Pipilotti zwischen Hoch- und Popkultur

Über Separation und Koexistenz von Hoch- und Populärkultur: Vereint die Kunst der Künstlerin Pipilotti Rist hoch über dem Donaukanal dosenbiertrinkende Wiener*innen mit noblen Anzugträger*innen?

Nouvel Tower Vienna (later: Design Tower), Jean Nouvel, Restaurant mit Deckenlichtinstallation von Pipilotti Rist, Le Loft Bar & Lounge (c) Wikipedia

Wahrscheinlich kennt man die farbenfrohe Lichterdecke entlang des Donaukanals im von Jean Nouvel erbauten Luxushotel SO/Vienna. Das Hotel selbst beschreibt sich als Erlebnis, welches Kunst, Architektur und die Jahrhundertwende vereint. Kunst erleben kostet hier ab 305€ die Nacht, oder man begnügt sich doch nur mit einem Besuch des Loft-Restaurants im 18. Stockwerk, zahlt für einen Sonntagsbrunch 99€ pro Person und kann so die Lichterdecke der Medienkünstlerin Pipilotti Rist aus nächster Nähe bestaunen. Was steckt hinter der bunten Bildwelt im Luxushotel?

Videostill, Pipilotti Rist, I’m Not The Girl Who Misses Much (1986) /// Pipilotti Rist (c)

Die Künstlerin, ehemals Elisabeth Rist, wird 1962 in Grabs im Schweizer Rheintal geboren und kreiert den Namen Pipilotti Rist 1982. Dieser entstammt einer Kombination ihres Kindheitsspitznamens Lotti und der Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf. Zwischen 1982 und 1986 besucht Rist die Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in den Fächern Gebrauchsgrafik, Illustration und Fotografie. Im Anschluss studiert sie zwischen 1986 und 1988 an der Schule für Gestaltung Basel Audiovisuelle Gestaltung unter René Pulfer. Als eine der ersten Videoarbeiten produziert Rist das Single-Channel-Video I’m Not the Girl Who Misses Much (1986), in dem sie auf und ab springt und singend den Titel, einem Beatles Song entliehen, wiederholt. Zwischen 1988 und 1994 ist Rist Teil der Rockband Les Reines Prochaines, wodurch sich ihr Bezug zur Popkultur noch vertieft, und entwickelt zunehmend eine an Musikvideos angelehnte Bildsprache, in der Bildschnitt und Musiktempo aufeinander abgestimmt sind.

Mit dem Werk Pickelporno (1992) erlangt die Künstlerin internationale Aufmerksamkeit und kontrastiert den klassischen Sexfilm. In der etwa 12-minütigen Videoarbeit lässt Rist den männlichen und den weiblichen Körper tranceartig verschwimmen, wodurch eine eindeutige Identifikation von Geschlechtlichkeit unmöglich wird. Narrativ stützt sich die Arbeit auf den klassischen Sex-Kurzfilm, besteht dann aus unterschiedlichen Sequenzen zwischen Makro- und Mikroaufnahmen nackter Haut und Naturaufnahmen. Durch kaleidoskopische Perspektiven verschwimmen Körpergrenzen und der Blick von Betrachter*innen und Videoprotagonist*innen wird eins. Pickelporno bietet somit einen noch immer neuen pornographischen Blick, der starre patriarchale Inszenierungen gelungen ablöst, hängen Lust und Begehren hier nicht von Geschlechtlichkeit, sondern Körperlichkeit ab.

Das durch die visuelle Paarung von Weiblichkeit und Gewalt auffallende Werk Ever Is Over All (1997) wurde auf der Venedig Biennale 1997 ausgezeichnet. Die audio-visuelle Installation besteht aus zwei Videoprojektionen an anliegenden Wänden, einer von Rist häufig verwendeten Übereckprojektion. Der rechte Kanal bewegt sich durch ein rotes Blumenbeet, während der linke Kanal eine Frau abbildet, die mit einer langstieligen Blume in Zeitlupe Autofenster einschlägt.

Die Kameraperspektive ist die eines Insekts. Blumen sind im Vergleich mit Autos relativ schwach, die Statik eines Blumenstängels in der Makrodimension ist aber ein Wunderwerk. Die rechte Projektion zeigt somit die Stärke in der Schwäche. Sie unterstützt auch die Aussage, dass die linke Geschichte nicht kriminell motiviert ist. Die Frau schlägt die Scheiben der Autos ein, als würde sie Gras mähen. Die Autos sind ein Symbol für unnötige Hindernisse und Ängste, die zu überwinden einfacher sind, als angenommen.
— Pipilotti Rist

Neben dem eminenten feministischen Anspruch der Arbeit, referiert Rist somit auch eine David und Goliath Metapher. Weiters scheint der Blumenkanal die Szene der Protagonistin zu infiltrieren, mit ihr zu verschwimmen. Die Waffe der Vandalin, eine Fackellilie, stammt aus dem Blumenbeet und referiert eine aus der Antike stammende Bildtradition für gewalttätige, exzessive Frauen. Beyoncés Musikvideo zu dem Song Hold Up (2016) scheint Rists Arbeit zu zitieren, indem die Interpretin in ähnlicher Manier, jedoch mit einem Baseballschläger, Autoscheiben einschlägt (ab 2:20min). Hierdurch eröffnet sich die Einflussnahme der Geschlechterstereotype herausfordernden Arbeit, nicht nur in der Kunstwelt per se, sondern darüber hinaus in einer populärkulturellen Sphäre.

Ein Kameraschwenk weg vom Male Gaze

Junge Medien, wie Fotografie, Film und Videokunst, mussten ihren Weg in die Kunstwelt erst finden. Im Gegensatz zu den renommierten Gattungen wie Malerei oder Grafik wurden jene lange Zeit nicht an den Kunsthochschulen gelehrt. Und genau hierin lag deren revolutionäres Potential gerade für Künstlerinnen, denn fernab vom akademischen Rahmen konnten Bildkonventionen aufgebrochen und die Visualisierung des Weiblichen hinterfragt werden. Rist markiert neben vielen weiteren Medienkünstler*innen dieser Generation einen Blick, der sich von stereotypen Geschlechtervorstellungen distanziert. Ihr spielerischer Zugang zu Themen wie dem patriarchalen Blick auf das, was als weiblich definiert wird, macht schwere Kost leichter verdaulich. Ihre absolute Vermischung von Hoch- und Popkultur unterstreicht die Obsoleszenz der Unterscheidung per se.

Uniqa-Tower Wien, Jean Nouvel, Restaurant mit Deckenlichtinstallation von Pipilotti Rist, Le Loft Bar & Lounge (c) Wikipedia

Doch in der Realität ist diese Abgrenzung noch immer präsent. Denn während eine recht homogene Masse an Besucher*innen im 18. Stock eine feine Weinauswahl und Rists Lichtinstallation genießen, sitzen gleichzeitig, zumindest bei gutem Wetter, junge Wiener*innen am Rand des Donaukanals mit ihrem Dosenbier. So verschwimmen zwar poppig bunte Bildwelten mit hochgelobter Kunst, doch es wird klar, dass das Klientel von Hoch- und Popkultur meist nicht fusioniert, sondern koexistiert.  Aber auch vom Kanalufer aus lässt sich Rists Installation über Wien bestaunen und zu später Stunde sogar als wegweisenden Leuchtturm nutzen.

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