlektüre machte. Es sind die Themen der Pädophilie, des Missbrauchs, des Mordes und des Außenseiterseins in Stallerhof, die auf ganz direkte Weise durch seichte Alltagssprache zum Publikum dringen. Gepackt war auch Gerd Kühr, der auf Anregung seines Lehrers Hans Werner Henze hin, Stallerhof 1988 zu seiner ersten Oper machte.

Aus nur vier Personen speist die Handlung des Stückes, die, wie der Titel verrät, im ländlichen Raum angesiedelt ist: Beppi, die Tochter von Stallerin und Staller wird vom Knecht Sepp missbraucht. Doch das allein wäre zu einfach. Stallerhof ist mehr als ein einfacher Landkrimi, denn die Charaktere sind Opfer ihres isolierten Lebens und probieren gar nicht diese Situation zu ändern.

„Kein Glück hab ich ebn ghabt im Lebn, das is es“

muss Sepp feststellen und kommt zu dem Schluss, dass man da nichts machen kann. Die Regisseurin Shira Szabady benötigt keinen Bauernhof, um diese tragisch reale Geschichte zu erzählen, denn die einsame, hilflose Situation, in der sich die Figuren befinden, sei ort- und zeitlos. Bildgewaltig geht ihr Konzept auf der hölzernen Tribüne von Nikolaus Webern zwischen den Säulen des Semperdepots auf.

Gerd Kührs Oper Stallerhof entstand in der Zusammenarbeit mit Franz Xaver Kroetz persönlich und hält sehr stark am Original fest. Dazu komponiert wurden Frauenterzette, die das Stück in seine Akte gliedern und sich musikalisch klar vom Rest der Oper unterscheiden. Drei Damen in schwarzen Roben schwingen sich in höchste Höhe und zitieren Stellen aus dem Buch Moses, um die Macht der Kirche auf die Gesellschaft zu unterstreichen.

Moseszitate vom Frauenterzett /// Armin Bardel (c)

Walter Kobéra, musikalischer Leiter und Intendant der Neuen Oper Wien, gelingt wieder eine Premiere auf höchstem Niveau. Das amadeus ensemble-wien entlockte Gerd Kührs Partitur eine Bandbreite an Emotionen und umgibt das hervorragende Ensemble auf der Bühne: Franz Gürtelschmied und die furchteinflößend fauchende Anna Clare Hauf gaben ein großartiges Staller Paar. James Tolksdorf meisterte die Rolle des Sepps nicht nur musikalisch, sondern auch darstellerisch neben Ekaterina Protsenko, der jugendlich aussehenden, schauspielerisch talentierten und gesanglich gefestigten Idealbesetzung der Beppi.

Des einen Preis, des anderen…

Zögerlich begann der Applaus am Ende der Premiere, denn das Stück Stallerhof in Verbindung mit derartig packender Musik, zeigte beim Publikum eine heftige Wirkung, die erst verarbeitet werden musste. Leider hielt der Opernzauber aber nicht lange an: Direkt im Anschluss fand die Verleihung des Preises deutscher Theaterverlage an die Neue Oper Wien statt. Der Preis ist mehr als verdient, doch die folgende Laudatio dauerte nicht nur zu lange, sondern holte das Publikum auch sehr rasch wieder auf den Boden des Semperdepots zurück.

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