Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen

Treffen sich ein Philosoph und eine BWL-Studentin im Kaffeehaus…Unsere Autor*innen Stephanie Grechenig und Yannik Barth unterhalten sich über die Ausstellung Ludwig Wittgenstein: Fotografie als analytische Praxis.

Collage aus verschiedenen Ausstellungsbildern /// Leopold Museum (c)

Wie lassen sich über Kunst, Gesellschaft und ihre Zusammenhänge sprechen? Eine Frage, die sich Kunstjournalist*innen stellen, die man aber auch im Alltag findet, wenn man über etwas spricht, was oft so unbeschreiblich scheint. Diese Fragen stellte sich auch der Wiener Philosoph Ludwig Wittgenstein in seinen Untersuchungen, wie dem tractatus logico-philosophicus. Wir, Stephanie Grechenig und Yannik Barth, haben uns deshalb die Ausstellung Ludwig Wittgenstein: Fotografie als analytische Praxis im Leopold-Museum angeschaut und uns die Frage gestellt, wie man diese Ausstellung untersuchen kann. Im Kaffeehaus sind wir dann zur Lösung gelangt: Reden wir einfach darüber. 

Stephanie: Yannik, was dachtest du über den ersten Raum?

Yannik: Nein, so dürfen wir das nicht machen, wir müssen einfach reden. (Pause) Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

S: Ok, dann rede einfach.

Y: Ich weiß nicht. Ich konnte mir zuerst nichts unter der Ausstellung vorstellen, ich muss sagen ich wusste gar nicht, dass Wittgenstein etwas mit Fotografie zu tun hatte. Vor allem, da er 1889 geboren wurde, damals war Fotografie noch sehr neu, deshalb fand ich es sehr beeindruckend, dass er etwas mit Fotografie gemacht hat.  

Ausstellungsansichten, Ludwig Wittgenstein///Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl (c)

S: Wusstest du schon vorher etwas von Wittgenstein?

Y: Ich studiere Philosophie, deswegen kannte ich ihn als Sprachphilosophen, habe ihn aber nie selbst privat oder im Studium gelesen. Was ich aber wusste ist, dass er bzw. seine Familie reich war und er irgendwann sein ganzes Vermögen aufgegeben hat.

S: Das Einzige was ich wusste als Nicht-Philosophiestudentin, bevor ich in die Ausstellung gekommen bin, war, dass er Philosoph war. Deswegen hab ich mir davor YouTube-Videos angeschaut, um mich schon ein bisschen auszukennen. Da wurden vor allem die zwei Hauptwerke von ihm thematisiert, Tractatus logico-philosophicus und Philosophische Untersuchungen, welches aber erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde.
Was mir aufgefallen ist im ersten Raum, waren die unscharfen Portraits. Eine Wand bestand aus mehreren Bildern, die sich sehr ähnlich, aber dann auch sehr verschieden waren und man konnte nicht genau zuordnen, was es darstellen soll. Es hat sich dann herausgestellt, dass sie ein Phantombild darstellen sollten. Die Bilder wurden überlappt, was genau das ist, was Wittgenstein beschrieben hat mit der Galton`schen Photographie. Diese Methodik wurde in den 1870er Jahren benutzt, um eine Typologisierung von Menschen und Gesichtern zu schaffen.

Y: Stimmt, man hat ja mit Fotographie einen Typen gesucht, während Wittgenstein in der Sprache Typen gesucht hat. Und was ich auch wichtig fand war, dass die Ausstellung so aufgebaut ist, dass im Zentrum des Raumes Wittgensteins Bilder ausgestellt sind und ringsum an den Wänden die Bilder der anderen Künstler*innen.

Thomas Ruff, anderes Porträt 109A/32, 1994/95 © Courtesy Thomas Ruff, Foto: Thomas Ruff © Bildrecht, Wien 2021

S: Voll, bevor man eigentlich die Bilder von den anderen Künstler*innen versteht, muss man Wittgensteins Infos und Bilder „lesen“, um sich dann selbst ein Bild machen zu können. Da war ja eben sein Punkt, die Unschärfe in seinen Bildern, ob wir eben das scharfe Bild vorziehen oder das unscharfe Bild als Wahrheit anerkennen und den Menschen auch im Unscharfen darstellen können.

Y: Und was bevorzugst du? Yannik lacht.

S: Ich finde Fotografie immer besser, wenn sie nicht ganz perfekt ist, was meistens in Momentaufnahmen passiert, und da kann es schon mal vorkommen, dass diese unscharf werden.

Y: Vor allem finde ich dazu ganz gut, dass der letzte Satz des Tractatus logico-philosophicus Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen lautet. Daraus folgt gewissermaßen die Frage, wie weit man überhaupt über Fotografie reden kann? Oder sollte man sich die Fotografie nur anschauen? Inwieweit erweitert Fotografie die Sprache?“

Die Musik im Kaffeehaus wird lauter.

S: Ein Punkt von ihm ist auch, dass wir in der Kommunikation oft Missverständnisse haben. Wenn man beispielsweise einen Besen vor Augen hat, hat ja jede sein eigenes Bild dazu, jeder hat ihn auch durch seine Sozialisierung anders kennengelernt. Obwohl es ja eigentlich nur ein Besen ist.

Y: Ja voll. Vielleicht ist es das, warum er Fotografie so mochte. Wörter kannst du nicht so leicht definieren, aber wenn ich jetzt ein Bild nehme, sieht jeder das gleiche Bild. Wenn ich jetzt zum Beispiel den Besen wieder nehme, stellt sich jede*r ein ganz kleines bisschen etwas anderes unter Besen vor.

S: Voll. Ich sehe immer einen Besen mit Schatten vor einem gelben Hintergrund. 

Die Firma, 1980 /// Foto: Yannik Barth (c)

Y: Das hat mir bei der Ausstellung gut gefallen. Ich fand’s erst ein bisschen schwer, den Zusammenhang zwischen den Bildern an der Wand und Wittgenstein herzustellen, genau dadurch musste ich aber selbst darüber nachdenken - und ich weiß nicht wie es bei dir ist, aber es hat schon ein bisschen etwas mit mir gemacht, in dem Sinne, dass ich mir die Fotos anders angeschaut habe.

S: Ich fand es notwendig, erstmal Wittgensteins Blick zu lesen, damit man seine Art versteht. Hätte ich zum Beispiel die Texte von und über Wittgenstein in der Mitte nicht gelesen, hätte ich die Bilder wieder in meinem alten Muster gesehen. Ich hätte es anders Interpretiert. Seine Gedankengänge haben mir gewissermaßen einen Leitfaden gegeben.

Y: Ja, es war gut zusammengestellt, dass jeder Raum sein eigenes Thema hat. Ich kann mich auch gut an den Raum erinnern, in dem der Künstler eine Firma dargestellt hat, indem er jeden einzelnen Mitarbeiter fotografiert hat. 

S: Welcher Raum ist dir am meisten in Erinnerung geblieben?

Y: Das hat nichts direkt mit Wittgenstein zu tun, aber es war der Raum, in dem die mitunter ersten digitalen Bilder waren, die noch mit Oszillatoren gemacht wurden. Also digitale Fotos mit analogen Mitteln.

Gillian Wearing, Self Portrait at 17 Years Old, 2003 © Collection of Contemporary Art „la Caixa“ Foundation, Foto: Collection of Contemporary Art ”la Caixa” Foundation (Gillian Wearing) © Gillian Wearing

S: Bei mir war es der letzte Raum. Wo es um seinen Tod gegangen ist. Und sein Satz über den Tod: Der Tod ist kein Erlebnis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Davon muss man sich kein Bild machen, du bist dann einfach weg. Ich fand’s ganz cool, dass die Ausstellung so geendet hat, aber schon auch traurig. 

Y: Was ich noch gut fand war, dass sie unglaublich viele Menschen angesprochen hat. Wenn man zum Beispiel das ganze Wittgenstein- und Philosophiethema rausnimmt, hat man immer noch eine tolle Fotografie-Ausstellung mit nicen Fotos. Mit dem Wittgenstein-Thema dazu und der Verbindung daraus ist es nochmal etwas Besonderes. Oder man lässt die Fotografie weg und lernt sehr viel über Wittgenstein. Fotografie, Wittgenstein und die Verbindung derer. Es ist quasi eine dreifaltige Ausstellung.

Wir lachen. Die Kellnerin kommt vorbei und fragt, ob noch alles gut bei uns ist, wir bejahen. 

S: Es ist für alle etwas dabei. Ich kannte mich zum Beispiel gar nicht mit Wittgenstein aus und trotzdem konnte ich durch die Ausstellung meine Gedanken zum Thema entwickeln. Sonst gehe ich immer durch eine Ausstellung, lese eine Beschreibung und denke mir ah ja, ok. Aber so konntest du dir selbst deine Meinung dazu bilden.

Y: Voll, die Beschreibung hat dir quasi dein Werkzeug in die Hand gegeben, hat aber nicht alles vorgemalt - hat nicht gesagt: So musst du es betrachten, oder guck‘s dir so oder so an. Die Ausstellung hat etwas über Wittgenstein erzählt und hat dir drumherum die Bilder gegeben, auf die du die Gedanken dann anwenden konntest.

S: Voll.

Y: Na dann, schreiben wir es mal auf. 

Bohema Bohemowski

A collective mind of Bohema magazine

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