Harry Potter und der Twitteraccount des Schreckens
Meine Kindheit war magisch, gefüllt mit Held*innen und Abenteuerorten, die mich glauben ließen, dass alles möglich ist – vor allem dank Harry Potter. Heute verbinde ich jedoch Joanne K. Rowling und ihre Schöpfung mit Transfeindlichkeit und Hass, was mich zum Nachdenken bringt: Kann man Kunst wirklich von der Künstlerin trennen?
Man muss Harry Potter einfach lieben, aber kann man das?
Ich denke oft und gerne an meine Kindheit zurück. Sie war gefüllt mit Büchern von Held*innen, welche Nationen befreiten und von Orten, welche ich bereisen wollte. Manche real, manche fiktiv. Sie alle hatten eine Gemeinsamkeit: Alles war möglich. Das junge Mädchen aus Distrikt 12 konnte den zerstörerischen Präsidenten bezwingen und der unscheinbare Junge in der Schule konnte der Sohn Poseidons sein. Keine Geschichte war zu verrückt für mein noch junges Gehirn. Und eine Geschichte tat es mir besonders an. Es war die Geschichte eines kleinen Jungen, welcher von einem Tag auf den anderen erfuhr, dass sein Leben eine Lüge war. Dieser Junge war Harry Potter. Ein junger Zauberer, der den Angriff des dunklen Lords überlebt hatte. Ich war sofort hooked. Und meine Kindheit war für immer geprägt. Ein knappes Jahrzehnt später lese ich die Geschichten nicht mehr so gerne. Harry Potter und besonders seine Erschafferin Joanne K. Rowling verbinde ich mit Transfeindlichkeit, Rassismus und Hassreden.
Eine Timeline von J.K. Rowlings Transfeindlichkeit
Rowlings erstes öffentliches Statement zu der Genderfrage wurde am 19. Dezember 2019 von ihr auf Twitter gepostet. Dort gab sie bekannt, hinter Maya Forstater zu stehen. Diese hatte zuvor ihren Job verloren, aufgrund einiger Tweets, welche als transphob gewertet worden waren. Konkret tweete sie folgendes:
Zusätzlich nutzte sie auch ihren Twitteraccount um mehrfach Pips Bunce, eine genderfluide Person zu misgendern. Forstater benutzte hierbei die Begriffe „a white man who likes to dress in women’s clothes“ und „a part-time cross dresser”. Es folgte ein Rechtsstreit, da ihr Vertrag nicht verlängert worden war, nach dem ursprünglichen Fristdatum. Während dieser Zeit veröffentlichte sie weiterhin via Twitter transphob-gewertete Statements und gab diese auch an, als Teil ihrer Beschwerde über ihren nicht verlängerten Vertrag.
Damals hatte Rowling den Hashtag #IStandWithMaya verwendet und hatte öffentlich kritisiert, dass Forstater ihren Job aufgrund ihrer politischen Meinung verloren hatte. Dies eröffnete online einen Diskurs zur Fragenstellung inwiefern Menschen ihre politische Meinung teilen dürfen, wenn diese andere Menschen gefährdet oder diskriminiert.
Knapp ein halbes Jahr später, am 6. Juni 2020, kritisierte Rowling auf Twitter einen Artikel, welcher den Begriff „people who menstruate“ verwendete, um inklusiv über alle Menschen zu sprechen, welche eine Periode haben. Dies können sowohl Cis-Frauen sein, aber auch Transfrauen und nicht-binäre Menschen.
Es folgten wieder Debatten über Rowlings scheinbare Transfeindlichkeit und ihr Verlangen, Trans- und Nicht-Binäre-Stimmen zu radieren. Besonders Stimmen aus der LGBTQIA+ Community versuchten Rowling zu belehren und ihre Aussagen zu korrigieren. Verwiesen wurden dabei auf Personen, welche menstruieren, aber sich nicht als Frau identifizieren. Rowling antwortete wieder mit einem Tweet.
Zwei Tage später, am 8. Juni 2020, veröffentliche Daniel Radcliffe ein Statement zusammen mit der Organisation „The Trevor Project“. Radcliffe hatte in seiner Jugend die Rolle des Harry Potters verkörpert und ist somit eng mit der Autorin befreundet.
Radcliffe war somit der erste von vielen Harry Potter Stars, welcher sich öffentlich zu Rowlings Meinungen positionierte.
Am 10. Juni 2020 spitzte sich die Situation erneut zu. Auf ihrem Twitteraccount postete die Autorin die Wörter „TERF Wars.“ TERF ist ein Akronym aus den englischen Wörtern Trans-Exclusionary Radical Feminist. Eine Person, welche sich also als TERF identifiziert, stellt somit Transidentitäten infrage. Am selben Tag veröffentlichte die Autorin zudem ein Statement auf ihrer eigenen Webseite, in welchem sie über die Situation sprach. Verkürzt handelt ihr Statement von ihrem Support zu Maya Forstater und ihrem eigenen Interesse bezüglich dieser Thematik. Ein wichtiger Punkt in ihrem Text ist ihre Besorgnis bezüglich der neuen Entwicklungen im Bereich Trans-Aktivismus.
Einige Stunden später meldet sich eine weitere Harry Potter Darstellerin nun auch zu Wort. Emma Watson, welche Hermine Grainger gespielt hatte, teilte ebenfalls auf Twitter ihre Meinung zu der Problematik.
Sie beendete ihre Tweets mit dem Versprechen an queere Vereine zu spenden und rief ihre Follower*innen dazu auf, dasselbe zu tun.
Wer nun denkt, so langsam sollte Rowling doch verstehen, dass ihr kaum Leute zustimmen, hat sich geirrt. Denn am 5. Juli 2020 veröffentlicht sie Tweets, in welchen sie sich kritisch gegenüber Hormontherapien für Transindividuen bekennt. Ihre These ist es, dass junge Menschen, welche mentale Probleme haben, oftmals zu einfach an Hormontherapien gelangen. Ärzt*innen sollen zu unbedacht nachgeben, ohne das beste Interesse dieser Menschen im Auge zu behalten.
(Keine Sorge, ich habe auch mit dem Kopf geschüttelt)
Obwohl sich die Lage etwas beruhigt hat, schafft Rowling es immer wieder Schlagzeilen zu machen, indem sie beispielsweise Watsons und Radcliffs Gegenwind ihr gegenüber kritisiert. Laut Rowling, schulden diese ihr eine Entschuldigung.
Gefährliche Stereotypisierung in Harry Potter
Wer aber denkt, dass Rowling erst in jüngeren Jahren problematisches Gedankengut teilt, irrt sich. Auch die Harry Potter Bücher waren bereits durchzogen von gefährlichen Stereotypisierungen und problematischen Ansichten. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist die Darstellung der Bankiere. Diese werden porträtiert von Goblins, welche geldgierig und misstrauisch sind. Kritiker*innen behaupten, dies soll eine gefährliche Anspielung auf die rassistische Stereotypisierung von jüdischen Personen sein.
Auch eine Parallele zur Sklaverei kann aus den Büchern entnommen werden. Hauselfen, welchen als Diener einiger magischen Familien agieren, werden als unterwürfig dargestellt. Ihr Recht auf Freiheit wird ihnen genommen und erst durch die Gabe eines Zauberers oder einer Zauberin, können sie sich von der Familie lösen und frei sein.
Besonders gefährlich finde ich persönlich die Bezeichnung „Schlammblut“ oder „Mudblood“, welchen Rowling benutzt, um Zauber*innen zu beschreiben, welche Muggel-Eltern haben. Zauber*innen, die magische Eltern haben, sind somit Reinblüter. Es können auch hier Parallelen zu Rassismus gezogen werden.
Seperating the art from the artist
Ob man Kunst wirklich von den Künstler*innen trennen sollte, ist schon länger Debatte. Polarisierende Künstler wie Kanye West, Woody Allen oder R. Kelly stehen dabei im Fokus dieser Konversationen. Fans stellen sich die Frage, ob man die Kunst dieser Personen noch konsumieren kann, obwohl man sich nicht mit ihrem privaten Verhalten identifiziert. Lässt sich die Kunst wirklich von den Künstler*innen trennen, wenn diese noch finanziellen Profit an ihren Werken machen?
Diese Debatte ist auch besonders interessant, wenn wir sie uns im Kontext von Harry Potter anschauen. Harry Potter gilt als einer der meist-verkauftesten Bücher der Welt und wurde um die 500 Millionen Mal verkauft. Rowlings Vermögen wird auf fast eine Milliarde geschätzt. Diese Summe schließt sich aus unterschiedlichen Quellen. Sicherlich hat sie gut an den Büchern verdient, aber der Verkauf der Bildrechte für die Filme, sowie ihr Verdienst an Merchandise haben sie zu der reichsten Autorin der Welt gemacht. Wenn wir diesen Reichtum nun im Kontext der Debatte sehen, stellt sich natürlich die Frage, ob der Verzicht auf Harry Potter Konsum wirklich Rowling schaden würde. Es scheint so, als ob Rowling bereits an einem Punkt angekommen ist, gesellschaftlich sowie finanziell, an dem sie alles öffentlich sagen kann, und kaum Konsequenzen spüren muss. Denn während ich hier gerade an diesem Artikel schreibe, wird schon fleißig an einer Harry Potter Serie gearbeitet. Insgesamt sollen sieben Staffeln auf dem Streaming-Anbieter HBO MAX erscheinen. Dies ist ein klares Statement: Rowlings Transfeindlichkeit hat weder ihr noch der Marke Harry Potter geschadet. Sie wird weiterhin hohen Profit machen und ihre Werke werden weiterhin stark verbreitet. Ein deutliches Statement, dass Hollywood Kunst von den Künstler*innen separieren kann und scheinbar die Zuschauer*innen auch.
Was nun? Konklusion!
Was ich aus meiner Recherche für diesen Artikel gelernt habe, ist, dass nicht jeder einen Twitteraccount haben sollte. Und vor allem sollten dort keine verletzenden und gefährlichen Aussagen über die Identitäten von anderen Menschen gemacht werden. Ob Rowling noch weiter über Transpersonen diskutieren wird, wird nur die Zeit uns sagen. Aber über eines bin ich mir recht sicher: Dort wo Transfeindlichkeit aufkommt, wird es auch Gegenwind geben. Und dieser ist wichtig und richtig.