Märzengrund — Fremd in der Welt
Erwartungsdruck is everywhere: Adrian Goigingers Bergdrama basiert auf einer wahren Begebenheit und befasst sich mit der ewig aktuellen Geschichte über die Flucht ins Alleinsein.
Würde Adrian Goiginger in seinem Film Märzengrund nicht Themen wie Vergangenheitsbewältigung, Erwartungsdruck und Liebeskummer behandeln, hätte Märzengrund genauso gut ein Werbefilm für den Tiroler Bergtourismus sein können. Immerhin drehte Goiginger anfänglich Image- und Werbefilme. Allerdings entpuppt sich der Film relativ schnell als tiefgründiges Liebesdrama, das Schicksal eines Jungbauern zeigt, der an den Erwartungen seiner Eltern langsam zu Grunde geht.
Fremd in der Welt
Nach dem Schulabschluss soll der junge Elias (Jakob Mader), der einzige Sohn eines reichen Großbauern, den Hof seiner Eltern übernehmen. Dieser Aufgabe scheint sich nicht nur Elias nicht gewachsen zu fühlen, sondern auch seine Eltern (Gerti Drassl und Harald Windisch) zweifeln an der Fähigkeit ihres Sohnes, Verantwortung zu übernehmen. Er sehe nicht, wo Arbeit sei, liege den ganzen Tag nur auf der faulen Haut und lese Bücher, kritisiert sein Vater. Auch wenn ihn seine Mutter anfangs noch verteidigt, nimmt man sie nicht als eine Mutter wahr, die voll und ganz hinter ihrem Sohn steht. Viel eher entpuppt sich die Beziehung zu seinen Eltern als eine höchst ambivalente, die mehr von dem Druck und den Erwartungen geprägt ist, deren Vorstellungen zu erfüllen. Die einzige Person, die Elias versteht, der sich selbst als ein Fremder in der Welt wahrnimmt, ist die bereits geschiedene und etwas ältere Moid (Verena Altenberger), in die er sich verliebt und zu der er eine Liebesbeziehung aufbaut. Nach einem Nervenzusammenbruch an Heiligabend wird Elias auf die Alm geschickt, um dort alles für die Kühe im Sommer herzurichten. Nach seinen sechs Monaten Auszeit von der Gesellschaft und nachdem er den Kontakt zu Moid verliert, entschließt er sich, auf der Alm zu bleiben und dort ein neues Leben zu beginnen.
Als Zuschauer*in erahnt man früher oder später, dass sich Elias allerdings nicht für immer der Gesellschaft und seiner Vergangenheit entziehen kann. Nicht nur, dass ihn die Vergangenheit immer wieder auf seiner abgeschiedenen Berghütte heimsucht, vielmehr wirkt es fast, als würde sie sich in Form eines Tumors manifestieren und ihn dazu zwingen, ins Tal zurückzukehren.
Reality Check für Möchtegern-Aussteiger
Die Handlung, die auf dem gleichnamigen Theaterstück von Felix Mitterer basiert, welches wiederum auf einer wahren Begebenheit beruht, wird in Zeitsprüngen erzählt. Die Szenen, die das Schicksal des älteren Elias (Johannes Krisch) zeigen, lassen sich ungefähr im Jahr 2008 verorten. In den darauffolgenden Szenen erfolgen immer wieder Sprünge zwischen den Jahren 1967 und 1968. Die erste Hälfte des Films widmet sich dem Leben des jungen Elias, bevor er sich in die Berge zurückzieht, veranschaulicht aber auch seine ersten Versuche, sich dort eine Existenz aufzubauen. Elias dabei zuzusehen, wie er Steine und Baumstämme schleppt, um seine Hüte zu bauen, oder wie er mithilfe eines improvisierten Keschers versucht, Forellen zu fangen, erinnert ein wenig an Survival-Dokus aus dem Fernsehen. Was allerdings durchaus nichts Schlechtes ist, ganz im Gegenteil schafft es der Film so, seine Existenz als zurückgezogener Einsiedler weit weg von der Gesellschaft nicht zu sehr zu romantisieren, sondern zeigt dementsprechend auch die harten Seiten eines Lebens in den Bergen.
Identifikationspotential vorhanden
Adrian Goiginger und Felix Mitterer bringen gemeinsam ein Theaterstück auf die Leinwand, das so wirkt, als wäre es für das Kino geschrieben worden. Viel gesprochen wird nicht, viel eher erzählt sich die Handlung und das Schicksal des Protagonisten wie von selbst. Die wunderschönen Landschaftsaufnahmen, die dem Film eine gewaltige Bildsprache verleihen, machen ihn zudem zu einem Heimatfilm, der vor Tiefe nur so strotzt. Zudem erlaubt die Thematik des Filmes, sich leicht mit dem Protagonisten zu identifizieren, denn Erwartungsdruck ist auch unserer modernen Leistungsgesellschaft nicht fremd. Und wer hat nicht schon einmal darüber nachgedacht, wie schön es nicht wäre, sich der Gesellschaft zu entledigen und sich an einen einsamen Ort zurückzuziehen?