Neue Perspektiven, zu altmodisch aufgelegt
Mit Killers of the Flower Moon versucht sich Martin Scorsese an einem Thema von ungemeiner historischer Gravitas. Und verläuft sich dabei leider in seinen eigenen Genrekonventionen.
Amerika im frühen 20. Jahrhundert. Der Wildwest-Konkurrenzkampf um Ressourcen überschlägt sich. Trotz aller Mühen seitens der weißen Siedler, diesen zu dominieren, finden die Mitglieder des nativamerikanischen Osage-Stammes Erdöl in ihrem Reservat und sichern sich so, zumindest für kurze Zeit, ein seltenes Monopol.
Diese historische Begebenheit eröffnet zahlreiche Fragen, die eine Adaption aufgreifen kann. Schon zu Beginn wird etabliert, dass Eingliederung, bürokratische Eingrenzungen und kulturelle Mimikry von den Osage gefordert werden, um ihren Reichtum zu gesellschaftlichem Status umwandeln zu können. Die Möglichkeit, anhand dieses Fallbeispiels also die passiveren Diskriminierungsstrukturen im Kolonialismus zu untersuchen, bietet sich demnach mehr als an. Und auch wenn dies in einigen Momenten angerissen wird, fokussiert sich Killers of the Flower Moon vor allem auf aktive Gewaltmechanismen, mit denen marginalisierte Gruppen unterdrückt werden. Im Fall der Osage sind dies vor allem Heiratsschwindel, Mord und Korruption. Dort offenbart sich das größte Problem des Films. Denn wie der Titel bereits andeutet, wird sich auf die Täter fokussiert. Leider auf eine Art und Weise, die an den falschen Stellen Nuancen setzt.
Scorsese und der Antiheld
Die reale Geschichte der Osage-Morden ist eine der systematischen Ungerechtigkeit. Das versucht auch Scorsese zu zeigen. Das Desinteresse an nativamerikanischen Leben seitens von Institutionen wie der Bank, der Polizei oder dem Medizinsystem macht es erst möglich, dass einer Reihe an Tötungen nicht nachgegangen wird. Genau dieses Desinteresse versucht Killers of the Flower Moon herauszufordern, indem das Publikum gezwungen wird, die Perspektive der Täter einzunehmen. Über drei Stunden lang wird beim Lügen, Betrügen, Bestechen und Ermorden zugeschaut, sodass auch die vermeintlich apolitischste Person am Ende nicht anderes können soll, als sich von dem dargestellten Verhalten zu distanzieren. Zumindest scheint dies der Plan zu sein.
Nur leider schafft es der Film durch seine Figurenzeichnung kaum, die Osage-Morde als Beispiel für ein universelles, immer noch anhaltendes Problem von Postkolonialismus und Kapitalismus zu beschreiben. Stattdessen wird die Geschichte durch die Wahl seines Hauptcharakters auf eine individuelle Ebene heruntergebrochen.
Denn Scorsese verfährt sich in seinen eigenen Stilkonventionen und erzählt eine doch recht klassische Aufstieg-und-Fall-Gangsterstory in einem Setting, welches sich nicht dafür anbietet.
Ernest Burkhart, gespielt von Leonardo DiCaprio, soll als Stellvertreter für die Verfehlungen seiner Gesellschaft dienen. Angespornt von seinem korrupten Onkel Bill Hale heiratet er Mollie Kyle, deren Osage-Familie zu denen gehört, die durch den Ölvertrieb zu Reichtum gekommen sind. Ob die Ehe von Zuneigung oder Profitgier getrieben ist, soll als große moralische Frage über dem Film stehen.
Doch leider eignet sich Ernest Burkhart nicht als Folie, von dem sich das Publikum im Verlauf der Narrative distanzieren soll. Denn ganz verurteilt wird Burkhart nie. Natürlich wird sein kriminelles Verhalten kritisiert, aber er bleibt trotzdem der klassische Antiheld, der bei Scorsese mittlerweile zum Markenzeichen geworden ist. Wie ein Fähnchen im Wind lässt sich Ernest Burkhart von der Gesellschaft verderben. Nur die Liebe zu seiner Frau macht ihn menschlich.
Oder vielleicht auch nicht? Schließlich sabotiert er durchgehend ihre Familie, um seine Nachkommen zu Alleinerben zu machen. Nur leider positioniert sich der Film zu dieser Frage nicht endgültig und schafft es so kaum, eine wirklich konkrete Aussage darüber zu treffen, wie struktureller Rassismus individuelle Hassverbrechen ermöglicht.
Noch schwammiger wird die moralische Einordnung durch die Tatsache, dass es scheint, als hätte die erste Priorität bei der Gestaltung der Rolle darin gelegen, Leonardo DiCaprio ein weiteres Karriere-Highlight zurechtzuschustern. Er darf schreien, weinen und vor allem schmollen, um Zerrissenheit in Szenen zu suggerieren, in denen Resolution für die gewünschte Message effektiver gewesen wäre.
Kriminelle Antihelden können und dürfen in ihrer Ambiguität Spaß machen. Wenn über einen realen Genozid berichtet werden soll, ist Unerträglichkeit passender. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der reale Ernest Burkhart deutlich weniger uneindeutig in seinen Absichten war und auch nach seiner vorrübergehenden Inhaftierung die Familie Kyle weiter ausbeutete.
Hinter den Verbrechen des zwiespältigen Ernest steht dafür als klarer Antagonist Bill Hale, gespielt von Robert DeNiro. Nur leider wurde sich auch hier im Casting vergriffen. Denn DeNiro als Kopf einer kriminellen Organisation zu besetzen, der sich durch gute Beziehungen aus der Bredouille ziehen kann, wirkt bei Scorsese primär selbstreferentiell. Hier bleiben ebenfalls mögliche soziokulturelle Observationen hinter der Erweiterung des eigenen Kanons zurück. Auch Cameo-Auftritten von bekannten Schauspielern und Musikern wird teilweise mehr Raum und Aufmerksamkeit gegeben als den brillanten Leistungen der nativamerikanischen Nebendarsteller*innen.
Die narrativen Kniffe und die ikonischen Castingentscheidungen, für die man Scorsese sonst kennt und liebt, passen in diesem Fall einfach nicht zum Thema und brechen Immersion. Und dieser Diskrepanz wird sich der Film, zumindest für kurze Zeit, auch bewusst.
Ein Moment der Reflexion
Ohne zu viel verraten zu wollen, endet „Killers of the Flower Moon“ mit einer etwas merkwürdigen Reflexion der eigenen filmischen Praxis. Die Geschichte der Osage-Morde wird durch eine Radio-Show geframed, zynisch widergegeben durch weiße Schauspielende, unter ihnen auch Scorsese selbst, ergänzt durch Lucky-Strike-Sponsoring.
Hier zeigt der Film seinen größten Selbstzweifel. Kann man einer historischen Begebenheit in der durchkommerzialisierten Medienlandschaft überhaupt gerecht werden? Oder ist Geschichte gezwungen, zu Content zu werden und ihren Kern zu verlieren? Und trotz all seinen bereits besprochenen Schwächen versucht Killers of the Flower Moon zumindest, diesem Geschichtsverlust gegenzuarbeiten.
Denn die letzten Sätze werden Mollie Kyle und ihrem Vermächtnis gewidmet, einer historischen Figur, deren politische Rolle im Diskurs oft vergessen wird. Die Versäumnisse, die der Film durch seine Täterperspektive eingeht, wenn es um das Leid der Betroffenen geht, sollen hier eingestanden werden. Nur leider ist es dafür ein wenig zu spät. Mollie Kyle, wunderbar verkörpert von Lily Gladstone, bleibt den Film über die einzige Figur, bei der moralische Ambiguität wirklich Sinn ergibt. Es werden Fragen gestellt, darüber, was Anpassung in einem Kolonialsystem für die eigene Identität und Kultur bedeuten kann und darüber, wie sich Gewalt in öffentlicher und privater Sphäre vermischen. In diesen Momenten ist der Film am stärksten. Nur beantworten oder weiterführen kann er diese Fragen nicht. Denn schließlich, dem wird sich Scorsese mit der Radioszene bewusst, kann der Film hier Gefahr laufen, die Geschichte von marginalisierten Gruppen zu überschreiben und zu trivialisieren.
Es ist gut, dass diese Selbstreflektion passiert, dass eingestanden wird, dass die Hollywood-Perspektive von Martin Scorsese manchen Lebensrealitäten nicht gerecht werden kann. Es ist auch gut, dass im Mainstream-Kino ein Problem explizit sichtbar gemacht wird, in dessen Mitte Ent-Subjektivierung und Ignoranz steht. Die Kritik an den Tätern zwar anzubieten, aber durch die Obsession mit seinem eigenen Kanon nicht zu Ende führen zu können, ist aber auch keine wirkliche Lösung.
Killers of the Flower Moon läuft (ausschließlich) im Burgkino.