Welche Perspektive willst du?
Über Bilder erzählen, in Bildern sprechen. Von Faust bis hin zu Words and Images. Ein Erfahrungsbericht eines zwiegespaltenen Abends im Volkstheater.
Die Faust-Inszenierung von Kay Voges beginnt mit einem starken Bild. Es ist dunkel auf der Bühne und zwei Personen sprechen die Zueignung, einen der drei Prologe zur Tragödie Erster Teil in Mikrofone, während sich hinter einem milchigen Transparent unterschiedliche Körper bewegen. Diese wirken durch die Folie abgetrennt, von mir entfernt, wie die „Bilder früher Tage“ (Goethe), die jetzt nur noch einen schattenhaften Auftritt haben. Dann geht das Licht plötzlich an - was nicht sehr oft in diesem Abend sein wird - und der nächste Prolog, das Vorspiel auf dem Theater, beginnt. Klassischer Theater-im-Theater-Witz, der immer wieder über den Abend eingebaut wird, aber ein Griff in die Trickkiste bleibt und nur den Fluss der szenischen Handlung unterbricht. Danach folgt noch der Prolog im Himmel, der eher wirkt, als würde er in der Hölle stattfinden, aber damit sind die Prologe komplett und es kann losgehen.
Und dann beginnt auch die eigentliche Tragödie
Die Goethe-Verse werden vom ganzen Ensemble sehr gekonnt gespielt, sodass das Reclam-Heft, das später noch einen Auftritt findet, vergessen scheint. Während die Prologe fast ungekürzt gespielt wurden, wirkt der Text ab hier eher fragmentarisch und mensch muss für die darauffolgende Handlung den Faust schon kennen, um im Kontext des Stücks bleiben zu können.
Rollentexte werden auf unterschiedliche Darsteller*innen aufgeteilt, es gibt je drei Faust- und Mephisto-Versionen: Der alte, der vom Teufel junggemachte und der stumme, der nur fotografiert wird. Die drei Mephistos, die auftreten, sind alle Bildnisse eines kapitalistischen American Dream: Ob goldener Thomas Gottschalk-Gedächtnis-Anzug, rotes Lederoutfit mit Mothman-Flügeln oder rotem glitzernden Kleid (Marilyn Monroe?) - das Böse soll die Verführung sein. Die schöne und sexy Verführung, wenn von den Frauen gespielt. Sobald Faust seinen jugendlichen Auftritt, gespielt von Nick Romeo Reimann, durch Mephisto bekommt, kippt die Inszenierung in eine düstere und verruchte Party-Ästhetik. Viel Glitzer, wenig Licht und immer wieder nackte Haut.
Nur Faust bleibt der Mann in blauem Hemd und Wollhose, der über diesen dingen steht.
Visuell ist es ein spannender Abend. Das liegt auch an der Live-Fotografie von Marcel Urlaub. Es gibt viel zu schauen, aber nachdem sich die eine Art der Inszenierung immer wiederholt, bin ich gelangweilt: Darsteller*innen stehen auf den beiden Bühnenseiten und sprechen ihre Texte über Bande in Mikrofone. Lange Szenen werden so zur szenischen Lesung mit Fotos. Kann definitiv so gemacht werden, aber beim fünften Mal ist das Bild durchschaut.
Die wirkliche Frage, die ich mir bei dieser Inszenierung stelle, ist, welche Seite eigentlich eingenommen werden will.
Denn ich finde diesen Faust sexistisch. Klar, das liegt auch an der Textgrundlage, aber es gibt auch genug inszenatorische Entscheidungen, die gegen die weiblich-gelesenen Körper auf der Bühne arbeiten. Es geht nicht um Individuen, sondern um „das Muster aller Frauen“, die immer wieder durch das Framing des Male Gaze gezeigt und fotografiert werden. Faust bekommt auch nicht nur eine Margarete, sondern gleich vier Gretchen, die alle wie Abziehbilder nebeneinander stehen. Wir folgen einfach Faust auf seiner „Heldenreise“. Er ist sich dabei zwar manchem Frevel bewusst, aber irgendwie ist er nie schuld daran. Der Teufel soll die Verantwortung daran tragen, obwohl es Faust irgendwann ganz klar nicht mehr um den Ausblick geht, der verweilen soll. Er will in seiner orgiastischen Suppe bleiben, die er sich da zusammengebraut hat und einfach nicht damit aufhören. An diesem Punkt hören die projizierten Fotos auch auf, was Fausts Desinteresse an den flüchtigen Momenten zeigt, die er sich vorher noch zum Verweilen gewünscht hat.
Das ganze kulminiert dann in der Kerkerszene, denn hier bezieht Voges klar eine Position und Perspektive.
Wir im Publikum sehen Faust auf unserer Seite, während die zwei Margaretes hinter dem Transparent aus der Anfangsszene stehen. Eine befremdliche Situation, da der Text durch die zwei Stimmen aber auch zusätzliche Effekte verzerrt klingt, während Faust eher naturalistisch auf unserer Seite spielt und wir die beiden zudem auch nur schemenhaft erkennen können. Was soll hier erzählt werden? Sollen wir auf der Seite des leidenden jungen Mannes stehen, der seine Schuld nicht einsieht, aber Margarete gleichzeitig in den Kerker gebracht hat? Täter-Opfer-Umkehr par excellence.
Die Regieentscheidung war hier, dass Margarete anscheinend wahnsinnig geworden ist und wir Angst vor ihr haben sollten. Die Sympathielenkung ist erschreckend eindeutig. Es ist nach den vielen faden Szenen ein sehr starkes Bild, aber dass genau diese Perspektive eingenommen wird, hat mich schon geschockt. Immerhin sitzt Margarete im Kerker, weil sie mit der Leiche ihres Bruders im Arm gefunden wurde, nachdem dieser von Faust erstochen wurde. Ich wollte nicht auf Fausts Seite stehen.
Kurz vor 22h. Ich wechsle in die rote bar zu word and images: how to be both.
In diesem von Nick Romeo Reimann kuratierten Abend geht es um Ekphrasis: Eine literarische Form, in der es um die Beschreibung von Kunst geht. Der geladene Performer und Literaturwissenschaftler Michael Almeida Machado beschreibt es als „verbal representation of visual representation“. Dabei soll es um ekphrastische Texte gehen, die aus einer queeren Perspektive geschrieben sind. Die Frage des Abends ist, wie queeres Schreiben über Kunst funktioniert. Nach der großen Bühne mit den grellen Licht- und Soundverhältnissen bin ich ganz froh in der Roten Bar zu stehen. Die Stimmung in diesem kleinen, etwas plüschigen Bühnenraum ist sehr entspannt. In der ersten Hälfte der Veranstaltung wird der Dialog zwischen Bildern und Texten theoretisch behandelt und das historische Beispiel des Heiligen Sebastian vorgestellt. Es gibt unterschiedliche Lyrik und Prosa, die sich mit Gemälden des Schutzpatron auseinandersetzen, der bei Seuchen wie der Pest (oder später AIDS) angerufen wurde. Das und seine Marginalisierung zu Lebzeiten bringen ihn in die Nähe der LGBTQ+-Community. Manche Kunsthistoriker*innen bezeichnen ihn auch als „gay icon“. Die Textbeispiele sind in ihrem queeren Blick auf Kunst entweder sehr eindeutig homoerotisch oder sehr subversiv, indem in der Beschreibung einer Farbe eine Verbindung zu Figuren der griechischen Mythologie hergestellt wird, die in einer homoerotischen Beziehung zueinander standen.
In der zweiten Hälfte geht es um live erfahrbare Ekphrasis. Fünf junge Autor*innen haben Texte über vier Bilder geschrieben. Das Immersive daran: Die Texte wurden jeweils bevor und nachdem das Bild gezeigt wurde, vorgelesen. Und da wird mir bewusst, wieviel dieser Abend unerwarteterweise mit Faust gemeinsam hat: Beide wollen etwas über Bilder erzählen.
Die einen wollen einen Mehrwert der Inszenierung durch Bilder, indem sie sich auf deren Wirkung verlassen, die anderen wollen Bilder ansehen und erzählen, was dabei in ihnen vorgeht. Words and Images gelingt es, das Publikum zu berühren und zum gemeinsamen Imaginieren zu bringen. Das wurde nicht nur dadurch, wie vorgelesen wird, erreicht, sondern die Texte geben einen Einblick in die Gedanken der Schreibenden. Und sobald die Bilder dazu gezeigt wurden, bekamen wir die Möglichkeit auch unsere Interpretation damit zu verbinden. Diese vielen, miteinander wirkenden Ebenen machen den Abend wirklich besonders. Und es macht auch einfach Spaß zuzuschauen und mitzurätseln, wie das Bild zum Text aussehen könnte.
Zudem war die Stimmung im Raum sehr ruhig und ja, sanft irgendwie. Es ging nicht vordergründig darum, ein lautes Ding auf die Bühne zu hauen, sondern das Publikum bekam eine Einladung, über Ekphrasis zu lernen und an den Perspektiven von Künstler*innen teilzuhaben. Es ging um ein gemeinschaftliches Erlebnis.Und auch hier stellt sich mir wieder die Frage, welche Perspektive eingenommen wird. In der Kunstwelt, in der noch immer ein sehr patriarchaler Blick weißer Vorherrschaft lebt, braucht es Abende wie diesen, um Kunst nicht nur spaßiger und niedrigschwelliger zu machen, sondern auch, um den gewaltsamen misogynen Blick darauf zu beenden.
Mir wurde sehr bewusst, wie unterschiedlich Bilder gezeigt und angesehen werden können. Je nachdem, welcher Effekt erzielt werden will, ändern sich Perspektive und Gaze, mit welchen auf Kunst geschaut wird. Darin liegt auch sehr viel Einfluss: Faust reproduziert dabei Macht- und Geschlechterstrukturen, während Words and Images: How to be both einen neuen und gewaltfreien Zugang findet.
Faust kann noch bis zum 27. Februar im Volkstheater besucht werden.