Offen für alle - aber wer sind diese “alle”?

Was führt die einen zu Bruegels Turmbau zu Babel und andere in den Stephansdom? Ein Gedankenspiel über Eintrittsschwellen in sakrale und museale Räume - und was dies mit Eintrittspreisen zutun haben kann.

KHM Wien /// A. Peisker (c)

Warum stehen Tourist*innen vielerorts Schlange, um sakrale Orte zu besichtigen, während Museen oft darum kämpfen, Besucher*innen anzulocken? Vor sakralen Räumen der Weltreligionen bilden sich Besucher*innenschlangen, doch auch ein Besuch im Louvre ist mit Wartezeit verbunden. Hier sind vor allem in der Hochsaison Warteschlangen von zwei Stunden keine Seltenheit. In anderen Fällen sind beide Örtlichkeiten nicht klar voneinander trennbar, gehen vielmehr ineinander über, wie beispielsweise die Virgilkapelle in Wien oder die Hagia Sophia in Istanbul. Bei ersterer handelt es sich um eine 1973 im Zuge des U- Bahnbaues entdeckte, unterirdische Kapelle, die seitdem als einer von vielen Standorten des Wien Museums fungiert. Zweitere wurde als byzantinische Kirche erbaut, dann als Moschee genutzt, von 1935 bis 2020 zum Museum umfunktioniert, und ist seitdem wieder Moschee.
Doch die Antwort auf die Eingangsfrage liegt wohl in den unterschiedlichen Ansprüchen an den Besuch eines sakralen oder eines musealen Raums.

Leere Säle im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt /// (c) Viktoria Weber

Museen werden mit einem Bildungsauftrag sowie einem Wahrheitsanspruch in Verbindung gebracht. So liegt der Anspruch der Besucher*innen in der Entschlüsselung von Objekten mit facettenreichen Symbolen und Referenzen. Das Verständnis all dieser Facetten setzt aber nicht nur Wissen voraus, sondern auch die intensive Auseinandersetzung mit dem Objekt. Viele Besucher*innen verschrecken diese vorausgesetzten Kenntnisse, genauso wie ellenlange Texte, die nur so vor Fremdwörtern strotzen. Wie kann man sich da noch auf die so gepriesene auratische Wirkung der Werke fokussieren?
Unterschiedliche Schwellen, wie beispielsweise ein Kosten-Zeit-Faktor oder Furcht vor fehlendem Bildungskapital, erschweren den Eintritt in museale Räume. Schon vor gestiegenen Inflationsraten und explodierenden Gaspreisen gab es in Österreich zahlreiche Haushalte, die es sich zweimal überlegen mussten, ob nun wirklich Geld für einen Museumsbesuch zur Verfügung steht. Zwar gibt es auch ein ganzjähriges Gratisangebot in Wien - dazu zählen beispielsweise die Bezirksmuseen, das Circus- und Clownmuseum und viele mehr -, doch handelt es sich hierbei meist um unterfinanzierte Institutionen, die nur sporadisch öffnen können. Außerdem wirbt Wien mit dem freien Eintritt am ersten Sonntag im Monat, an dem vor allem die Standorte des Wien Museums, aber auch das Heeresgeschichtliche Museum, unentgeltlich ihre Türen öffnen.

Der Louvre in Paris

Doch was ist mit den anderen großen Kunstinstitutionen Wiens? Ein Besuch der Albertina (ohne Albertina Modern: regulär 18,90€ / ermäßigt 14,90€) oder des Kunsthistorischen Museums (ohne Sonderausstellung: regulär 18€ / ermäßigt 15€) stellt keinen günstigen Tagesausflug dar. Im Vergleich ist der Louvre in Paris für Bewohner*innen des Europäischen Wirtschaftsraums bis zum 26 Lebensjahr gratis und die Tate in London ist für alle Besucher*innen ganzjährig kostenfrei, nur Sonderausstellungen kosten extra. So hinken die prominenten Kunst- und Kulturinstitutionen Wiens anderen europäischen Hauptstädten in puncto Eintrittskosten hinterher. Warum ist nicht wenigstens ein freier Tag im Monat möglich? Was für Auswirkungen hat das auf das Publikum? Reproduziert sich hier eine Besucher*innenschaft mit hohem kulturellem und/oder ökonomischem Kapital?

Von vertrauten Räumen, Symbolen und Verhaltensregeln

Sakrale Räume imponieren ihren Besucher*innen und erschaffen ein auratisches Ambiente. Der Anspruch eines Besuchs ist die Wirkung des Raumes selbst. Verdichtete Symbole oder Ikonologien werden nur von wenigen Besucher*innen entschlüsselt. Diese ausschlaggebende Wirkung wird erschaffen durch die Historizität des Ortes, denn nur schon der Bau gilt als Kunstwerk. Für den besuchten Ort fungiert er als identitätsstiftend und raumgebend, ihm wurde in der Vergangenheit und wird in der Gegenwart noch immer Bedeutung zugeschrieben. Oft handelt es sich bei Besuchen sakraler Orte mit dem Riechen des Weihrauchs, dem Küssen der Ikone oder dem Ruf des Muezzins um multisensorische Erfahrungen, der Ort verkörpert die Inszenierung per se. Spannend erscheint hier auch die niedrige Eintrittsschwelle in christliche Kirchenräume. So sind für viele Menschen Kirchen, Münstern und Dome vertraut, da sie den Lebenslauf mitstrukturieren. Taufen, Kommunionen, Trauungen, Begräbnisse begleiten die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft seit Kindheit an als rites de passage von einer Lebensphase in die nächste. So sind Verhaltenskodexe und Kleidungsregelungen bekannt.

Deckenfresko in der Karlskirche, Wien

Ebendiese sind in Synagogen, Moscheen oder auch buddhistischen Tempeln natürlich nicht allen Besuchenden bekannt, mit Neugierde und Respekt lässt sich die Unsicherheit beim Besuch allerdings reduzieren. Auch ist ein sakraler Raum meist in gewisser Hinsicht anders, intuitiver und damit niederschwelliger erfahrbar als ein Museum. Somit sind Museen nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung vertraute, alltägliche Räume. Die wenigsten zahlen gerne 18€ für ein Museumsticket, und erst recht nicht, um sich dann gar fehl am Platz zu fühlen, weil man noch nie vom Neoplastizismus gehört hat oder keinen Zugang zu moderner Kunst hat - und auch nicht erklärt bekommt, worum es sich dabei eigentlich handelt, obwohl dies ja zu den Aufträgen einer Kunststätte gehören sollte.

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