RAGE made me do it

Die feministische Aktivistin Nadya Tolokonnikowa aus dem Punk-Kollektiv Pussy Riot lädt in Linz zu ihrer weltweit ersten institutionellen Ausstellung. Sie gibt künstlerische Einblicke in ihre Wut, ihren Hass – und beweist großen Mut.

Nadya Tolokonnikowa (vorne kniend) während ihrer Performance am Eröffnungsabend ihrer Ausstellung Rage. /// © Annka Weber

Über allem hängt ein riesiger Dolch. Mit samtenem Griff und spitzer Klinge steht er symbolisch für die Gefahr, der Künstler*innen und Aktivist*innen in und aus Russland permanent ausgesetzt sind. Nach dem 2012 veranstalteten Punkgebet in der Moskauer Christie-Erlöser-Kathedrale und der darauffolgen Haftstrafe sowie weiteren Repressalien flieht Nadya Tolokonnikowa aus Russland. Sie ist eine der Gründerinnen des feministischen Punk-Kollektivs Pussy Riot. Seit 2021 steht sie in Russland auf der Liste der „ausländischen Agenten“, seit 2023 auf der Liste der meistgesuchten Kriminellen Russlands. Auch im Exil besteht für die Künstlerin und Aktivistin eine permanente Gefahr, wie Morde an verschiedenen politische Gegner*innen Putins weltweit zeigen.

Pussy Riot, Putin Pissed Himself, 2012 /// © Pussy Riot

Dennoch bleibt Tolokonnikowa laut: sie macht aufmerksam auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine, stellt sich gegen Putin, Chauvinismus und setzt sich für Abtreibungsrechte und Meinungsfreiheit ein. Die Show in Linz vereint all dies in einer interdisziplinären Ausstellung sowie einer Performance am Eröffnungsabend. Tolokonnikowa spricht bei Rage im OK Linz von ihrer ersten Show in einem institutionellen Rahmen. Installationen, Gemälde, Videoarbeiten sowie eine Nachbildung einer Gefängniszelle und Briefe aus der Haft werden nebeneinander ausgestellt. Die meisten Räume sind in ein rotes Licht getaucht, immer wieder tauchen Messer auf, Klingen, Samt. Die moderne, fast brutalistische Architektur des OK trifft auf feministischen Punk, religiöse Symbolik und altkyrillische Kaligraphie. Immer wieder sieht man das orthodoxe Kreuz, abgewandelt und umgedreht, wie als Symbol des Antichristen; Malereien mit Gesichtern in Balaklavas – das Erkennungszeichen von Pussy Riot – sind vielfach nebeneinander ausgestellt und erinnern an Ikonen.

Ausstellungsansicht Rage /// © Annka Weber

Tolokonnikowa drückt so ihre Religiosität aus, auch wenn sie in keine richtige Schublade zu passen scheint. Eine Videoarbeit zeigt die symbolische Hinrichtung Putins in einer Wüste. Aktivist*innen in schwarzen Kleidern und roten Balaklavas führen eine Art Zeremonie durch, brennen ein gemaltes Porträt Putins ab. Dargestellt wird auch ein roter Knopf, über dem geschrieben steht: „This Button neutralizes Vladimir Putin“, in seiner Begebenheit holt er auch die permanente Gefahr eines atomaren Krieges in den Ausstellungsraum. Tolokonnikowa, in weißer Maske, drückt diesen Knopf – ausgestellt in Linz sieht man kleine Fläschchen, gefüllt mit den Überresten der verbrannten Leinwand und beschriftet mit „Putins Ashes“.

Ausstellungsansicht Rage /// © Annka Weber

Alle Kunstwerke der Ausstellung sind passend zusammengefasst unter dem Titel der Ausstellung: Rage. Besonders deutlich wird diese Wut in der Performance von Nadya Tolokonnikowa. Sie selbst trägt ein enges, weißes Kleid, wird begleitet von etwa 20 weiblich gelesenen Personen, abermals gekleidet in schwarzen Kleidern, Netzstrumpfhosen und neongelben Balakalvas. Sie stehen stumm, wie eine Armee oder Schutzgarde da – ansonsten ist der Raum gefüllt von lauten Geräuschen. Nadya schreit in das Mikrophon, wird begleitet durch laute, schnelle Beats – eine Mischung aus Krach, Hyperpop und Punk – und hält sich dabei immer wieder einen Stimmverzerrer an den Mund, der ihre Stimme klingen lässt wie unzählige Stromschläge. Sie singt auf russisch und englisch, aber wegen des Lärms sind die Worte kaum zu verstehen. Nur einmal wird es ruhig, als sie das Lied des Punkgebetes anstimmt, und auf dem Boden knieend andächtig hoch zu dem riesigen Dolch schaut, der die ganze Zeit über ihr schwebt.

Ausstellungsansicht Rage /// © Annka Weber

Getroffen hat der symbolische Dolch Alexej Nawalny, der im Februar 2024 im russischen Straflager verstorben ist. Tolokonnikowa klagt Putin als Mörder an. Nawalny und all den anderen Menschen, denen ihr Leben wegen der allumfassenden Machtansprüche Putins genommen wurde – in der Ukraine, Georgien, Russland selbst – ist diese Ausstellung gewidmet.

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