Pogorelich in Blue

Ein Abend voller Tragik, Depression und Dunkelheit: Ivo Pogorelich mit Spätwerken Chopins im Konzerthaus

Ivo Pogorelich 1981 /// Davor Siftar (c)

Ivo Pogorelich hat am Dienstag im Konzerthaus gespielt, jetzt ist es schon Freitag. Ich habe mir ausnahmsweise ein wenig Bedenkzeit genehmigt, hätte ich direkt am nächsten Morgen geschrieben, wäre womöglich ein ziemlicher Verriss rausgekommen. Ob es jetzt so viel positiver wird? Mal schauen. Nachdem ich letzte Woche anderthalb Stunden mit ihm telefonierte und aus dem Material ein Interview bastelte, war ich besonders gespannt, was dieser sonderbare Mensch live auf dem Klavier bieten würde. Sonderbares, so viel ist sicher.

Werke eines sterbenden Depressiven

Der ganze Abend hatte etwas Dunkles an sich, Pogorelich spielte nur Spätwerke des sterbenden und manisch-depressiven Chopin. Wie hält er das überhaupt ein Jahr lang mental aus, ständig nur diese düsteren Stücke zu spielen? Das muss einen doch fertigmachen... Los ging es mit der kühnen, modern wirkenden Polonaise-Fantaisie Op 61. Dabei schien sich der Maestro nicht wirklich wohlzufühlen. Er suchte beim Spielen immer wieder die ideale Sitzposition, checkte die Pedale und schien dabei gar nicht zu merken, dass knapp 2000 Leute zuschauten. Das Stück wollte so nicht zu einem Ganzen werden, es war auch musikalisch ein Suchen.

Chopins dritte Sonate lernte Pogorelich das erste Mal mit 15, gegen den Willen seines Lehrers, wie er mir erzählte. Dieses Stück spielte er auch Alisa Kezheradze vor, als er sie das erste Mal traf. Sie wurde seine wichtigste Lehrerin, später seine Frau und begleitete ihn bis zu ihrem tragischen Tod (dieses makabre Pogo-Zitat über sie und ihren Tod habe ich nicht verifiziert, daher nur als Link). Es kann gut sein, dass er es längst vergaß, dass er ihr gerade aus dieser Sonate das erste Mal vorspielte. Spätestens beim mehrmaligen Korrekturlesen meines Interviews ist ihm das aber wohl wieder eingefallen. Dachte er auch beim Spielen an sie? Es kam mir jedenfalls äußerst emotional vor, was er uns bot.

Er spielte noch langsamer als auf seiner Aufnahme, besonders den langsamen Satz zog er ins Unendliche. Entweder man war bereit, ihn in seine Weltuntergangsstimmung zu folgen, oder man stieg aus. Mit diesem tragischen Largo packte er mich jedenfalls. Seine großen, kräftigen Hände streichelten immer wieder die Tasten, er sang mit seiner rechten Hand bittersüße Melodien und schien sich ganz zu verlieren in der Musik. Im schnellen Finale griff er dann äußerst brutal in die Tasten, als wolle er sich durch die eigene Gewalt von etwas befreien.

Eine tragische Figur

In der zweiten Konzerthälfte konnte ich immer weniger mit seinen überlangsamen Interpretationen anfangen. Die sowieso schon dunkle Stimmung wurde noch trüber. Es war weiterhin beeindruckend, ihn beim Spielen zu beobachten. Sein Anschlag ist so kräftig, dass ich die Mechanik des Steinways klar bei jedem Ton mithörte, trotzdem blieb sein Klang immer wohlschmeckend. Sowas hört man nicht alle Tage. Aber das Ganze wirkte etwas aufgesetzt. Wie er sich vor dem Konzert im Saal einspielte, mit Mütze, Schal und Trainingspullover. Oder wie er beim Verbeugen, statt rauszugehen, Stille verlangte und mehrere Zugaben spielte, mit einer ziemlichen ‚I-don’t-give-a-shit‘-Attitüde. Er scheint mir eine tragische Figur zu sein, den der frühe Weltruhm und das Alter gezeichnet haben. Jemand aus einer vergangenen Zeit, einem anderen Jahrtausend. Ihn live gehört zu haben, war jedenfalls ein Erlebnis.

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